"Nichts ist in London schneller"
Anlässlich des 150-jährigen Bestehens der Londoner U-Bahn erklärt Deutschlandradio-Korrepondent Jochen Spengler die Beliebtheit der Tube, weshalb einige Bahnhöfe verwirrend sind und warum es keinen Grund gibt, in der Bahn zu sprechen.
Susanne Führer: Heute vor 150 Jahren, am 9. Januar 1863, lud die Londoner U-Bahn zur Eröffnungsfahrt. Einen Tag später, am 10. Januar, begann dann der reguläre Betrieb. 150 Jahre London Underground, das Thema im Gespräch mit unserem London-Korrespondenten Jochen Spengler, der wie Millionen andere auch oft mit der Tube fahren darf - oder muss, je nachdem! Tag, Herr Spengler!
Jochen Spengler: Tag, Frau Führer!
Führer: Ich habe gehört, die Londoner würden ihre U-Bahn zugleich hassen und lieben. Wie ist das mit Ihnen?
Spengler: Also, ich bekenne, ich gehöre zu denen, die sie lieben, Frau Führer! Denn nichts ist in London schneller, man kommt mit ihr überall hin, sie ist sicher, sie ist relativ sauber, sie ist unterhaltsam mit ihren lizenzierten Straßenmusikern, und außerdem halte ich sie auch für übersichtlich.
Man findet sich eigentlich gut zurecht, wenn man einmal den genialen U-Bahn-Plan kapiert hat und dass man sich merken muss, in welche Richtung man will, Westbound oder Eastbound, also Norden, Osten, Süden, Westen, weil so ja die Bahnsteige gekennzeichnet sind. Ich gebe allerdings zu, einige Bahnhöfe sind so verwirrend – also, Bank zum Beispiel oder Old Street –, dass ich garantiert immer den Ausgang erwische, den ich nun gerade nicht wollte, und ich bin auch keiner von den Millionen Pendlern, die jeden Tag auf die Tube angewiesen sind und dann womöglich auch noch zu den Stoßzeiten.
Da steht man dann morgens schon mal, halb acht, in Waterloo Station – ich habe es einmal erlebt – in langen Schlagen, muss sechs, sieben U-Bahnen vorbeiziehen lassen, ehe man sich dann hineinzwängt, sich dann da wie eine Ölsardine fühlt, und wenn es dann nicht mehr weitergeht, weil irgendwo ein Signalfehler ist, dann muss man schon die Geduld und die Gelassenheit eines Briten aufbringen! Das macht aber noch weniger Spaß, muss ich sagen ...
Führer: Daraus erklärt sich dann das ...
Spengler: Das macht aber noch weniger Spaß, als stundenlang im Auto im Londoner Stau zu stehen, das habe ich auch schon erlebt. Also, ich finde, dass sich die Ausfälle, die Verspätungen der U-Bahn ziemlich in Grenzen halten. Man muss allerdings zu Hause im Internet vorher nachgucken, ob es irgendwelche Störungen oder Wartungsarbeiten gibt. Übrigens mit Vorliebe am Wochenende, weil dann ja nur die Touristen betroffen sind!
Führer: Die Briten gelten bei uns ja häufig so als etwas skurril, ein Land, was von vielen ungeschriebenen Regeln regiert wird. Wie ist das in der U-Bahn, gibt es da auch solche ungeschriebenen Benimmregeln?
Spengler: Ja, jede Menge! Ein Londoner hat sogar eine Art Knigge rausgegeben für Touristen, ich lese mal da Auszüge vor! Also, erstens, schreibt er: Es gibt keinen Grund, in der Tube zu sprechen! Niemand spricht, die meisten lesen Tageszeitungen oder ein Buch, alle wollen ihre Ruhe haben! Zweitens: Nicht starren, Augenkontakt ist verboten! Wie wir Briten sagen: Wenn Gott gewollt hätte, dass wir uns in der Tube anschauen, hätte er den "Evening Standard" nicht erschaffen! Das ist eine Zeitung, die nachmittags kostenlos verteilt wird. Drittens: Nehmt den verdammten Rucksack ab! Wer seinen Rucksack in einer überfüllten Tube nicht zwischen seine Beine stellt, nimmt einem zahlenden Passagier den Platz weg! Viertens: Auf den 426 Rolltreppen der Tube steht man rechts, um Menschen, die es eilig haben, weil sie zur Arbeit müssen, das Überholen zu ermöglichen! Man steht niemals nebeneinander! Und so weiter, und so weiter, es gibt noch ein paar mehr, aber ich mache hier mal einen Punkt!
