Nicht von dieser Welt

Von Johannes Halder · 12.11.2009
Ideale Schönheit und höfische Festlichkeit machen die Malerei von Sandro Botticelli (1444/45 bis 1510) zu einem Markenzeichen der italienischen Renaissance. Die erste Ausstellung zu Botticelli im deutschsprachigen Raum zeigt rund 80 Werke des florentinischen Meisters, seiner Werkstatt und seiner Zeitgenossen.
Schön ist sie, sittsam und unschuldig ihr Blick, anmutig das Profil, das offene Haar mit Federn und Perlen herausgeputzt, der Hals geschmückt mit einer goldgefassten Gemme. Ganz sicher ist es nicht, aber es handelt sich wohl um das Porträt der Florentinerin Simonetta Vespucci, die einst vielen Männern den Kopf verdrehte, darunter auch dem jungen Giuliano de’ Medici, der selber keine Schönheit war, doch reich und mächtig, und der sie 1475 bei einem Turnier zu seiner "Königin der Schönheit" wählte.

Sie war schon tot, als Sandro Botticelli sie porträtierte, früh gestorben an der Schwindsucht, und auch der Maler selbst war weniger grazil als sein Modell. Alessandro di Mariano di Vanni Filipepi, genannt Botticelli – das "Fässchen". Nicht so beleibt wie sein Bruder, dem eigentlich der neckische Name galt, doch eine fleischige Erscheinung und jedenfalls ein Mann, der sich darauf verstand, die Reichen und Schönen der Stadt stets vorteilhaft ins Bild zu setzen.

Damit fängt die Schau in Frankfurt an, mit den Porträts. Und an das hauseigene Bildnis der Simonetta hat man gleich eine zweite Variante gehängt, die mit den Fingerspitzen Milch aus der entblößten Brust drückt – eine Allegorie des Überflusses, die einen Typ von Frau vertritt, der Botticellis Ideal entsprach. Wir sehen eine kleine Galerie von jungen Damen im Profil, apart zurechtgemalte Schönheiten allesamt, als wären sie nicht von dieser Welt. Kurator Andreas Schumacher:

"Es ist ein Schönheitsideal, das in seiner Zeit vielleicht sogar als etwas herb und auch kühl wahrgenommen wurde. Und wir wissen aus einem zeitgenössischen Bericht, da geht es um einen Gesandten, der einen guten Künstler in Florenz suchen soll, der beschreibt Botticellis Art zu malen mit dem Begriff einer aria virile, das heißt einer männlichen Manier."

Wir begegnen neben einigen Bildnissen von jungen Männern auch Giuliano de’ Medici selbst, dessen aus Washington geliehenes Bildnis so melancholisch starr und verschlossen wirkt, weil es wohl nach dem Mordanschlag der Pazzi-Verschwörung posthum nach einer Totenmaske gemalt wurde.

Botticelli, das ist natürlich der Maler der Mythen, allen voran die "Geburt der Venus" aus den Uffizien, die in Frankfurt freilich ebenso wenig zu sehen ist wie der berühmte "Frühling" aus Florenz. Doch es gibt Ersatz. Das Motiv seiner goldblonden Venus, der erste lebensgroße Frauenakt der Neuzeit, war damals so gefragt, dass die Nackte in der Werkstatt des Meisters offenbar in Serie ging: aus Turin kam eine, aus Berlin eine zweite Venus in die Schau.

"Es gibt nicht nur diese Berliner Variante, wo diese Figur vor einem dunklen Grund aus dem gesamten Kontext herausgelöst ist und damit auch nicht mehr eigentlich als die mythologische Figur der Venus zu erkennen ist, sondern eben wirklich nur noch eine schöne Nackte ist."

Ein Pin-up sozusagen, doch Botticelli hat die verlockende Venus gewissermaßen zur idealen Aktdarstellung frigidisiert – kühl und schön, und ihr Typ taucht in der Schau noch mehrfach auf: in der Darstellung einer Judith mit dem Haupt des Holofernes etwa oder in der wunderbaren, lebensgroßen Darstellung einer Minerva, die einen wilden Pferdemenschen bändigt. In beiden Fällen ist der Mann das Opfer weiblicher Schönheit und verführerischer Tücke.

Dass uns Botticellis Frauenbilder heute so modern erscheinen, liegt daran, dass der Maler Gesicht und Körper nicht vom Volumen her definiert, sondern flächig und konturbetont. Das macht sie plakativ.

Eingeschränkt gilt das auch für die Andachtsbilder, Madonnen und Engel, den dritten Schwerpunkt der atemberaubenden Schau, die uns damit in Erinnerung ruft, dass Botticelli seine Karriere schließlich vor allem als Schöpfer religiöser Szenen machte.

"Das Entscheidende ist ja wohl doch, dass er wie alle Künstler seiner Zeit und wie vor allen Dingen solche, die große Werkstätten leiteten, zu sagen wir mal 80 Prozent Werke für den religiösen Kontext geschaffen hat. Und Andachtsbilder, die Produktion von Andachtsbildern, die trugen eine solche Werkstatt."

Die Ausstellung präsentiert Botticellis Werke vor effektvoll dunkelrot getönten Wänden, begleitet von einer Vielzahl von Zeichnungen und Werken seiner Konkurrenten wie Filippino Lippi, Verocchio oder Pollaiuolo.

Auch wenn Botticellis Bildwelt noch immer schwer zu entschlüsseln ist, bewegt sie sich doch auf dem neuesten Forschungsstand. Sie korrigiert das gängige Klischee von Botticelli als postkartentauglichem Frauenversteher, rückt aber auch das Bild des spitzfindigen Sonderlings zurecht, das sein Biograph Vasari gezeichnet hatte. Dass der Maler der Belästigung eines benachbarten Strumpfwarenhändlers, ja der Unzucht mit seinen Gehilfen bezichtigt worden sei – je nun: Botticelli war wohl schwul, wie Leonardo, wie Michelangelo, warum auch nicht.

Gewiss waren seine Allegorien da und dort auch politisch zu deuten, doch Botticelli war als Künstler schlau genug, sich nicht alleine an die Medici zu binden, die 1494 aus der Stadt vertrieben wurden.

Geklärt scheint indes der Einfluss des Bußpredigers Savonarola auf sein Werk, der im Florenz des ausgehenden 15. Jahrhunderts mit asketischer Agitation Endzeitstimmung verbreitete. Botticelli, der in seinen Altarbildern für Florentiner Kirchen an prachtvollen Farben, pompösen Gewändern und prunkenden Dekors nicht sparte, hatte wohl allen Grund, sich von Savonarolas Predigten gegen den Luxus und Glanz betroffen zu fühlen, so dass er auf die neue Stimmungslage seiner Auftraggeber einging und sich diesbezüglich mäßigte, doch – anders als von Vasari behauptet – war er kein Aktivist des fanatischen Mönchs.

Bis heute freilich ist der Mann ein Rätsel. In seinen späten Jahren hat Botticelli wohl kaum noch gemalt. Gebrechlich und verarmt, so heißt es, sei er durch die Straßen von Florenz geschlichen, nur noch ein tragischer Schatten des Glanzes, der jetzt in Frankfurt zu besichtigen ist.

Service:
Die Ausstellung ist bis zum 28. Februar 2010 im Städel Museumin Frankfurt am Main zu sehen.