"Nicht Geld verleihen, sondern Geschäfte machen"

Esther Saoub im Gespräch mit Ulrike Timm · 07.10.2008
In den etwa 350 islamischen Banken, die es weltweit gibt, werden keine Zinsen gezahlt, berichtet Esther Saoub, ARD-Korrespondentin in Kairo. Die Kunden würden dagegen am Gewinn der Geschäfte, die die Bank macht, beteiligt. Dabei seien Geschäfte mit Schweinefleisch, Alkohol, Tabak oder Prostitution verboten. Darauf achte ein sogenannter Scharia-Beirat, berichtet Saoub.
Ulrike Timm: Keine Zinsen, keine Spekulationen, kein Glücksspiel und trotzdem Geld auf der Bank. Wie geht das? Islamic Banking, so heißt das Zauberwort, Geldanlagen, die streng an der Scharia, am islamischen Gesetzeskodex ausgerichtet sind. Darüber möchte ich sprechen mit unserer ARD-Kollegin in Kairo, mit Esther Saoub. Schönen guten Tag!

Esther Saoub: Hallo, schönen guten Tag nach Berlin!

Timm: Frau Saoub, wenn man keine Zinsen einnehmen und nicht spekulieren darf, dann kann man eigentlich sein Geld gleich unters Kopfkissen legen oder wie darf man strenggläubig islamisch sein Geld trotzdem vermehren?

Saoub: Für die drei Millionen Muslime in Deutschland, oder zumindest die Strenggläubigen unter ihnen, ist es in der Tat bislang ein bisschen schwierig gewesen. Viele von denen haben einfach ihr Geld auf dem Girokonto, was ja, wie wir alle wissen, eigentlich ein Verlustgeschäft ist. In islamischen Ländern dagegen gibt es auch islamische Banken, schon 350 sind das weltweit inzwischen. Und die haben dann Angebote, die mit dem islamischen Recht Scharia konform sind. Ich habe zum Beispiel mal reingeschaut, die Angebote der größten islamischen Bank hier in Ägypten, Faisal Bank heißt die, da kann man ab einer Anlage von 200 Dollar für ein Vierteljahr Geld anlegen und bekommt dann auch alle drei Monate Gewinne ausbezahlt, die heißen nicht Zinsen, die heißen Gewinne, und, das ist ganz wichtig, die werden vorher nicht festgelegt. Denn es hängt davon ab, wie viel Geld die Bank mit ihren Geschäften gemacht hat in dieser Zeit, in welcher Weise sie mit meinem Geld hat arbeiten können. Und so viel wird mir dann ausgeschüttet. Ich kann auch was festanlegen für zwei oder bis zu sieben Jahre. Da sind auch die Mindesteinlagen relativ gering. Und ich bekomme dann größere Ausschüttungen, weil man mit dem Geld natürlich sicherer arbeiten kann. Das kennen wir eigentlich alle aus dem deutschen oder europäischen Bankenwesen. Der Unterschied ist eben, dass es nicht von vornherein festgelegt wird, wie viel Prozent Zinsen ich bekomme, sondern es ist eine Gewinnbeteiligung an den Geschäften der Bank. Denn der Grundsatz lautet, nicht Geld verleihen, sondern Geschäfte machen. Und manche von meinen Bekannten haben mir auf die Frage nach dem islamischen Banksystem dann gesagt, sie finden, das ist eigentlich Augenwischerei. Denn die Bank kann mir ja immer erzählen, sie hätte jetzt leider Gottes nicht mehr eingenommen als so viel, wie sie dann abgibt. Von meinen ägyptischen Bekannten zum Beispiel kenne ich niemand, der sein Geld in eine islamische Bank trägt, sondern es gibt hier ja auch andere ägyptische Banken. Und die sind der Meinung, dass das doch dann der klarere Weg sei.