Führer: Blicken wir mal auf die Anfänge, Herr Spengler: Die Londoner waren ja die Ersten, die auf diese Idee einer städtischen Untergrundbahn kamen. Die Pariser Métro wurde ja erst 1900 eröffnet, zum Beispiel. War denn aber 1863 der Straßenverkehr in London schon genau so höllisch wie heute?
Spengler: Ja, war er! Es gab vor 150 Jahren in London mehr als zweieinhalb Millionen Einwohner, und die engen Straßen, die waren völlig verstopft von Kutschen und von Bussen oder Bahnen, die durch Pferde gezogen wurden. Dann gab es am Londoner Stadtrand eine ganze Reihe von Kopfbahnhöfen, und die Idee war nun, mit der U-Bahn diese Bahnhöfe unterirdisch zu verbinden.
Denn ein Reisender brauchte damals für 80 Kilometer mit der Bahn von Brighton bis London weniger Zeit als von einem Londoner Bahnhof zum anderen. Da muss man wohl sagen, das waren jetzt drei Jahre Bauzeit, etwas außerhalb, diese neue Strecke, von Londons Zentrum, im Norden, zwischen Bahnhof Paddington und Ferringdon, knapp sechs Kilometer, und es war noch eine Dampflok. Also keine typische U-Bahn, auch mit einem Tunnel, tief unter der Erde. Man hat einfach von oben unter vorhandenen Straßen einen tiefen Graben ausgehoben, später wieder mit Eisenträgern und mit Ziegelsteinen überdacht, erst 20 Jahre später wurden dann wirklich Röhren tief in der Erde verlegt.
Führer: Und war das gleich ein Erfolg, die U-Bahn? Wurde sie gleich angenommen von allen?
Spengler: Doch ... Ja, also, sonst hätte sie ja auch kaum den weltweiten Siegeszug angetreten! Also, vor der Eröffnung hatte die "Times" noch geunkt, die U-Bahn sei eine Beleidigung der Vernunft, niemand werde freiwillig durch die Dunkelheit des stinkenden Unterbodens von London reisen! Und dann gab es damals den Premierminister, Lord Palmerston hieß der, der war 78 und der verweigerte sich der Jungfernfahrt mit den Worten: In seinem Alter wolle er so viel Zeit wie möglich über der Erde verbringen! Aber schon in den ersten Tagen dieser neuen U-Bahn-Strecke, Metropolitan Line, nutzten täglich 25.000 Londoner sie! Und dann jubelte die "Times" auch, die U-Bahn sei eine der großen Ingenieurleistungen der Epoche und so weiter, und so weiter.
Die privaten Betreiber machten im ersten Jahr einen Gewinn von 102.000 Pfund und ein paar Jahre später gab es dann die zweite Linie, fünf Jahre später zweite Linie. Und der internationale Durchbruch der U-Bahn, der kam dann erst 30 Jahre später, als man tiefer graben konnte und als auch die Züge dann mit Strom betrieben wurden und nicht mehr mit Dampf.
Führer: Und deswegen war wahrscheinlich auch die Luft am Anfang so entsetzlich schlecht, wegen des Dampfes?
Spengler: Ja, ich muss dazu sagen, die Luft ist auch heute nicht besonders. Es gibt Studien, die behaupten, 40 Minuten U-Bahn entsprechen zwei Zigaretten. Im Sommer ist es heiß da unten drin, es wurden schon über 40 Grad gemessen, im Winter braucht man eigentlich keinen Mantel. Aber vor 150 Jahren muss das alles sehr viel schlimmer gewesen sein!
Es wurde ja in den Waggons nicht nur Pfeife geraucht, sondern die Luft unter der Erde war wegen der Dampfloks voll von Schwefelgasen und es gab einfach am Beginn zu wenig Lüftungsschächte, wo die Loks dann mal wirklich wörtlich Dampf ablassen konnten! Und dann kam es dann bei den Passagieren häufiger zu Atemnot, zu Erstickungsanfällen. Ein Reisender hat geschrieben, die Fahrt sei eine Form von milder Folter gewesen!
