"Nicht unbedingt sehr rattig"

Moderation: Stephan Karkowsky · 28.05.2013
Mitleid, Ekel, Faszination - beim Gedanken an Ratten haben die meisten Menschen gemischte Gefühle. In Mainz beschäftigt sich das Naturhistorische Museum mit unserem Verhältnis zu dem Tier. Es ist eine kulturhistorische Entdeckungstour, meint Kuratorin Nicole Fischer.
Stephan Karkowsky: Ratten lassen niemanden kalt! Sie sind abstoßend, abscheulich, intelligent, verschlagen, und sie haben die ganze Welt erobert. Gerhart Hauptmann hat den Ratten ein Bühnendenkmal gesetzt, Günter Grass setzt in "Die Rättin" die Blechtrommel fort. Eigentlich muss sich also niemand fragen, ob Ratten genug Stoff hergeben für eine Sonderausstellung im Naturhistorischen Museum Mainz, eher müsste man fragen: Auf welche Aspekte Kuratorin Nicole Fischer schweren Herzens verzichten musste. Frau Fischer, guten Tag!

Nicole Fischer: Guten Tag!

Karkowsky: Was für Rattendevotionalien wird’s denn in Ihrem Museumsshop zu kaufen geben?

Fischer: Ja, da haben wir uns tatsächlich auch Gedanken drüber gemacht und wir werden tatsächlich auch passend zur Sonderausstellung was anbieten. Und das werden kleine Plüschratten sein, und was zum Lesen haben wir dann auch noch. Wir haben sogar eine eigene Broschüre kreiert zum Thema, denn wir haben ein Museumsmaskottchen und das führt dann zusammen mit einer Ratte so ein bisschen durch die Welt der Ratten, in einem kleinen eigenen Heft.

Karkowsky: Und die Broschüre ist dann für Leseratten?

Fischer: Das ist für Leseratten, ganz genau!

Karkowsky: Die meisten Menschen begegnen Ratten eher ungern, vermute ich mal. Was hat Sie denn dazu bewogen, die Ratte auszustellen?

Fischer: Ja, es ist eben genau diese Dualität, die die Ratte in sich trägt: Auf der einen Seite gibt es eben wahnsinnig viele Menschen, die bis hin zur panischen Angst, kann man schon fast sagen, ein eher negatives Verhältnis zur Ratte besitzen, auf der anderen Seite ist die Ratte in anderen Kulturkreisen als unserem aber auch viel positiver belegt. Im asiatischen Bereich zum Beispiel, da braucht man nur an die Astrologie zu denken. Und für uns war das sehr spannend, einfach mal auch ein Tier darzustellen, das eben nicht nur Schmusetier ist – obwohl die Ratte als Haustier ja immer beliebter wird bei uns –, sondern einfach …

Karkowsky: Gehören Sie denn selber zu denen, die mit Ratte auf der Schulter durch die City-Meile laufen, also die frisch renovierte Fußgängerzone der Landeshauptstadt?

Fischer: Nein. Ich habe tatsächlich aber selber Erfahrung in der Rattenhaltung, das Thema ist mir also nicht ganz fremd. Aber ich würde jetzt nicht zu denen gehören, die dann draußen mit ihr unbedingt spazieren gehen.

Karkowsky: Sie waren einmal Rattenhalterin?

Fischer: Ja!

Karkowsky: Und nun werden Sie als Kuratorin zu so einer Art Imagepflegerin der Ratten, denn ich könnte mir vorstellen, dass Sie eher das Positive hervorheben in Ihrer Ausstellung, oder?

Fischer: Nicht unbedingt. Wir haben uns bemüht, die Ausstellung sehr neutral zu halten. Das spiegelt sich auch im Ausstellungsdesign wider, spiegelt sich zum Beispiel auch in unserem Plakat wider, das relativ einfach gehalten wird und einfach nur eine große Ratte zeigt, ohne das jetzt irgendwie zu werten. Wir möchten gerne, dass der Besucher selbst sich ein Bild machen kann von der Ratte, vielleicht auch noch mal weggenommen wird von all den Vorurteilen, mit denen er die Ausstellung betritt – denn die hat ja nun doch jeder von uns –, und da einfach die Ratte noch mal ganz neu entdecken kann für sich.

Karkowsky: Was sehe ich als Erstes, wenn ich reinkomme in diese Sonderausstellung?

Fischer: Als Erstes sehen Sie ganz viele Dinge. Als Erstes wird es Sie vielleicht ein bisschen verwundern, wie das farblich gestaltet ist: Wir haben also alles in Weiß, Pink und Orange gehalten, nicht unbedingt sehr rattig, aber wir wollten eben dieses Thema nicht noch unterlegen, indem wir jetzt alles braun oder so naturmäßig gestalten, sondern es ist sehr modern, es ist sehr klar. Dann sehen Sie ein großes Rattengehege, denn wir haben auch eine Lebendtierhaltung bei uns im Haus.

