Nicht Marx ist Murks ...
Keine Figur vergleichbaren Rangs wurde je so ideologisiert wie Karl Marx. Er ist deshalb mit all seinen fragmentarischen Einsichten und Widersprüchen erst noch nüchtern zu entdecken. Ein neuer Weg zum Kommunismus wird das allerdings nicht sein.
Um es vorweg zu sagen: Wenn man, wie kürzlich Gesine Lötzsch, über Wege zum Kommunismus diskutieren will, muss man wissen, dass es da nicht viel zu diskutieren gibt. Kommunismus, wie ihn Karl Marx sich vorstellte, ist ohne Diktatur nicht realisierbar. Er ist auch wirtschaftlich keine Alternative zu dem zweifellos krisenanfälligen Kapitalismus. Marx' Vision einer Gesellschaft jenseits des Markts hat sich im praktischen Leben als eine Illusion erwiesen.
Sie ist unterkomplex und unproduktiv. Das ahnte schon der so unangenehme wie intelligente Walter Ulbricht, als er in den 60er-Jahren für die Einführung von mehr Marktmechanismen in der DDR plädierte. Das wissen die in dieser Frage deutlich energischeren Chinesen weit besser. Und das wussten und wissen die Gegner des Kommunismus ohnehin.
Aber ist Marx deshalb grundsätzlich Murks? Das ist eine ganz andere Frage. Ist Isaac Newton Murks, weil er von der Alchimie Antworten erwartete, die uns heute befremden? Auch Schwärmer können bleibende wissenschaftliche Entdeckungen machen. Karl Marx war ein Zeitgenosse der industriellen Revolution, der Anfänge der Arbeiterbewegung und ihr eigentlicher großer Theoretiker. Grandiose Scharfsichtigkeit stand bei ihm manchmal haarscharf neben irrationalen Heilserwartungen.
Das bedeutet aber nicht, dass die Widersprüche, die er in der modernen Welt entdeckte, nicht existieren. In den Augen Joseph Schumpeters jedenfalls war er ein Wirtschaftswissenschaftler von Spitzenrang, und der Historiker Thomas Nipperdey meinte, gerade sein politischer Erlösungswille habe ihn für die ökonomischen und sozialen Phänomene der industriellen Welt hellsichtig gemacht wie keinen anderen Zeitgenossen und keinen seiner Vorläufer. Vor allem war er kein Gleichgewichtstheoretiker und Theologe des Markts - ein Verdienst, den ihm ausgerechnet der Finanzmagnat George Soros hoch anrechnete.
Seine entscheidende wissenschaftliche Entdeckung bestand nach den Worten des kanadischen Philosophen Charles Taylor darin, im Kapitalismus die innovativste und kreativste Wirtschaftsordnung der Menschheitsgeschichte zu sehen und zugleich auch die zerstörerischste. Er hätte es allerdings, meint Taylor, bei dieser Einsicht belassen sollen. Vielleicht sind gewisse Probleme auch gar nicht grundsätzlich lösbar. Marx aber glaubte das, und dieser Glaube war vermutlich sein größter Fehler.
Es überrascht vielleicht, aber der moderne Kapitalismus hat mit seinen überpharaonischen Leistungen trotzdem kaum einen größeren Bewunderer gefunden als Karl Marx. Er hielt die von heftigen Krisen und sozialen Gegensätzen begleitete Gewalt und Stärke des kapitalistischen Aufbruchs seiner Zeit aber für so gebrechlich, dass er ihm keine lange Lebensdauer zutrauen wollte. Das war zweifellos ein Irrtum.
Seit der letzten großen Finanzkrise erleben wir eine gewisse neue Nachdenklichkeit. Das hat auch etwas damit zu tun, dass keines der von Karl Marx in seinem großen Lebenswerk thematisierten Probleme gelöst worden ist. Mehr als seine dem unruhigen Zeitgeist des 19. Jahrhunderts geschuldeten apokalyptischen Antworten beschäftigen uns heute seine nach wie vor irritierenden Fragen bezüglich des labilen Zustands und der selbstzerstörerischen Tendenzen unserer modernen Welt.
Aus ihnen aber lässt sich, recht verstanden und recht sortiert, nicht nur das verflossene Prinzip Utopie, sondern auch das weit bescheidenere Prinzip Verantwortung herauslesen. Auf diesem Feld hat uns Gesine Lötzschs linkes Lichtenberger Biedermeier allerdings gar nichts zu bieten. Marx' Kommunismus beschäftigt heute nur noch Historiker.
Als Theoretiker des Kapitalismus und der historischen Evolution aber lebte er lange Zeit in einer babylonischen Gefangenschaft, umstellt von affirmativen Ideologen und fanatischen Gegnern. Keine Figur vergleichbaren Rangs wurde je so ideologisiert. Er ist deshalb mit all seinen fragmentarischen Einsichten und Widersprüchen erst noch unbefangen und nüchtern zu entdecken. Ein neuer Weg zum Kommunismus wird das allerdings nicht sein.
