Nicht nur schön und schockierend

Von Thomas Migge |
Der "Salone Satellite" in Mailand ist die wohl wichtigste Möbel- und Designmesse der Welt. 1948 Aussteller und 645 Unternehmen zeigen das Schaffen bekannter und unbekannter Designer. 245 davon kommen aus 30 Ländern.
Ein Sessel als Ausgangspunkt. Nicht irgendein Sessel natürlich. Ein ganz besonderes Sitzmöbel schufen die beiden 1965 geborenen italienischen Architekten Jacopo De Carlo und Andrea Gualla. Der Sessel oder das Sofa, oder wie auch immer man das Sitzobjekt mit Namen "Dama" beschreiben soll, besteht aus viereckigen knallroten Stoffwürfeln, die nach Belieben zusammengesetzt werden können. Auf diese Weise kann sich jeder eine Sitzlandschaft nach seinem eigenen Geschmack kreieren.

De Carlo und Gualla entwarfen Dama 2002. Die beiden Nachwuchsarchitekten und -designer stellten ihren Entwurf im gleichen Jahr auf dem "Salone Satellite" vor, der Möbelmesse für die Youngster. "Dama" wurde auf dem "Satellite" ein so großer Erfolg beim Publikum, bei den Kritikern und bei der Industrie, dass De Carlo und Gualla heute eines der erfolgreichsten Architekten- und Designer-Duos in Italien sind, meint der römische Architekt Massimiliano Fuksas:

"Diese Möbelmesse ist der weltweit beste Ort, um sich mit anderen auseinanderzusetzen, um sich zu begegnen und um eine Karriere zu beginnen. Wie im Fall von de Carlo und Gualla. Hier stellen angesehene Architekten wie Rogers aus oder wie Nouvel, aber auch der Nachwuchs wie zum Beispiel die österreichische Gruppe "ŒOrtlos", die ganz wunderbare Dinge entwirft."

Der "Salone Satellite" ist ein Satellit im wahrsten Sinne des Wortes. Wie überhaupt die wohl wichtigste Möbel- und Designmesse der Welt, "Il Salone del Mobile", nicht auf einige Ausstellungshallen auf dem futuristisch anmutenden neuen Messegelände - übrigens ein Werk von Massimiliano Fuskas - beschränkt werden kann. Der Mailänder "Salone" ist eine Vielzahl von Veranstaltungen. Da ist zunächst die eigentliche Möbelmesse auf rund 200.000 Quadratmetern Fläche. 1948 Aussteller und 645 Unternehmen zeigen das Schaffen bekannter und unbekannter Designer. 245 davon kommen aus 30 Ländern.

Darüber hinaus gibt es noch weitere 350 Veranstaltungen: in Galerien und Design-Shops, in Museen und Ausstellungshallen aller Art. Der "Satellite" ist dabei für die Headhunter des Metiers die wichtigste Adresse: stellen hier doch jene Designer aus, die vielleicht einmal in nächster Zukunft Furore machen werden, wie eben Jacopo De Carlo und Andrea Gualla mit ihrem Sitzmöbel "Dama" - das in diesem Jahr in einer Sonderausstellung der zeitgenössischen Möbelklassiker gezeigt wird.

Wer sich die Mühe macht und den gesamten "Salone del Mobile" abläuft, inklusive jener Gallerien, Geschäfte und des ³Satellite² wird große Mühe haben, einen roten Stil-Fäden zu erkennen. Dazu die Mailänder Architektin und Designerin Gae Aulenti:

"Wir haben erreicht, was wir immer propagiert haben: das Ende eines vorherrschenden Stils und die totale Stilvielfalt. Schauen wir nicht nach London, Paris oder Berlin, also in diese Metropolen. Schauen wir nach Barcelona, nach Lyon: wieso kommen vor dort soviele Nachwuchsdesigner, die etwas Besonders ausdrücken? Diese eigensinnigen Entwürfe müssen wir vorstellen."

Entwürfe, die vor allem mit ihren kuriosen Namen auffallen. "Fish", "Stone", "Abyss" oder auch "Fields" sind nichts anderes als Sitzmöbel. Auf der Suche nach den roten Fäden des zeitgenössischen Designs fällt auf, das die organische Formensprache, seit Jahren in der Architektur angesagt, jetzt auch voll die Möbelszene erreicht hat: weiche und rundliche Formen, die gleich die Lust wecken, sie anzufassen. Beispielhaft für diesen Trend sind die Sessel "Clover" von Driade und "Moël" von Ligne Roset. Holz und andere Naturmaterialen verstärken diese Tendenz hin zur organischen Formensprache. Auf dem "Satellite" der Nachwuchsdesigner fällt auf, dass viele Youngster auf die Formensprache der 50 bis 80er Jahre zugreifen, die, meint der Designer Carlo Colombo, ebenso wie die organischen Rundungen, Wärme und Gefühle und Stilsicherheit ausdrücken sollen:

"Schauen wir uns doch an was passiert. Die jungen Wilden heiraten, bekommen Kinder und suchen das Kreative aber auch das ein wenig Gefällige. Das Schockige ist nicht mehr angesagt. Der Käufer von Designmöbeln hat ein durchschnittliches Alter von 33 Jahren. Das sind junge Leute, die arbeiten, die voller Träume sind."

Wohnträume, die Design ausdrücken sollen, aber in einer Formensprache, die nachvollziehbar ist. Leuchtende Tische wie "BancoLed" von Iltiluce oder die zusammenklappbaren, hölzernen und unbequemen Esstischstühle "Yin Yang" von Nicolas Thomkins für das Unternehmen Dedon sind wohl eher etwas für extravagante Sammler oder für Sadisten, die ihre Gäste die harte Welt des Möbeldesigns spüren lassen wollen.

Wer genug von Möbeln und Cocktails und vom Messe-Bla-Bla hat, kann sich in Kunst stürzen. Die Mailänder Möbelmesse wird immer auch von wichtigen Kunstausstellungen begleitet. Im Palazzo Reale zeigen 200 Gemälde aus der Zeit des 18. bis zum Ende des 20. Jahrhundert wie italienische Maler italenische Innenräume sehen. Ausgestellt werden Werke von De Chirico, Morandi und anderen Meistern. Im Castello Sforzesco werden in der Ausstellung "Decode Elements" elf große Lichtinstallationen vorgestellt, unter anderem von den Architekten Sottsass, Maurer und Perrault.

Kunst und Möbel, Design und Architektur: Alles fließt ineinander. Möbeldesigner bauen Häuser und Architekten schaffen Lampen und Sessel. Von ästhetischer und Entwurfs-Synergie ist die Rede - doch letztendlich entscheidet man sich wohl nur für jene Möbel, die auch wirklich bequem sind und nicht nur schön oder schockierend.