Karkowsky: Nein!

Fischer: Doch!

Karkowsky: Wie viele sind da drin?

Fischer: 15.

Karkowsky: Und am Ende der Ausstellung sind es 150?

Fischer: Nein, es sind immer noch 15, denn es sind nur Weibchen!

Karkowsky: Ach so!

Fischer: Ich habe auch extra noch mal nachgeschaut!

Karkowsky: Anfassen erlaubt?

Fischer: Nein. Also, aus Tierschutzgründen geht das natürlich nicht, denn wir rechnen ja mit vielen Besuchern und das wäre den Tieren nicht zuzumuten, dass man sie dann eben ständig rausnimmt und streicheln lässt.

Karkowsky: Und welche Form der Ausstellung haben Sie drum herum gewählt? Sind das vor allem Schautafeln?

Fischer: Es gibt viele Tafeln zu lesen, wir haben da so ein paar ganz nette Objekte, gerade im Eingangsbereich wird erst mal darüber gesprochen, dass Ratten Nagetiere sind, und das ist ja an und für sich schon ein Thema, was schon allein eine Ausstellung füllen könnte. Denn also, 40 Prozent aller Säugetiere auf dieser Welt sind ja Nagetiere. Also, es gibt eine unglaubliche Vielfalt. Und die Ratte gehört da gleich noch zur größten Gruppe der mäuseartigen, das ist insgesamt schon beeindruckend. Und wir zeigen am Anfang auch gleich, was es außer den Ratten noch für Nagetiere gibt.

Karkowsky: Sie hören die Kuratorin Nicole Fischer, sie berichtet uns über die Ausstellung "Ratten" im Naturhistorischen Museum Mainz. Frau Fischer, was ist mit Rattenmythen, also zum Beispiel dass man immer den Klodeckel schließen sollte, damit sie nicht plötzlich vor dem Rasierspiegel steht, die Ratte?

Fischer: Ja, das ist ja die Frage, ist das jetzt ein moderner Mythos oder nicht. Die Antwort finden Sie tatsächlich bei uns. Wir haben so ein kleines Spiel auch dazu konzipiert, wo man einfach über verschiedene Rattenmythen sich mal ein bisschen informieren kann, was da dran ist und was nicht. Und den Klodeckel, den sollten Sie unter manchen Umständen tatsächlich vielleicht lieber geschlossen lassen!

Karkowsky: Unter welchen?

Fischer: Normalerweise ist es ja nicht das Ziel der Ratte, möglichst aus vielen Toiletten zu krabbeln. Aber das kann natürlich vorkommen, wenn jetzt zum Beispiel in der Kanalisation, wo sich die Tiere eben doch relativ zahlreich aufhalten, wenn es zu Hochwasser kommt und sie quasi vor dem Wasser flüchten müssen, oder wenn jemand ein besonders leckeres Abendessen nicht ganz aufgegessen hat und die Reste über seine Toilette entsorgt, gelangen die somit in die Kanalisation direkt den Ratten vor die Nasen und vors Mäulchen. Und wenn das ganz besonders verlockend ist, dann folgen die dem Geruch auch schon mal durch die Rohre nach oben!

Karkowsky: Hat denn die Ratte eigentlich so etwas wie eine ursprüngliche Heimat? Ich meine, mittlerweile ist sie ja auf der ganzen Welt heimisch, aber ist sie ein Migrant, der irgendwo herkommt?

Fischer: Ja, also, die Wanderratte wurde bei uns im Gefolge des Menschen etabliert. Also, die ist nicht immer schon hier gewesen. Und ganz ursprünglich liegt das Gebiet irgendwo Südostasien, Richtung China, Mongolei, Sibirien, diese Ecke. Also, die haben aber relativ schnell die ganze Welt für sich erobert, im Gefolge des Menschen war das auch für die Ratte überhaupt kein Problem, ob per Schiff oder mit anderen Transportmitteln, mittlerweile ist die Wanderratte – wenn wir von Ratte sprechen, dann meinen wir ja meistens die Wanderratte, also hier bei uns jedenfalls –, ist die Wanderratte weltweit verbreitet.

Karkowsky: Ich habe aber auch gelernt aus der Broschüre zu Ihrer Ausstellung: In Australien ist das ein bisschen anders!