Führer: Die Londoner U-Bahn wird 150, das ist unser Thema im Gespräch mit unserem Korrespondenten Jochen Spengler im Deutschlandradio Kultur. 150 Jahre, Herr Spengler, das ist ein ganz schönes Alter! Wie modern ist denn heute das Netz insgesamt?
Spengler: Ja, ich will mal so sagen: Das Schöne an der U-Bahn ist, dass die Stationen heute noch alle Epochen der Architekturgeschichte der letzten 150 Jahre zeigen. Die Briten hegen und pflegen ja Altes, und so gibt es neben diesen modernen Stationen, der Jubilee Line von Norman Foster, auch immer noch wunderbar erhaltene U-Bahn-Stationen im Bauhausstil, im Jugendstil oder aus der viktorianischen Gründerzeit, Baker Street etwa.
Und insgesamt ist die U-Bahn mit ihren 402 Kilometern, die Sie erwähnt haben am Anfang, ein lebender Organismus, ab dem aber gerade immer irgendwo wieder etwas repariert werden muss. Man hat dann allerdings zu Beginn der 90er-Jahre wirklich Geld in die Hand genommen. Das war auch nötig, nachdem man sie jahrzehntelang vernachlässigt hatte. Da hat man neue, moderne Strecken gebaut, eben die Jubilee Line, und seit einem Jahrzehnt restauriert man auch die ganzen alten Linien, eine nach der anderen.
Und dass die Tube im Grunde ... moderne Strecken ... Ja gut, sie ist immer weiter ausgebaut worden, aber dass sie im Grunde ziemlich zuverlässig arbeitet, das hat sie letztes Jahr bei den Olympischen Spielen gezeigt!
Führer: Wer betreibt eigentlich die London Underground? Ist sie auch wie viele Fernzüge privatisiert worden, oder bekommt sie, ähnlich wie in Deutschland, öffentliche Zuschüsse?
Spengler: In der Hinsicht hat sie eine ganz wechselvolle Geschichte hinter sich. Am Anfang waren es Privatunternehmer, die mutig investiert haben, die dann aber ohne Koordinierung vor sich hinbauten, auch eifersüchtig waren, Konkurrenz machten. Dann gab es lange ein konfuses Nebenher, Anfang des letzten Jahrhunderts gab es ein konfuses nebenher von Privat- und öffentlichem Besitz, bis dann 1933 eine Art Körperschaft öffentlichen Rechts gegründet wurde, das war London Transport.
Da wurde dann auch diese berühmte U-Bahn-Karte, die Map rausgegeben, die Geschichte gemacht hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dann die Tube verstaatlicht, unter Thatcher gab es Privatisierungsversuche, die gingen dann aber daneben, und inzwischen, also heute, gehört die Tube wieder der Londoner Verkehrsbehörde TfL, Transport for London.
Ihr Umsatz jährlich: 2,5 Milliarden Euro. Das ist etwas mehr als die Betriebskosten, sie macht also kein Defizit, nur für diese großen neuen Infrastrukturinvestitionen, da muss der Staat ran.
Führer: Die Londoner waren also die Ersten mit einer U-Bahn, es hat dann 30 Jahre gedauert, bis Glasgow und Budapest folgten, später dann Paris und viele andere Städte. Ist man da heute eigentlich stolz drauf?
Spengler: Ja, man ist stolz darauf! Die U-Bahn ist eine Ikone, natürlich gibt es Menschen, die haben Sie am Anfang erwähnt, man hasst oder man liebt sie, meistens ist es beides. Aber es ist natürlich, ohne die U-Bahn ist London nicht vorstellbar und es gibt nun auch, 150 Jahre, irgendwie jede Menge zu feiern!
Es wird das ganze Jahr über gefeiert und die offiziellen Feierlichkeiten gehen los am kommenden Sonntag, dann wird es eine Jubiläumsfahrt auf der alten Strecke geben mit einer restaurierten Dampflok. Die ursprüngliche Dampflok steht übrigens im Londoner Transportmuseum, sehr sehenswert! Dann gibt es noch eine ganze Reihe von weiteren Dampflokfahrten, darüber hinaus werden neue Zwei-Pfund-Münzen zu Ehren der Tube geprägt, es wird Poster geben, Kurzgeschichten, Gedichte werden veröffentlicht und Theateraufführungen in einer stillgelegten U-Bahn. Also, man kann das gar nicht alles aufzählen!
