"Nicht zögerlich sein und auch was riskieren"

Von Natascha Freundel · 08.05.2012
In Fatih Akins Filmen "Auf der anderen Seite" und "Solino" war sie zu sehen, doch eigentlich kommt Patrycia Ziolkowska vom Theater. Seit der Spielzeit 2009 gehört sie zum Ensemble des Thalia Theaters Hamburg, mit dem sie zum wiederholten Mal zum Theatertreffen Berlin eingeladen ist.
"Ich bin so oft in meinem Leben bisher umgezogen. Mein Vater hat immer gesagt, dass ich ja dann doch ein Zigeunerkind bin. Ein Zigeunermädchen."
Auch das ist Globalisierung: In Fatih Akins Film "Auf der anderen Seite" landet die in Polen geborene Patrycia Ziolkowska als gebürtige Bremerin Lotte Staub in Istanbul, um ihre türkische Freundin Ayten aus dem Gefängnis zu holen. Mit dem Wechsel von einer Seite auf die andere kennt sich Patrycia Ziolkowska aus: Sie war zweieinhalb, als ihre Familie Polen verließ.

"Ja, das ist schon sehr wichtig für mich, allein die Sprache. Die Sprache, in der man auch irgendwo verwurzelt ist, obgleich ich ja hier sozialisiert wurde und nicht dort. Das heißt, ich bin natürlich in meiner Sprache, in meiner Muttersprache aufm ganz anderen Stand als im Deutschen jetzt. Weil ich da einfach nicht zur Schule gegangen bin. Und trotzdem ist mir das sehr wichtig, weil es mir sehr nah ist und was anderes in mir bewegt oder berührt. Vom Klang, von der Melodie. Wie ne Musik halt, die in einem einfach ist."

Es sei schade, sagt sie, dass in Deutschland kaum jemand ihren Namen polnisch aussprechen kann.

Seit dem großen Erfolg von Fatih Akins Film vor vier Jahren wird sie hin und wieder auf der Straße angesprochen. Ihr helles Gesicht mit den großen Augen, das kurze blonde Locken einrahmen, ihr burschikoser Gang fallen auf. Am Küchentisch ihrer Hamburger Wohnung wirkt sie weicher als Lotte Staub im Film; manchmal beinah kindlich naiv, dann wieder ganz reif. Etwas von Lottes Rastlosigkeit, ihrer Suche nach einem Sinn im Wohlstandsleben, steckt auch in Patrycia Ziolkowska

"Das hat auch sehr viel mit meiner Generation zu tun. (…) Das ist schon so'n bisschen, dass es so wenig Reibungsflächen gibt, es ist so'n bisschen lost. Sind so alles so Satelliten, die irgendwo umherkreisen und nicht irgendwo andocken. (…) Also dieses Zögerliche, keine Entscheidungen treffen können. Aber gleichzeitig auf den politischen Ebenen ja auch, aber das ist ja nicht nur n Spiegel meiner Generation, sondern unserer Gegenwart, also wie sich alles so komisch – alles ist wie in so Watte, finde ich, alles wird so gleichgemacht. Konflikte werden erstickt. Es wird auch suggeriert, dass man ein gutes Leben führt."

Den richtigen Ort für Reibungen und Konflikte hat die 31-Jährige längst für sich gefunden: Die Bühne. In Stolberg bei Aachen, wo sie aufwuchs, spielte sie schon in der Grundschule Theater. Ihre erste Rolle hatte sie in "Peter und der Wolf":

"Und da war ich ein Strauch! Ich war so Gräser im Wind. Hab ich gespielt. Gräser im Wind (Lacht)."

Im Gymnasium wäre sie am liebsten gleich in die Theatergruppe der Oberstufe gegangen:

"Irgendwann meinte meine Lehrerin, dass man das ja auch studieren kann. Und dann hab ich mich darauf vorbereitet, und gesagt, das würde ich mal gerne ausprobieren. Und so Bochum war meine erste Prüfung. Und es hat gleich geklappt. Und dann hab ich das Gymnasium abgebrochen. – Ein Jahr vorm Abitur."

Sie hat es nie bereut. Die Zeit in Bochum sei sehr wichtig gewesen, sagt sie. Am dortigen Schauspielhaus arbeiteten damals Jürgen Kruse, Dimiter Gotscheff und Leander Haußmann, der sie für Shakespeares "Maß für Maß" engagierte. Nach Gastrollen in Hannover, Hamburg und Berlin geht sie ans Schauspiel Bonn zu Thirza Bruncken und Stefan Otteni. Als Kriemhild in Karin Beiers Inszenierung der "Nibelungen" in Köln wird sie 2008 zur "Besten Hauptdarstellerin" beim NRW-Theaterfestival gekürt. Vergangenen Sommer kam sie nach Hamburg ans Thalia Theater.

"Nein. Nein! Bitte sagt es mir jetzt, mir zerspringt sonst das Herz. Bitte sagt mir, was hier los ist. Wenn er tot ist, hab ich ihn getötet."

In Luk Percevals Inszenierung von Gorkis "Kinder der Sonne" ist sie die hochsensible, immer am Abgrund stehende Lisa.

"Nein! Nein! Nein! (Schreit)"

"Wer zweifelt, Nathan, dass Ihr nicht die Ehrlichkeit, die Großmut selber seid? Und doch!"

Bei Regisseur Nicolas Stemann hinterfragt sie kühl die Autorität von Nathan, dem Weisen.

"Ich finde das Theater ja, auch wenn das so abgeschmackt klingt, aber es hat n Bildungsauftrag. Ich fänd das eklatant, wenn es zum Beispiel keine Theater mehr geben würde und man nur noch die Glotze einschaltet. Und wenn du tagsüber oder auch abends den Fernseher einschaltest, das ist doch die absolute Verrohung findet doch da grade statt. Es ist nicht nur Verrohung, es ist auch richtig Verdummung teilweise."

Patrycia Ziolkowska mag die Sängerin Peaches, die Weite Berlins und inzwischen auch ihr Hamburger Zuhause unweit vom Isebekkanal. Sie brauche ein Nest, sagt sie. Ein Nest, aus dem sie auch immer wieder ausfliegen kann. Hin zu anderen Ufern, auf eine andere Seite.

"Ich glaube, es ist wichtig, so auf seine innere Stimme zu hören bei allem, was man tut. Auf seine Intuition zu hören, das nicht zu vergessen, dass das nicht verschütt geht. Und dass man Dingen nachgeht, wo man das Gefühl hat, denen muss ich jetzt nachgehen, das muss ich jetzt tun. Nicht zögerlich sein und auch was riskieren."
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