Timm: Bleiben wir noch mal beim Islamic Banking, Frau Saoub. Wie muss ich das vorstellen? Steht da ein Geistlicher in der Filiale und sagt, das geht, das geht nicht, in dieser Aktie ist Schweinefleisch drin, in dieser Alkohol, das geht gar nicht? Wie wird das sortiert?

Saoub: Es gibt in der Tat einen Beirat, einen Scharia-Beirat, der nach dem islamischen Recht die Geldgeschäfte beurteilt und die sind sehr gefragt. Es gibt nämlich nicht viele Religionsgelehrte, die gleichzeitig wirklich Ahnung haben von Wirtschaft. Die sind so gefragt, dass man seit diesem Semester sogar in Dubai Islamic Banking studieren kann. Und das ist natürlich auch eine Reaktion darauf, dass es weltweit immer mehr Banken gibt, die sich damit beschäftigen. Die Dachorganisation, die das auch so ein bisschen kontrolliert, die sitzt in Malaysia, Islamic Financial Services Board heißt die. Aber es gibt auch welche in Bahrain und in Dubai. Es gibt so Verbände, die sich da gegenseitig kontrollieren und in manchen Ländern, im Iran zum Beispiel oder im Sudan, in Pakistan, ist es vorgeschrieben, dass Banken islamisch arbeiten müssen. Da darf es keine anderen Banken geben. Da gibt es dann tatsächlich keine verzinsten Guthaben, so wie wir sie kennen. Aber in den meisten anderen Ländern haben die Leute immer noch die freie Wahl. Nur eins ist ganz wichtig, Sie haben es eben schon erwähnt. Wenn Geld angelegt wird, dann soll das in Firmen angelegt werden, die mit dem Islam konform gehen. Das heißt, Schweinefleisch ist tabu genauso wie Alkohol, Tabak oder auch Prostitution. Und daran haben sich inzwischen auch viele internationale Banken angepasst. 400 inzwischen bieten islamische Fonds an, die eben nach diesen Grundsätzen wirtschaften und reagieren damit auf den wachsenden Markt.

Timm: Aber gestern konnte Allah auch nicht helfen. Die Indizes sind genauso abgestürzt wie alle anderen. Esther Saoub, wenn man glaubenskonform anlegen will, islamisch glaubenskonform anlegen, dann sind Zinsen unmoralisch und man muss unglaublich viele Schritte gehen, damit es dann irgendwie doch wieder geht als Gewinnbeteiligung. Aktien und Aktienfonds, das Spekulative ist erlaubt. Mich hat das sehr erstaunt. Warum ist das so?

Saoub: Da geht es wieder um diesen Grundsatz, der schon im Koran steht und der vor allen Dingen auch eine Reaktion war auf die arabische Halbinsel zur Zeit, als der Islam aufkam, nämlich damals gab es sehr, sehr viele Geldverleiher und es wurde unheimlich viel mit Geld gehandelt und das sollte geregelt werden. Und deswegen heißt es, das Geld darf nicht billiger oder teurer verkauft werden, als sein wirklicher Wert ist. Waren dagegen schon. Ich will Ihnen mal ein Beispiel geben. Wenn ich jetzt zu einer islamischen Bank gehe, weil ich ein Haus kaufen will, dann geben die mir keinen Kredit, denn das dürfen sie ja nicht, sie dürfen mir kein Geld leihen, sondern sie kaufen für mich das Haus. Und ich stottere dann das Haus bei der Bank ab mit einer leichten Erhöhung, die ist aber dann ein Zuwachs des Warenwertes und keine Zinsen. Die wird einfach nicht so genannt. Letztendlich ist es genau das Gleiche, wie wenn ich mir das Geld bei der Bausparkasse geliehen hätte und zurückzahlen würde. Nur, dass eben das Haus wirklich der Bank gehört und nicht nur auf dem Papier im übertragenen Sinne der Bank gehört. Aber das Ergebnis ist das gleiche, aber das Verfahren ist einfach ein anderes. Und genauso gibt es auch Geldanlagen, die ähnlich funktionieren. Ich kriege einen Gewinn, aber es sind eben keine Zinsen, sondern es ist ein Mehrwert der Ware, mit der da gehandelt wird.

