Nichts für den schnellen Konsum
Am 19. Dezember 2010, wäre er 60 Jahre alt geworden: Der Schriftsteller und DDR-Bürgerrechtler Jürgen Fuchs. "Das Ende einer Feigheit" würdigt sein literarisches Werk - mit historischen Aufnahmen von RIAS Berlin und Deutschlandfunk. Eine spannende literarische Dokumentation, kein Hörbuch für den schnellen Konsum.
"Das Schlimme ist nicht, in einer Zelle zu sitzen und verhört zu werden. Erst danach, wenn du wieder vor einem Baum stehst oder eine Flasche Bier trinkst und dich freuen willst, richtig freuen wie vorher, erst danach."
Tagesnotizen. Zwei Sätze. Ein Abgrund. Jürgen Fuchs war 9 Monate im berüchtigten Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen inhaftiert gewesen. Dann wurde er aus der DDR ausgebürgert und nach West-Berlin entlassen. In den Tagesnotizen hat er Eindrücke aus der Zeit danach festgehalten. Als er freigelassen war, aber nicht frei. Man braucht beim Hören dieses Hörbuchs die Pausentaste, um den Abgrund zu erfassen, in den er die Hörer mit dieser knappen Tagesnotiz blicken lässt.
"Das Schlimme ist nicht, in einer Zelle zu sitzen und verhört zu werden. Erst danach, wenn du wieder vor einem Baum stehst oder eine Flasche Bier trinkst und dich freuen willst, richtig freuen wie vorher, erst danach."
Jürgen Fuchs, ausgebürgert nach der Stasi-Haft in die Welt auf der anderen Seite der Mauer:
"Aber hier in einer Fremde, die meine Sprache spricht. Hier."
Es gibt kaum eindringlichere Zeugnisse eines Lebens in dem zerrissenen Land im Kalten Krieg als die von Jürgen Fuchs, der kurz vor dem Abschluss seines Psychologiestudiums bei der SED in Ungnade fiel, sein Studium abbrechen musste, nach Protesten gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann verhaftet, aus der DDR ausgebürgert wurde und dann in West-Berlin als Sozialpsychologe und Schriftsteller arbeitete. Wie die anderen Ausgebürgerten: in der Fremde, die seine Sprache sprach.
"Ich weiß, wir werden sterben in diesen Kaufhäusern, noch bevor wir gelernt haben, die fremden Münzen zu erkennen in unserer Hand. Denn diese Welt ist aus Stein, und wir haben nicht ihre Kälte."
Fuchs ragte heraus unter den DDR-Dissidenten, die in den Westen gezwungen wurden - weil er in der Lage war, auch in der anderen Welt seinen Weg zu gehen und die Konfrontation mit der neuen Welt literarisch zu verarbeiten. Er war kein Widerständler in der DDR, der sich im goldenen Westen anpasste. Eigentlich gehörte er zu jenen, die das SED-Credo vom Aufbau einer neuen, besseren Gesellschaft ernst nehmen wollten und genau deswegen mit den Machthabern in Konflikt gerieten.
"Es hat sich doch etwas abgespielt, wo solche Begriffe wie Sozialismus, also alle die Gutheitsbegriffe, Menschlichkeit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Proletarier aller Länder vereinigt Euch, in einer solchen Weise benutzt und abgenutzt und missbraucht wurden, dass es einem ja schwindlig wird, wenn man sagt oder behauptet, ich bin Sozialist oder Kommunist. Warum ich Gedichte zum Beispiel geschrieben habe, heißt: Ich will etwas konkret sagen. Und keine Artikel oder Pamphlete schreiben, sondern Phrasen oder Ideologie zerstören. Ich habe eine zerstörerische Absicht, so muss ich es bekennen."
Das sagte Jürgen Fuchs im Gespräch mit dem Literaturredakteur Hans-Georg Soldat im West-Berliner Rundfunksender RIAS. Das Hörbuch, das nun zum 60. Geburtstag von Jürgen Fuchs erscheint, dokumentiert eindrucksvolle Aufnahmen mit Fuchs im Deutschlandfunk und im RIAS. Er liest Gedichte aus den Zyklen "Tagesnotizen" und "Pappkameraden" und "Ende einer Feigheit". Militäralltag. In der NVA, aber nicht nur.
