Nichts bleibt, wie es ist

Von Kim Kindermann · 29.03.2007
Seit ihrem Überraschungserfolg 2001, als sie den Lyrikpreis "Leonce und Lena" gewann, ist Silke Scheuermann zum Shootingstar der Literaturszene geworden. Nach zwei Gedichtbüchern sowie einem Erzählband ist nun ihr erster Roman "Die Stunde zwischen Hund und Wolf" erschienen. Gekonnt erzählt die in Frankfurt/M. lebende Autorin darin von geschwisterlicher Hassliebe.
" Mich interessieren Verwandlungen eigentlich. Also, auch innerhalb des menschlichen, was man auch mit seinem Körper machen kann. Was ja inzwischen schon viel ist durch die Chirurgie. Aber auch in der Mythologie, dass man immer die Bestrafung stattfinden lässt, dass ein Mensch in ein Tier verwandelt wird. Sehr spannend dieser Konflikt. Ja, alles ist letztendlich Verwandlung, das ist ja das interessante. Selbst die Jahreszeit. "

Nichts bleibt, wie es ist. Das gilt auch für Silke Scheuermann. Eben noch wirkte die 34-jährige artig und nett, mädchenhaft, dann auf einmal sexy und verführerisch. Einem Chamäleon ähnlich verwandelt sie sich. Eben noch hat sie mit leiser Stimme gesprochen, plötzlich lacht sie laut. Zurück bleibt man verzaubert von dieser zierlich-kleinen Frau, mit ihren dunkeln Locken und den blauen Augen. Eine Frau, die sich selbst als langweilig beschreibt. Zumindest wenn sie schreibt.

" Dann bin ich die langweiligste Person auf der Welt. Aber es macht auch Spaß. Je weniger passiert, umso produktiver ist man. Wobei es auch schon so eine Gefahr birgt. Draußen scheint die Sonne, man lässt halb den Rollladen runter, man vergisst das Leben draußen sehr leicht. "

Doch das Leben vergisst sie nicht. Seit ihrem Überraschungserfolg 2001 in Darmstadt, wo sie den Leonce-und-Lena-Preis gewann, ist Silke Scheuermann zum Shooting Star der Literaturszene geworden und ständig auf Achse. Beirut, Los Angeles, Rom, New York und letztlich erst Mumbai sind ihre Stationen, wenn sie nicht gerade zu Gast ist in Dresden oder in den Künstlerdörfern Schöppingen und Schryyahn. Dass ein Schriftstellerleben so viel mit Reisen zu tun hat, überrascht sie noch heute:

" Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich mit 20 total erschreckt gewesen und zu Hause geblieben, weil ich so extrem schüchtern war und nur den Text wollte, der für mich in die Welt geht und nicht ich selber. Im Inneren ist es heute auch noch so, dass ich denke, es muss doch reichen, dass man das Buch schreibt. Na es ist eben nicht ganz so. (Lachen.)"
Wieder so eine Wandlungsfähigkeit. Eigentlich zuhause sein wollen, aber doch auf Reisen gehen. Geboren wurde die knapp 1 Meter 60 große Frau, die modisch gekleidet mit Rock und braunen Stilettstiefeln alles andere als schüchtern wirkt, in Karlsruhe. Und zwar am 15. Juni 1973. In Karlsruhe wuchs Silke Scheuermann zusammen mit ihrem jüngeren Bruder auf. Literatur spielte im Haushalt Scheuermann keine Rolle.

" Überhaupt nicht! Würden jetzt zwar alle aufschreien, wir hatten ja zwei, drei Romane immer da stehen, aber mein Vater ist Ingenieur, Bauingenieur, meine Mutter ist Bankkauffrau, mein Bruder saß vor dem Computer. Es war angenehm, weil es genau mein eigener Bereich ist. Es was wirklich das, was ich für mich erschlossen habe, wo mir auch keiner groß reinreden konnte. Ich fand es ganz gut, dass ich nicht aus einem Professorenhaushalt komme. (Lachen.)"

Von Anfang an fühlt sich Silke Scheuermann in der Welt der Bücher zuhause. Taucht ein in deren Geschichten.

" Ich bin wahnsinnig an Büchern gehangen, so dass es alle genervt hat. Guck doch mal aus dem Fenster, da draußen ist auch eine Welt. Aber ich fand das, was in Büchern passierte, immer wesentlich interessanter, als das alles draußen. Ich bin ein richtiger Stubenhocker. Heute auch noch gerne, muss ich sagen, ja. "

Aller Stubenhockerei zum Trotz beginnt sie früh für eine Zeitung, die "Badischen Neusten Nachrichten", zu schreiben.

" Zehn Pfennig die Zeile und ich dachte, toller Job. (Lachen.) Ich habe eigentlich immer, wenn ich Geld brauchte, es mit Schreiben verdient. "

Während ihres Theaterwissenschaftlichen Studiums in Frankfurt am Main, Dresden und Paris, arbeitet sie weiter für verschiedene Zeitungen. Sie schreibt Theaterkritiken und verkauft erste kleine Gedichte. Aber erst nachdem sie den Wettbewerb in Darmstadt gewinnt, wird ihr Traum, von der Schriftstellerei leben zu können, wahr.

" Das war überhaupt kein Anfang mit Suchen, sondern wo ich einen Lotteriegewinn hatte. Es fing gut an. Kein zermürbender Anfang, bis ich endlich mein erstes Buch veröffentlich hatte. Ist ja auch so schwer genug: der Kampf ist ja auf dem Papier, insofern ist es angenehm, dass es von außen nicht so schwierig war. "

Nach zwei Gedicht- sowie einem Erzählband ist jetzt ihr erster Roman "Die Stunde zwischen Hund und Wolf" erschienen. Gekonnt erzählt die Autorin darin von geschwisterlicher Hassliebe, von Alkoholsucht und den damit verbundenen Rauschzuständen, vom Verlust der Selbstkontrolle und der Suche nach dem ich?

" Ich erlebe schon bei vielen Leuten, dass es extreme Ersatzhandlungen gibt, die Ängste bannen sollen. Das können Kleinigkeiten sein, wie sich schön machen oder so. Hinter allem lauert so eine Angst vor dem Tod, also für mich. Ich empfinde schon hinter allem so eine Schicht, die abgründig ist und ich kann mich schwer in eine Leichtigkeit so fallen lassen. "

Fallen lassen kann sich Silke Scheuermann so richtig nur zuhause. In Ihrer Frankfurter Altbauwohnung, die sie gemeinsam mit ihrem Freund Matthias Göritz bewohnt. Seit fünf Jahren sind die beiden Schriftsteller ein Paar. Kinder haben sie keine. Noch nicht. Aber auch das ist ja eine Frage der Wandelbarkeit.

" Ich dachte mir, dass ich erst "Die Stunde zwischen Hund und Wolf” schreiben muss und dann passiert alles mit der Familie. Und jetzt habe ich wieder eine neue Idee und jetzt denke ich, muss ich das erst noch machen. Mal gucken. (Lachen.) "