Führer: Das war unser Korrespondent Jochen Spengler, live aus London. Danke fürs Gespräch und weiterhin gute Fahrt mit der Tube, Herr Spengler!
Spengler: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Jochen Spengler: Tag, Frau Führer!
Führer: Ich habe gehört, die Londoner würden ihre U-Bahn zugleich hassen und lieben. Wie ist das mit Ihnen?
Spengler: Also, ich bekenne, ich gehöre zu denen, die sie lieben, Frau Führer! Denn nichts ist in London schneller, man kommt mit ihr überall hin, sie ist sicher, sie ist relativ sauber, sie ist unterhaltsam mit ihren lizenzierten Straßenmusikern, und außerdem halte ich sie auch für übersichtlich.
Man findet sich eigentlich gut zurecht, wenn man einmal den genialen U-Bahn-Plan kapiert hat und dass man sich merken muss, in welche Richtung man will, Westbound oder Eastbound, also Norden, Osten, Süden, Westen, weil so ja die Bahnsteige gekennzeichnet sind. Ich gebe allerdings zu, einige Bahnhöfe sind so verwirrend – also, Bank zum Beispiel oder Old Street –, dass ich garantiert immer den Ausgang erwische, den ich nun gerade nicht wollte, und ich bin auch keiner von den Millionen Pendlern, die jeden Tag auf die Tube angewiesen sind und dann womöglich auch noch zu den Stoßzeiten.
Da steht man dann morgens schon mal, halb acht, in Waterloo Station – ich habe es einmal erlebt – in langen Schlagen, muss sechs, sieben U-Bahnen vorbeiziehen lassen, ehe man sich dann hineinzwängt, sich dann da wie eine Ölsardine fühlt, und wenn es dann nicht mehr weitergeht, weil irgendwo ein Signalfehler ist, dann muss man schon die Geduld und die Gelassenheit eines Briten aufbringen! Das macht aber noch weniger Spaß, muss ich sagen ...
Führer: Daraus erklärt sich dann das ...
Spengler: Das macht aber noch weniger Spaß, als stundenlang im Auto im Londoner Stau zu stehen, das habe ich auch schon erlebt. Also, ich finde, dass sich die Ausfälle, die Verspätungen der U-Bahn ziemlich in Grenzen halten. Man muss allerdings zu Hause im Internet vorher nachgucken, ob es irgendwelche Störungen oder Wartungsarbeiten gibt. Übrigens mit Vorliebe am Wochenende, weil dann ja nur die Touristen betroffen sind!
Führer: Die Briten gelten bei uns ja häufig so als etwas skurril, ein Land, was von vielen ungeschriebenen Regeln regiert wird. Wie ist das in der U-Bahn, gibt es da auch solche ungeschriebenen Benimmregeln?
Spengler: Ja, jede Menge! Ein Londoner hat sogar eine Art Knigge rausgegeben für Touristen, ich lese mal da Auszüge vor! Also, erstens, schreibt er: Es gibt keinen Grund, in der Tube zu sprechen! Niemand spricht, die meisten lesen Tageszeitungen oder ein Buch, alle wollen ihre Ruhe haben! Zweitens: Nicht starren, Augenkontakt ist verboten! Wie wir Briten sagen: Wenn Gott gewollt hätte, dass wir uns in der Tube anschauen, hätte er den "Evening Standard" nicht erschaffen! Das ist eine Zeitung, die nachmittags kostenlos verteilt wird. Drittens: Nehmt den verdammten Rucksack ab! Wer seinen Rucksack in einer überfüllten Tube nicht zwischen seine Beine stellt, nimmt einem zahlenden Passagier den Platz weg! Viertens: Auf den 426 Rolltreppen der Tube steht man rechts, um Menschen, die es eilig haben, weil sie zur Arbeit müssen, das Überholen zu ermöglichen! Man steht niemals nebeneinander! Und so weiter, und so weiter, es gibt noch ein paar mehr, aber ich mache hier mal einen Punkt!