"Noch mal von vorn. Bis du begreifst. Was sie aus dir machen. Was du aus dir machst. Was du aus dir machen lässt. Was du mit anderen machst. Was andere mit dir machen. Nicht aus der Übung kommen. Der Arsch bleiben, der du schon mal warst. Nichts Student, Diplom, Literatur, Gedichte. Runter meine Herrschaften. Es wurde ein Eid geleistet, die Fahne vergisst keinen. Erinnert sich an jeden einzelnen. Ist das klar. Ob das klar ist. Ja, es ist klar. Und was ist, wenn es klar ist? Schnauze, Ruhe im Glied. Das ist."
So unerbittlich die Armee, die DDR -
"Ein Sozialismus der Unteroffiziere."
- so unerbittlich die Staatsgewalt der DDR auf die Bürger zugriff, so schonungslos richtete Jürgen Fuchs den Blick auf die Zustände, in der Armee, im Staat, in der Gesellschaft. Das Hörbuch präsentiert literarische Dokumente einer Zeit, die einen sensiblen und wachen Menschen wie ihn auf eine Weise existenziell herausgefordert hat, die uns heute fast fremd geworden ist.
"Seine Literatur ist Sprachkunst mit dem Blick der kleinen Bahnstationen. Emotionale Nahaufnahme des einzelnen Lebens im Sozialismus. Dokumentarische Poesie. Die Texte belehren nicht, aber sie vergrößern die Augen. Wer ins Äußere und Innere von Macht und Ohnmacht schauen will, wird sie lesen müssen."
Das sagt Herta Müller in ihrem einleitenden Essay. "Jürgen Fuchs. Das Ende einer Feigheit" ist eine spannende literarische Dokumentation, kein Hörbuch für den schnellen Konsum. Die Pausentaste ist die wichtigste Hilfe, um mit den eigenen Gedanken nachzukommen.
Besprochen von Winfried Sträter
Jürgen Fuchs: Das Ende einer Feigheit
Mit einer Einführung von Herta Müller und einem Lied von Wolf Biermann
Hörbuch Hamburg, Hamburg 2010
2 CDs, 151 Minuten, 14,95 Euro
Verlagshomepage
Tagesnotizen. Zwei Sätze. Ein Abgrund. Jürgen Fuchs war 9 Monate im berüchtigten Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen inhaftiert gewesen. Dann wurde er aus der DDR ausgebürgert und nach West-Berlin entlassen. In den Tagesnotizen hat er Eindrücke aus der Zeit danach festgehalten. Als er freigelassen war, aber nicht frei. Man braucht beim Hören dieses Hörbuchs die Pausentaste, um den Abgrund zu erfassen, in den er die Hörer mit dieser knappen Tagesnotiz blicken lässt.
"Das Schlimme ist nicht, in einer Zelle zu sitzen und verhört zu werden. Erst danach, wenn du wieder vor einem Baum stehst oder eine Flasche Bier trinkst und dich freuen willst, richtig freuen wie vorher, erst danach."
Jürgen Fuchs, ausgebürgert nach der Stasi-Haft in die Welt auf der anderen Seite der Mauer:
"Aber hier in einer Fremde, die meine Sprache spricht. Hier."
Es gibt kaum eindringlichere Zeugnisse eines Lebens in dem zerrissenen Land im Kalten Krieg als die von Jürgen Fuchs, der kurz vor dem Abschluss seines Psychologiestudiums bei der SED in Ungnade fiel, sein Studium abbrechen musste, nach Protesten gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann verhaftet, aus der DDR ausgebürgert wurde und dann in West-Berlin als Sozialpsychologe und Schriftsteller arbeitete. Wie die anderen Ausgebürgerten: in der Fremde, die seine Sprache sprach.
"Ich weiß, wir werden sterben in diesen Kaufhäusern, noch bevor wir gelernt haben, die fremden Münzen zu erkennen in unserer Hand. Denn diese Welt ist aus Stein, und wir haben nicht ihre Kälte."
