Nicht mit dir und nicht ohne dich

13.04.2009
Ungarn nach dem Zweiten Weltkrieg: Der junge Dichter Attila macht Karriere im Kulturleben mit linientreuen Gedichten. Zugleich verfällt er der großbürgerlichen Orsolya, die eigentlich nur Verachtung für ihn übrig hat, ihn aber aus Berechnung heiratet. Anhand dieser unmöglichen Liebe gelingt Szilárd Rubin in diesem erstmals 1963 erschienenen Roman auch das Porträt einer verlorenen Generation.
Sie lieben sich, und sie hassen sich. Sie küssen sich, und er schlägt sie. Sie heiraten und lassen sich sofort wieder scheiden. Attila und Orsolya können nicht miteinander und nicht ohne einander. Wenn sie ihn zurückstößt, denkt er in all dem Schmerz schon an die folgende Nacht der Versöhnung.

Dass Szilárd Rubins vor kurzem in Ungarn wiederentdeckte "Kurze Geschichte von der ewigen Liebe" bereits 1963 erschien, ist dem Roman nicht anzumerken. Ungemein gegenwärtig wirkt die Unbedingtheit der Liebenden und der Amüsierwille ihrer Freunde. Die Jugend hat den Krieg überlebt und lässt, als ob er gleich morgen wieder anfinge, auf ihrer Jagd nach Liebe keine Gelegenheit aus.

Attila Angyal, dem ohne Vater aufgewachsenen Dichter aus kleinen Verhältnissen, stünden im kommunistischen Ungarn der Nachkriegszeit alle Türen offen - hätte er nur das Selbstvertrauen, das die großbürgerlich erzogene Orsolya Carletter besitzt. Sie ist die Tochter einer wohlhabenden deutschstämmigen Apothekerfamilie. Damit steht zwischen Attila und Orsolya neben der sozialen auch die ethnische Herkunft: Im Krieg wären sie Gegner gewesen. Weil in ihrer Liebe das Wissen um den früheren Hass auf Deutsche oder Ungarn mitschwingt, sind auch Schuldgefühle im Spiel - ein überaus explosives Gemisch.

Anders als seine Freunde und Freundinnen, die nach und nach in Verhältnisse einwilligen, die sie vordem verlacht haben, bleibt Attila Orsolya kompromisslos treu. Doch Glück folgt auf Unglück, und in seiner Verzweiflung beneidet Attila sogar Versuchsratten: Sie werden immerhin gebraucht. Scheu vor öffentlicher Erniedrigung kennt der Liebende nicht: Notfalls durchsucht er fremde Wohnungen nach Orsolya. Der Amour fou hat sadomasochistische Züge.

Wie jede Lust will diese Ewigkeit. Dazu muss sie sich behaupten gegenüber außerordentlich schmerzhaften Erinnerungen: Attila beklagt, dass er ohne den lieblos verschwundenen Vater aufwachsen musste - ein Nebensatz verrät, dass sich der Jude verstecken musste. Orsolya kehrte nach dem Krieg "abgemagert und kellerbleich wie ein polnisches Flüchtlingsmädchen (...) aus dem erloschenen Dresden" zurück. Ihre Familie war 1940 aus dem rumänischen Siebenbürgen vertrieben worden. Auch vom stalinistischen Staatschutz ist die Rede. Attilas und Orsolyas Liebe muss sich gegen die Katastrophen des 20. Jahrhunderts behaupten.

Unaufdringlich tupft Szilárd Rubin, über den der deutsche Verlag nichts weiß außer dem Geburtsjahr 1927, diese Katastrophen wie Raureif auf die hitzigen pannonischen Nächte und Tage zwischen Balaton, Pécs und Mohács nahe der Grenze zu Jugoslawien. Sein Ich-Erzähler weicht den furchtbaren Erinnerungen mit somnambuler Sicherheit aus, wo er kann. Lieber lässt er sich auf eine Weise, die des Autors Vertrautheit mit Marcel Proust verrät, von aufsteigenden, ungemein plastischen und sinnlichen Erinnerungen an Stunden und Tage mit Orsolya mitreißen.

Halt würde er nur finden, weiß der mal himmelhoch jauchzende, mal klaftertief verzweifelte Attila, wenn er sich auf die Welt vor Orsolya besinnen könnte, auf die Welt vor dem Zweiten Weltkrieg. Der Amour fou erweist sich als Versuch, Halt zu finden - er ist eine Reaktion auf den Untergang der alten Welt im Krieg. Kaum zu glauben, dass dieser wunderbar poetische und wunderbar illusionslose Roman mehr als 40 Jahre unbemerkt blieb.

Rezensiert von Jörg Plath

Szilárd Rubin: Kurze Geschichte von der ewigen Liebe
Roman. Übersetzt aus dem Ungarischen von Andrea Ikker
Rowohlt Berlin, Berlin 2009
225 Seiten, 17,90 EUR