Führer: Blicken wir mal auf die Anfänge, Herr Spengler: Die Londoner waren ja die Ersten, die auf diese Idee einer städtischen Untergrundbahn kamen. Die Pariser Métro wurde ja erst 1900 eröffnet, zum Beispiel. War denn aber 1863 der Straßenverkehr in London schon genau so höllisch wie heute?
Spengler: Ja, war er! Es gab vor 150 Jahren in London mehr als zweieinhalb Millionen Einwohner, und die engen Straßen, die waren völlig verstopft von Kutschen und von Bussen oder Bahnen, die durch Pferde gezogen wurden. Dann gab es am Londoner Stadtrand eine ganze Reihe von Kopfbahnhöfen, und die Idee war nun, mit der U-Bahn diese Bahnhöfe unterirdisch zu verbinden.
Denn ein Reisender brauchte damals für 80 Kilometer mit der Bahn von Brighton bis London weniger Zeit als von einem Londoner Bahnhof zum anderen. Da muss man wohl sagen, das waren jetzt drei Jahre Bauzeit, etwas außerhalb, diese neue Strecke, von Londons Zentrum, im Norden, zwischen Bahnhof Paddington und Ferringdon, knapp sechs Kilometer, und es war noch eine Dampflok. Also keine typische U-Bahn, auch mit einem Tunnel, tief unter der Erde. Man hat einfach von oben unter vorhandenen Straßen einen tiefen Graben ausgehoben, später wieder mit Eisenträgern und mit Ziegelsteinen überdacht, erst 20 Jahre später wurden dann wirklich Röhren tief in der Erde verlegt.
Führer: Und war das gleich ein Erfolg, die U-Bahn? Wurde sie gleich angenommen von allen?
Spengler: Doch ... Ja, also, sonst hätte sie ja auch kaum den weltweiten Siegeszug angetreten! Also, vor der Eröffnung hatte die "Times" noch geunkt, die U-Bahn sei eine Beleidigung der Vernunft, niemand werde freiwillig durch die Dunkelheit des stinkenden Unterbodens von London reisen! Und dann gab es damals den Premierminister, Lord Palmerston hieß der, der war 78 und der verweigerte sich der Jungfernfahrt mit den Worten: In seinem Alter wolle er so viel Zeit wie möglich über der Erde verbringen! Aber schon in den ersten Tagen dieser neuen U-Bahn-Strecke, Metropolitan Line, nutzten täglich 25.000 Londoner sie! Und dann jubelte die "Times" auch, die U-Bahn sei eine der großen Ingenieurleistungen der Epoche und so weiter, und so weiter.
Die privaten Betreiber machten im ersten Jahr einen Gewinn von 102.000 Pfund und ein paar Jahre später gab es dann die zweite Linie, fünf Jahre später zweite Linie. Und der internationale Durchbruch der U-Bahn, der kam dann erst 30 Jahre später, als man tiefer graben konnte und als auch die Züge dann mit Strom betrieben wurden und nicht mehr mit Dampf.
Führer: Und deswegen war wahrscheinlich auch die Luft am Anfang so entsetzlich schlecht, wegen des Dampfes?
Spengler: Ja, ich muss dazu sagen, die Luft ist auch heute nicht besonders. Es gibt Studien, die behaupten, 40 Minuten U-Bahn entsprechen zwei Zigaretten. Im Sommer ist es heiß da unten drin, es wurden schon über 40 Grad gemessen, im Winter braucht man eigentlich keinen Mantel. Aber vor 150 Jahren muss das alles sehr viel schlimmer gewesen sein!
Es wurde ja in den Waggons nicht nur Pfeife geraucht, sondern die Luft unter der Erde war wegen der Dampfloks voll von Schwefelgasen und es gab einfach am Beginn zu wenig Lüftungsschächte, wo die Loks dann mal wirklich wörtlich Dampf ablassen konnten! Und dann kam es dann bei den Passagieren häufiger zu Atemnot, zu Erstickungsanfällen. Ein Reisender hat geschrieben, die Fahrt sei eine Form von milder Folter gewesen!
Führer: Die Londoner U-Bahn wird 150, das ist unser Thema im Gespräch mit unserem Korrespondenten Jochen Spengler im Deutschlandradio Kultur. 150 Jahre, Herr Spengler, das ist ein ganz schönes Alter! Wie modern ist denn heute das Netz insgesamt?