Fuchs ragte heraus unter den DDR-Dissidenten, die in den Westen gezwungen wurden - weil er in der Lage war, auch in der anderen Welt seinen Weg zu gehen und die Konfrontation mit der neuen Welt literarisch zu verarbeiten. Er war kein Widerständler in der DDR, der sich im goldenen Westen anpasste. Eigentlich gehörte er zu jenen, die das SED-Credo vom Aufbau einer neuen, besseren Gesellschaft ernst nehmen wollten und genau deswegen mit den Machthabern in Konflikt gerieten.
"Es hat sich doch etwas abgespielt, wo solche Begriffe wie Sozialismus, also alle die Gutheitsbegriffe, Menschlichkeit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Proletarier aller Länder vereinigt Euch, in einer solchen Weise benutzt und abgenutzt und missbraucht wurden, dass es einem ja schwindlig wird, wenn man sagt oder behauptet, ich bin Sozialist oder Kommunist. Warum ich Gedichte zum Beispiel geschrieben habe, heißt: Ich will etwas konkret sagen. Und keine Artikel oder Pamphlete schreiben, sondern Phrasen oder Ideologie zerstören. Ich habe eine zerstörerische Absicht, so muss ich es bekennen."
Das sagte Jürgen Fuchs im Gespräch mit dem Literaturredakteur Hans-Georg Soldat im West-Berliner Rundfunksender RIAS. Das Hörbuch, das nun zum 60. Geburtstag von Jürgen Fuchs erscheint, dokumentiert eindrucksvolle Aufnahmen mit Fuchs im Deutschlandfunk und im RIAS. Er liest Gedichte aus den Zyklen "Tagesnotizen" und "Pappkameraden" und "Ende einer Feigheit". Militäralltag. In der NVA, aber nicht nur.
"Noch mal von vorn. Bis du begreifst. Was sie aus dir machen. Was du aus dir machst. Was du aus dir machen lässt. Was du mit anderen machst. Was andere mit dir machen. Nicht aus der Übung kommen. Der Arsch bleiben, der du schon mal warst. Nichts Student, Diplom, Literatur, Gedichte. Runter meine Herrschaften. Es wurde ein Eid geleistet, die Fahne vergisst keinen. Erinnert sich an jeden einzelnen. Ist das klar. Ob das klar ist. Ja, es ist klar. Und was ist, wenn es klar ist? Schnauze, Ruhe im Glied. Das ist."
So unerbittlich die Armee, die DDR -
"Ein Sozialismus der Unteroffiziere."
- so unerbittlich die Staatsgewalt der DDR auf die Bürger zugriff, so schonungslos richtete Jürgen Fuchs den Blick auf die Zustände, in der Armee, im Staat, in der Gesellschaft. Das Hörbuch präsentiert literarische Dokumente einer Zeit, die einen sensiblen und wachen Menschen wie ihn auf eine Weise existenziell herausgefordert hat, die uns heute fast fremd geworden ist.
"Seine Literatur ist Sprachkunst mit dem Blick der kleinen Bahnstationen. Emotionale Nahaufnahme des einzelnen Lebens im Sozialismus. Dokumentarische Poesie. Die Texte belehren nicht, aber sie vergrößern die Augen. Wer ins Äußere und Innere von Macht und Ohnmacht schauen will, wird sie lesen müssen."
Das sagt Herta Müller in ihrem einleitenden Essay. "Jürgen Fuchs. Das Ende einer Feigheit" ist eine spannende literarische Dokumentation, kein Hörbuch für den schnellen Konsum. Die Pausentaste ist die wichtigste Hilfe, um mit den eigenen Gedanken nachzukommen.
Besprochen von Winfried Sträter
Jürgen Fuchs: Das Ende einer Feigheit
Mit einer Einführung von Herta Müller und einem Lied von Wolf Biermann
Hörbuch Hamburg, Hamburg 2010
2 CDs, 151 Minuten, 14,95 Euro
Verlagshomepage