"Nicht gerade ein großer Erfolg"

Moderation: Hanns Ostermann |
Der Verhandlungsführer für Tarifverhandlungen bei der unabhängigen Flugbegleiter Organisation (Ufo), Joachim Müller, zeigt sich angesichts des Streiks der Konkurrenzgewerkschaft ver.di bei der Lufthansa wenig beeindruckt. 70 Flugausfälle in Folge des Streiks seien angesichts der vielen Lufthansa-Flüge kein großer Erfolg, sagte Müller.
Hanns Ostermann: Auch wenn heute wieder fast 130 Flüge der Lufthansa ausfallen werden – es scheint Bewegung zu kommen in den Tarifstreit. Nach vier Tagen Streik gab es gestern die ersten informellen Gespräche zwischen Arbeitgebern und ver.di, der Dienstleistungsgewerkschaft, die fordert für rund 50.000 Beschäftigte des Kabinen- und Bodenpersonals 9,8 Prozent mehr Geld, und ihre Tarifkommission berät heute morgen wieder. Wie weit dürfen wir den Arbeitgebern entgegenkommen? Was manchem Arbeitnehmer üppig erscheint, diese 9,8 Prozent, ist anderen noch viel zu wenig, gemeint ist die Unabhängige Flugbegleiter Organisation, UFO. Sie vertritt einen großen Teil des Kabinenpersonals, der sich jetzt allerdings nicht an den Streiks beteiligt. Dieser Tarifvertrag mit UFO läuft noch bis Ende des Jahres. Joachim Müller ist bei der UFO Verhandlungsführer und jetzt am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen, Herr Müller!

Joachim Müller: Guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Sie unterliegen noch der Friedenspflicht. Würden Sie trotzdem als Vertreter der Arbeitnehmer den bisherigen Arbeitskampf von ver.di als Erfolg bezeichnen?

Müller: Ich denke, das müsste ich mit Zurückhaltung beurteilen. Ich denke, dass wenn man bedenkt, wie groß der Lufthansakonzern ist und wie viele Flugzeuge täglich fliegen, sind natürlich 70 Flugausfälle pro Tag nicht gerade ein großer Erfolg.

Ostermann: Das heißt also, ver.di … Man sagte ja, das sollte so was wie eine Stich… Man wollte stechen, sozusagen, man wollte peu à peu den Streik aufbauen. Diese Politik ist nicht aufgegangen? Sie hätten sich noch größere Wirkung vorstellen können?

Müller: Ich glaube, die ver.di hat das Problem, dass sie die eigentlichen sogenannten Funktionseliten im Konzern nicht mehr vertritt, das heißt, das sind die Beschäftigungsgruppen, die aufgrund ihrer Stellung und ihrer besonderen Tätigkeit im Streikfalle wirklich den Flugbetrieb lahm legen können. Da sind zuallererst zu nennen die Piloten natürlich, die in der Vereinigung Cockpit organisiert sind, oder eben auch die Flugbegleiter, die bei uns, bei der UFO, organisiert sind.

Ostermann: Ja, und jetzt geht es darum: Sind 15 Prozent, die Sie fordern und an die Sie sich jedenfalls herantasten wollen, dann, wenn die Friedenspflicht endet Ende nächsten Jahres - ist das wirklich einem Arbeitgeber zumutbar? Wie begründen Sie diese für den Außenstehenden ja wirklich üppige Forderung, wie begründen Sie die eigentlich?

Müller: Wenn man diese Forderung in Relation stellt zu den aktuellen Rekordgewinnen der Lufthansa. Wir haben im ersten Halbjahr 2008 einen Rekordgewinn von 705 Millionen Euro und im Jahr 2007 waren es 1,4 Milliarden Euro. Wenn man das wiederum in Relation setzt zu den jahrelangen Lohnverzichten der Kabinenmitarbeiter, sind 15 Prozent wirklich nicht üppig. Wir hatten allein in den letzten vier Jahren einen Reallohnverlust von rund fünf Prozent.
Ostermann: Nun könnte man ja als Arbeitgeber argumentieren: Sicher, wir haben entsprechende Einnahmen, auf der anderen Seite sieht die Konjunktur alles andere als rosig aus und die Ölpreise sind riesig teuer. Wir müssen vorsorgen. Sind das Argumente, die Ihnen einleuchten?