Spengler: Ja, ich will mal so sagen: Das Schöne an der U-Bahn ist, dass die Stationen heute noch alle Epochen der Architekturgeschichte der letzten 150 Jahre zeigen. Die Briten hegen und pflegen ja Altes, und so gibt es neben diesen modernen Stationen, der Jubilee Line von Norman Foster, auch immer noch wunderbar erhaltene U-Bahn-Stationen im Bauhausstil, im Jugendstil oder aus der viktorianischen Gründerzeit, Baker Street etwa.
Und insgesamt ist die U-Bahn mit ihren 402 Kilometern, die Sie erwähnt haben am Anfang, ein lebender Organismus, ab dem aber gerade immer irgendwo wieder etwas repariert werden muss. Man hat dann allerdings zu Beginn der 90er-Jahre wirklich Geld in die Hand genommen. Das war auch nötig, nachdem man sie jahrzehntelang vernachlässigt hatte. Da hat man neue, moderne Strecken gebaut, eben die Jubilee Line, und seit einem Jahrzehnt restauriert man auch die ganzen alten Linien, eine nach der anderen.
Und dass die Tube im Grunde ... moderne Strecken ... Ja gut, sie ist immer weiter ausgebaut worden, aber dass sie im Grunde ziemlich zuverlässig arbeitet, das hat sie letztes Jahr bei den Olympischen Spielen gezeigt!
Führer: Wer betreibt eigentlich die London Underground? Ist sie auch wie viele Fernzüge privatisiert worden, oder bekommt sie, ähnlich wie in Deutschland, öffentliche Zuschüsse?
Spengler: In der Hinsicht hat sie eine ganz wechselvolle Geschichte hinter sich. Am Anfang waren es Privatunternehmer, die mutig investiert haben, die dann aber ohne Koordinierung vor sich hinbauten, auch eifersüchtig waren, Konkurrenz machten. Dann gab es lange ein konfuses Nebenher, Anfang des letzten Jahrhunderts gab es ein konfuses nebenher von Privat- und öffentlichem Besitz, bis dann 1933 eine Art Körperschaft öffentlichen Rechts gegründet wurde, das war London Transport.
Da wurde dann auch diese berühmte U-Bahn-Karte, die Map rausgegeben, die Geschichte gemacht hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dann die Tube verstaatlicht, unter Thatcher gab es Privatisierungsversuche, die gingen dann aber daneben, und inzwischen, also heute, gehört die Tube wieder der Londoner Verkehrsbehörde TfL, Transport for London.
Ihr Umsatz jährlich: 2,5 Milliarden Euro. Das ist etwas mehr als die Betriebskosten, sie macht also kein Defizit, nur für diese großen neuen Infrastrukturinvestitionen, da muss der Staat ran.
Führer: Die Londoner waren also die Ersten mit einer U-Bahn, es hat dann 30 Jahre gedauert, bis Glasgow und Budapest folgten, später dann Paris und viele andere Städte. Ist man da heute eigentlich stolz drauf?
Spengler: Ja, man ist stolz darauf! Die U-Bahn ist eine Ikone, natürlich gibt es Menschen, die haben Sie am Anfang erwähnt, man hasst oder man liebt sie, meistens ist es beides. Aber es ist natürlich, ohne die U-Bahn ist London nicht vorstellbar und es gibt nun auch, 150 Jahre, irgendwie jede Menge zu feiern!
Es wird das ganze Jahr über gefeiert und die offiziellen Feierlichkeiten gehen los am kommenden Sonntag, dann wird es eine Jubiläumsfahrt auf der alten Strecke geben mit einer restaurierten Dampflok. Die ursprüngliche Dampflok steht übrigens im Londoner Transportmuseum, sehr sehenswert! Dann gibt es noch eine ganze Reihe von weiteren Dampflokfahrten, darüber hinaus werden neue Zwei-Pfund-Münzen zu Ehren der Tube geprägt, es wird Poster geben, Kurzgeschichten, Gedichte werden veröffentlicht und Theateraufführungen in einer stillgelegten U-Bahn. Also, man kann das gar nicht alles aufzählen!
Führer: Das war unser Korrespondent Jochen Spengler, live aus London. Danke fürs Gespräch und weiterhin gute Fahrt mit der Tube, Herr Spengler!
Spengler: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.