Nichts ist sicher
11.05.2010
Mit "Gesichertes" legt Hanna Lemke ein beeindruckendes Debüt vor. Sie erzählt darin von einer Generation ohne Halt.
Was wollen diese Leute eigentlich? Das fragt man sich als Leser der 18 Geschichten von Hanna Lemke. Wollen sie irgendwohin? Die Protagonisten dieser überaus kurzen Geschichten sind jung, knapp über 20, und ohne erkennbares Ziel.
Stella, Matthes, Boris, Tanja, Oliver und all die anderen – sie verbringen lieber die Nächte als die Tage miteinander, sie studieren oder versuchen es, sie jobben in Bars, lassen sich von den Eltern aushalten, leben in unverbindlichen WGs oder ziehen ständig um. Sie leben prekär, aber das stört sie nicht. Sie scheinen zu wissen, dass das eben so ist in ihrer Generation, die in den 80ern geboren und unter Kanzler Schröder erwachsen wurde. Es ist die Generation von Hanna Lemke, 1981 in Wuppertal geboren, Studium am Leipziger Literaturinstitut. Der Geschichtenband "Gesichertes" ist ihr beeindruckendes Debüt.
Immer ist es eine namenlose Ich-Erzählerin, aus deren Perspektive erzählt wird, und es scheint immer dieselbe zu sein. Berlin schimmert oft durch als Ort der Handlung, wird aber selten genannt. Einmal trifft die Erzählerin auf Holm, der einen Laden ohne erkennbaren Sinn betreibt, eine Aushilfe sucht und sie einstellt, damit sie um ihn herum ist, damit er Gesellschaft hat. Nur dafür. Sein Laden ist betriebswirtschaftlich sinnlos, eine Art Liebhaber-Café. Die Erzählerin genießt es, bei ihm zu sein, einfach so. Am Ende wirft er sie raus, er braucht sie nicht mehr.
In einer anderen Geschichte zieht eine völlig Fremde in die Wohnung der Erzählerin ein, feiert eine wilde Einzugsparty und ist kurz darauf wieder verschwunden. Die Erzählerin wundert es nicht, es stört sie auch nicht.
Ungerührt bleibt sie auch, als in einer weiteren Geschichte eine Frau ihren betrunken auf dem Boden liegenden Liebhaber traktiert, bis er wimmert, und behauptet: "Das musste sein!" Kurze, manchmal brutale Ausbrüche bestimmen das Leben der Protagonisten; Ausbrüche, die wirken wie eine Entscheidung, aber keine sind.
Entscheidungen wären Gift für die unbestimmte, schwebende Existenz, die Hanna Lemkes Figuren führen. Sie lassen sich auf nichts festlegen, nicht auf Ziele, nicht auf Gefühle, nicht auf Freundschaften, geschweige denn auf einen Beruf. Hier agiert keine arrivierte Großstadtbohème wie damals in Judith Hermanns "Sommerhaus, später" - hier lebt der verunsicherte Akademikernachwuchs ein überwiegend ambitionsloses Leben. "Du bist noch auf der Suche", sagt einer der Protagonisten, "aber da ist nichts."
Leichte, kurze, lakonische Geschichten hat Hanna Lemke verfasst. Geschichten, die einfach daherkommen und ihre Tiefe erst entwickeln, wenn man sie weggelegt hat. Die junge Autorin erzählt wie nebenbei von der Haltlosigkeit junger Menschen, braucht dazu jedoch nicht den Drogenkult einer Helene Hegemann. Sie vertraut lieber ohne jedes ästhetische Posieren und mit weitgehendem Verzicht auf Metaphern der erzählerischen Kraft ihrer Geschichten. Dabei entwickelt ihre Literatur einen Zauber, eine Ausstrahlung, einen Atem. Hanna Lemke legt ein unverwechselbares Debüt vor.
Besprochen von Vladimir Balzer
Hanna Lemke: Gesichertes
Stories
Kunstmann Verlag, München 2010
192 Seiten, 17,90 Euro
Stella, Matthes, Boris, Tanja, Oliver und all die anderen – sie verbringen lieber die Nächte als die Tage miteinander, sie studieren oder versuchen es, sie jobben in Bars, lassen sich von den Eltern aushalten, leben in unverbindlichen WGs oder ziehen ständig um. Sie leben prekär, aber das stört sie nicht. Sie scheinen zu wissen, dass das eben so ist in ihrer Generation, die in den 80ern geboren und unter Kanzler Schröder erwachsen wurde. Es ist die Generation von Hanna Lemke, 1981 in Wuppertal geboren, Studium am Leipziger Literaturinstitut. Der Geschichtenband "Gesichertes" ist ihr beeindruckendes Debüt.
Immer ist es eine namenlose Ich-Erzählerin, aus deren Perspektive erzählt wird, und es scheint immer dieselbe zu sein. Berlin schimmert oft durch als Ort der Handlung, wird aber selten genannt. Einmal trifft die Erzählerin auf Holm, der einen Laden ohne erkennbaren Sinn betreibt, eine Aushilfe sucht und sie einstellt, damit sie um ihn herum ist, damit er Gesellschaft hat. Nur dafür. Sein Laden ist betriebswirtschaftlich sinnlos, eine Art Liebhaber-Café. Die Erzählerin genießt es, bei ihm zu sein, einfach so. Am Ende wirft er sie raus, er braucht sie nicht mehr.
In einer anderen Geschichte zieht eine völlig Fremde in die Wohnung der Erzählerin ein, feiert eine wilde Einzugsparty und ist kurz darauf wieder verschwunden. Die Erzählerin wundert es nicht, es stört sie auch nicht.
Ungerührt bleibt sie auch, als in einer weiteren Geschichte eine Frau ihren betrunken auf dem Boden liegenden Liebhaber traktiert, bis er wimmert, und behauptet: "Das musste sein!" Kurze, manchmal brutale Ausbrüche bestimmen das Leben der Protagonisten; Ausbrüche, die wirken wie eine Entscheidung, aber keine sind.
Entscheidungen wären Gift für die unbestimmte, schwebende Existenz, die Hanna Lemkes Figuren führen. Sie lassen sich auf nichts festlegen, nicht auf Ziele, nicht auf Gefühle, nicht auf Freundschaften, geschweige denn auf einen Beruf. Hier agiert keine arrivierte Großstadtbohème wie damals in Judith Hermanns "Sommerhaus, später" - hier lebt der verunsicherte Akademikernachwuchs ein überwiegend ambitionsloses Leben. "Du bist noch auf der Suche", sagt einer der Protagonisten, "aber da ist nichts."
Leichte, kurze, lakonische Geschichten hat Hanna Lemke verfasst. Geschichten, die einfach daherkommen und ihre Tiefe erst entwickeln, wenn man sie weggelegt hat. Die junge Autorin erzählt wie nebenbei von der Haltlosigkeit junger Menschen, braucht dazu jedoch nicht den Drogenkult einer Helene Hegemann. Sie vertraut lieber ohne jedes ästhetische Posieren und mit weitgehendem Verzicht auf Metaphern der erzählerischen Kraft ihrer Geschichten. Dabei entwickelt ihre Literatur einen Zauber, eine Ausstrahlung, einen Atem. Hanna Lemke legt ein unverwechselbares Debüt vor.
Besprochen von Vladimir Balzer
Hanna Lemke: Gesichertes
Stories
Kunstmann Verlag, München 2010
192 Seiten, 17,90 Euro