Müller: Auch das ist etwas vorgeschoben, denn die Lufthansa wird nach unserer Einschätzung – und Herr Mayrhuber sieht das auch so, das kann man seinen Interviews vor der Finanzseite entnehmen –, Lufthansa wird von der Kerosinpreisentwicklung deutlich profitieren und von den anstehenden Konsolidierungen im Luftverkehr. Da wird sie ihre Wettbewerbsposition noch weiter ausbauen. Sie müssen mal die Billigflieger betrachten, die komplett ihre Geschäftsmodelle korrigieren müssen, und auch andere europäische Airlines, die wesentlich schlechter dastehen als die Lufthansa. Also wir denken, die Lufthansa wird aller Voraussicht nach von diesem Ölpreisschock profitieren.

Ostermann: Wir wissen nicht, wie sich ver.di und die Lufthansa irgendwann mal einigen werden, ich bleibe jetzt mal bei der Zahl, die Sie schon sehr früh in den Raum gestellt haben, bei den 15 Prozent. Warum muss eine Stewardess, ein Steward mehr verdienen als ein Techniker?

Müller: Wir können nicht beurteilen, ob die Forderungen der ver.di für die Techniker ausreichend sind. Wir kümmern uns ausschließlich um das Kabinenpersonal, und für die Kabine, kann ich sagen, sind 9,8 Prozent – das ist die aktuelle Forderung der Verdi – nicht ausreichend, um die Verluste der Vergangenheit auszugleichen.

Ostermann: Aber hier werden doch Tätigkeiten gegeneinander ausgespielt.

Müller: Nein. Es werden Tätigkeiten realistisch beurteilt und die Möglichkeiten am Tariftisch durchgesetzt.

Ostermann: Ich frage mich auf der anderen Seite: Muten die Einzelgewerkschaften, muten Sie von UFO – es gibt dann noch Cockpit, oder es gibt ver.di, die Dienstleistungsgewerkschaft –, muten die möglicherweise nicht nur dem Arbeitgeber, sondern auch uns Kunden nicht eine ganze Menge zu? Denn alle sagen irgendwann mal, jetzt sind wir dran. Ist das eine zeitgemäße Antwort auf die Globalisierung?

Müller: Ich glaube, dass das der einzige Weg ist, um aus dieser Lohnzurückhaltung der vergangenen Jahre rauszukommen und wieder realistische Tarifergebnisse zu erzielen. Und ich glaube auch, dass, wenn einzelne Gruppen ein besonders gutes Ergebnis erzielen, die anderen Berufsgruppen letztlich davon profitieren werden, weil die Arbeitgeber dazu neigen, natürlich ihre Belegschaft gerecht zu bezahlen.

Ostermann: Ja, und trotzdem bleibe ich dabei. Nehmen wir mal an, ver.di und Lufthansa einigen sich jetzt nicht, und wir müssen noch einige Wochen, wie ja bei den Lokführern, mit diesem Streik leben. Dann vergehen ein paar Monate und dann kommt UFO, und auch dann wird wieder gestreikt. Ist das nicht für den Kunden eine ziemlich harte Nuss, die er da knacken muss?

Müller: Ich denke, dass zumindest bisher im Rahmen des ver.di-Streiks die Beeinträchtigungen für die Fluggäste sich noch im Rahmen halten.

Ostermann: Das werden die aber anders sehen, Herr Müller, das wissen Sie ja auch. Wenn Sie in den Urlaub fahren wollen und nicht können, dann ist das schon in hohem Maße ärgerlich.

Müller: Was wir hören, ist, dass die Bevölkerung und die Fluggäste durchaus Verständnis haben dafür, dass Arbeitnehmer natürlich auch gerne für ihre Arbeit anständig bezahlt werden wollen.

Ostermann: Und Sie meinen in der Tat, die Leute nehmen dann auch in Kauf, möglicherweise den Urlaub zwei Tage später beginnen zu können oder zu müssen?

Müller: Das ist bisher so mein Eindruck.

Ostermann: Joachim Müller war das, er ist Verhandlungsführer der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation, UFO. Herr Müller, vielen Dank für das Gespräch heute früh.

Müller: Dankeschön!