Rolf Hosfeld, geboren 1948 in Berleburg (NRW), studierte Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaften. Hosfeld lebt als freier Autor und Filmemacher auf dem Land bei Potsdam. Jüngste Buchveröffentlichungen: "Was war die DDR? Geschichte eines anderen Deutschlands" und "Die Geister, die er rief. Eine neue Karl-Marx-Biografie".
Sie ist unterkomplex und unproduktiv. Das ahnte schon der so unangenehme wie intelligente Walter Ulbricht, als er in den 60er-Jahren für die Einführung von mehr Marktmechanismen in der DDR plädierte. Das wissen die in dieser Frage deutlich energischeren Chinesen weit besser. Und das wussten und wissen die Gegner des Kommunismus ohnehin.
Aber ist Marx deshalb grundsätzlich Murks? Das ist eine ganz andere Frage. Ist Isaac Newton Murks, weil er von der Alchimie Antworten erwartete, die uns heute befremden? Auch Schwärmer können bleibende wissenschaftliche Entdeckungen machen. Karl Marx war ein Zeitgenosse der industriellen Revolution, der Anfänge der Arbeiterbewegung und ihr eigentlicher großer Theoretiker. Grandiose Scharfsichtigkeit stand bei ihm manchmal haarscharf neben irrationalen Heilserwartungen.
Das bedeutet aber nicht, dass die Widersprüche, die er in der modernen Welt entdeckte, nicht existieren. In den Augen Joseph Schumpeters jedenfalls war er ein Wirtschaftswissenschaftler von Spitzenrang, und der Historiker Thomas Nipperdey meinte, gerade sein politischer Erlösungswille habe ihn für die ökonomischen und sozialen Phänomene der industriellen Welt hellsichtig gemacht wie keinen anderen Zeitgenossen und keinen seiner Vorläufer. Vor allem war er kein Gleichgewichtstheoretiker und Theologe des Markts - ein Verdienst, den ihm ausgerechnet der Finanzmagnat George Soros hoch anrechnete.
Seine entscheidende wissenschaftliche Entdeckung bestand nach den Worten des kanadischen Philosophen Charles Taylor darin, im Kapitalismus die innovativste und kreativste Wirtschaftsordnung der Menschheitsgeschichte zu sehen und zugleich auch die zerstörerischste. Er hätte es allerdings, meint Taylor, bei dieser Einsicht belassen sollen. Vielleicht sind gewisse Probleme auch gar nicht grundsätzlich lösbar. Marx aber glaubte das, und dieser Glaube war vermutlich sein größter Fehler.
Es überrascht vielleicht, aber der moderne Kapitalismus hat mit seinen überpharaonischen Leistungen trotzdem kaum einen größeren Bewunderer gefunden als Karl Marx. Er hielt die von heftigen Krisen und sozialen Gegensätzen begleitete Gewalt und Stärke des kapitalistischen Aufbruchs seiner Zeit aber für so gebrechlich, dass er ihm keine lange Lebensdauer zutrauen wollte. Das war zweifellos ein Irrtum.
Seit der letzten großen Finanzkrise erleben wir eine gewisse neue Nachdenklichkeit. Das hat auch etwas damit zu tun, dass keines der von Karl Marx in seinem großen Lebenswerk thematisierten Probleme gelöst worden ist. Mehr als seine dem unruhigen Zeitgeist des 19. Jahrhunderts geschuldeten apokalyptischen Antworten beschäftigen uns heute seine nach wie vor irritierenden Fragen bezüglich des labilen Zustands und der selbstzerstörerischen Tendenzen unserer modernen Welt.
Aus ihnen aber lässt sich, recht verstanden und recht sortiert, nicht nur das verflossene Prinzip Utopie, sondern auch das weit bescheidenere Prinzip Verantwortung herauslesen. Auf diesem Feld hat uns Gesine Lötzschs linkes Lichtenberger Biedermeier allerdings gar nichts zu bieten. Marx' Kommunismus beschäftigt heute nur noch Historiker.
Als Theoretiker des Kapitalismus und der historischen Evolution aber lebte er lange Zeit in einer babylonischen Gefangenschaft, umstellt von affirmativen Ideologen und fanatischen Gegnern. Keine Figur vergleichbaren Rangs wurde je so ideologisiert. Er ist deshalb mit all seinen fragmentarischen Einsichten und Widersprüchen erst noch unbefangen und nüchtern zu entdecken. Ein neuer Weg zum Kommunismus wird das allerdings nicht sein.
Rolf Hosfeld, geboren 1948 in Berleburg (NRW), studierte Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaften. Hosfeld lebt als freier Autor und Filmemacher auf dem Land bei Potsdam. Jüngste Buchveröffentlichungen: "Was war die DDR? Geschichte eines anderen Deutschlands" und "Die Geister, die er rief. Eine neue Karl-Marx-Biografie".