Fischer: In Australien ist es eine Besonderheit, dass Ratten schon vor der Besiedlung des Menschen Australien erobert haben, ist was Besonderes. Denn Australien hat ja eine ganz eigene Tier- und Pflanzenwelt, das liegt an der isolierten Lage. Und es haben nur ganz wenige Tiere geschafft, diese Linie – also, die Wallace-Linie nennt man das – zu überqueren. Australien ist ja die Heimat der Beuteltiere und die Ratte gehört eben zu den ganz wenigen Säugetieren, die das ohne Hilfe des Menschen geschafft hat. Ein paar Mäuse sind da noch dabei, Fledermäuse und so was, aber die können das ja natürlich durchs Fliegen. Aber so von landlebenden Tieren - das ist schon 'was besonderes. Also, die Ratte ist sehr, sehr anpassungsfähig in allen Belangen, ja.

Karkowsky: Haben Sie denn mal durchgezählt, wie viele Ratten es so auf der Welt gibt?

Fischer: Nein, diese Aufgabe möchte ich auch ungern übernehmen! Es gibt Schätzungen dazu, genaue Zahlen hat man nicht. Aber Schätzungen belaufen sich so auf, ja, also, man kann so um die zwei Ratten pro Mensch, glaube ich, das ist schon eine realistische Schätzung.

Karkowsky: Die Ratte wird vermutlich besonders geliebt von zwei Typen von Menschen, zum einen vom Forscher im Versuchslabor und vom Tierschützer, der sie gern aus diesem Labor befreien würde. Was meinen Sie denn, hat der Status der Ratte als Labortier Nummer eins – auch das ist ja Thema bei Ihnen –, hat der womöglich damit zu tun, dass nur wenige Menschen mit diesem Tier Mitleid empfinden?

Fischer: Also, in der Wissenschaft geht es ja nicht nur darum, ob man jetzt ein Tier besonders niedlich findet. Es gibt auch Tierversuche an Tieren, wo man vielleicht als Normalbürger noch viel schneller Mitleid empfindet als mit einer Ratte, und die werden trotzdem für Versuche genutzt. Also, ob das jetzt Beagles sind oder Primaten, die Ratte eignet sich einfach sehr gut, weil sie halt eine kurze Reproduktionsphase hat. Sie vermehrt sich sehr schnell, sie ist sehr anpassungsfähig, die Zuchtformen sind viel weniger scheu als ihre wilden Verwandten, das heißt, sie lässt sich auf relativ wenig Platz auch gut halten, ohne dass die Tiere da sehr drunter leiden und damit Krankheiten entwickeln oder Ähnliches. Also, die Größe natürlich, das kommt dazu, macht sie alles zu einem sehr gut geeigneten Versuchstier.

Karkowsky: Wie ist das denn mit Ihrem Platz im Naturhistorischen Museum, haben Sie genug gehabt oder gab es Themen, die Sie weglassen mussten?

Fischer: Ja, also, am Anfang dachten wir, wir haben einen relativ großen Ausstellungsraum, na ja, mal gucken, ob wir den so bespielt bekommen, nicht dass es dann nachher vielleicht Lücken gibt. Aber im Nachhinein war es tatsächlich andersherum, dass man sich dachte, na ja, das ist aber auch noch interessant und wo könnte ich das denn noch unterbringen, da haben wir ja gar keinen Platz mehr für! Wir haben auch noch so ein paar Leckerlis, wir haben einen Rattenkönig auch in der Ausstellung. Das ist eine Gruppe von an den Schwänzen verknoteten Hausratten, das ist also was ganz Besonderes. Es gibt nicht besonders viele in Deutschland, wir konnten den ausleihen aus Göttingen. Und der ist so, na ja, das ist so ein Zwischending zwischen Mythos und Naturpräparat, denn man weiß nicht so genau, wie die entstehen. Also, das ist auch noch mal ein ganz besonderes Exponat, was wir jetzt noch ergattern konnten sozusagen, um unsere Ausstellung noch ein bisschen interessanter zu machen.

Karkowsky: Was wünschen Sie sich denn, mit welchem Gefühl sollen die Besucher Ihre Ausstellung wieder verlassen?

Fischer: Ich wünsche mir einfach, dass die Vorurteile, mit denen mancher vielleicht in die Ausstellung geht, die nicht begründet sind, nachher keinen Bestand mehr haben. Also dass man durchgeht und sich wirklich noch mal freimachen kann von all dem - ja meistens leider - Negativen und sich wirklich noch mal überlegen kann, stimmt das so, wie ich es immer gehört habe, und die ganzen gruseligen Geschichten, die ich von Ratten gehört habe, sind die wirklich wahr oder ist das einfach nur ein ganz normales Tier mit einer sehr interessanten Geschichte und mit einer ganz außergewöhnlichen Vielseitigkeit?

Karkowsky: "Ratten", so heißt die Ausstellung, die ab morgen im Naturhistorischen Museum Mainz zu bewundern ist. Sie hörten dazu die Kuratorin Nicole Fischer, besten Dank!

Fischer: Danke auch!

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