Timm: Man muss es nur hinkriegen. Frau Saoub, der Islam verbietet dezidiert das Glücksspiel und damit bleibt es für mich immer noch erstaunlich, dass man mit Aktien und Aktienfonds spekulieren darf. Denn im Grunde sind die Börsen dieser Welt doch eine Form von Poker. Das merken wir dieser Tage ganz besonders, Wetten auf die Zukunft von tatsächlichen oder eben nur vermeintlichen Werten. Wie weit ist denn dieses Islamic Banking schon verbreitet? Gibt es in arabischen Ländern wirklich schon einen nennenswerte Aktienkultur?

Saoub: Es gibt eine Aktienkultur, auch in Ländern wie Saudi-Arabien zum Beispiel gibt es seit den 80er-Jahren eine Börse. Und sobald die Börsen aufgemacht haben, hat man natürlich auch das Banksystem geöffnet. Das heißt, es gibt keine islamischen Vorschriften für die Börse. An der Börse hier in Kairo wird genauso spekuliert wie in Frankfurt oder New York. Dennoch ist es natürlich so, dass eine islamische Bank an der Börse nicht spekulieren wird. Das heißt, was ich Ihnen eben geschildert habe mit diesem Hauskauf, das hätte in Amerika vielleicht den Einbruch des Immobilienmarktes verhindern können. Denn auf diese Weise wären die Immobilien anders, wären nicht Kredite vergeben worden, sondern es wären Immobilien gekauft worden. Das heißt, es ist vielleicht schon so, dass die islamischen Grundsätze, die zum Beispiel auch Leerverkäufe nicht erlauben würden, denn da wird ja nicht mehr mit Waren gehandelt.

Timm: Hätte sich die Wallstreet doch nach der Scharia gerichtet?

Saoub: Vielleicht, ja. Ich weiß es nicht. Ich meine, letztendlich sagen viele Leute, hier, das ist alles, wie gesagt, die islamischen Banken müssen wirtschaften wie alle, sonst kommen sie nicht über die Runden und hier wird ja auch Foreign Investment vorangetrieben und da braucht man normal arbeitende Banken. Aber diese moralischen Grundsätze, wenn man sie jetzt wirklich verfolgen würde, könnten schon was anderes bewegen.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" im Gespräch mit der Kairoer ARD-Korrespondentin Esther Saoub über Islam Banking, Geldgeschäfte nach dem Wertekodex der Scharia. Frau Saoub, wir sprechen aber jetzt über eine verschwindend kleine Minderheit in Ihrem Berichtsgebiet, die es sich leisten kann, Geld auf die Bank zu bringen. Das wollen wir nicht vergessen. Was gilt denn für die große Mehrheit in Ägypten? Wie finanziert sich der ägyptische Dorfbewohner seine Waschmaschine oder seinen Fernseher? Wie macht er das?

Saoub: Da nimmt er in der Tat keine Bank dazu, denn die würde ihm niemals einen Kredit geben für seine Waschmaschine oder seinen Fernseher, sondern da hilft man sich gegenseitig. Es gibt hier ein ganz wunderbares System, finde ich, des gemeinschaftlichen Geldsparens, "Gameya" (Anm. d. Redaktion: Wort wie gehört) heißt das. Das hat auch so viel wie Gemeinschaft. Das ist ganz simpel. Zehn Monate lang zahlen zehn Leute jeden Monat, sagen wir mal, 50 Euro. Und jeden Monat kriegt einer dieser zehn Leute die gesamte Summe. Mein Bauer kann sich im dritten Monat, wenn er dran ist, die Waschmaschine kaufen und hinterher muss er diese Summe dann, bis die zehn Monate voll sind, langsam an die anderen abstottern. Und so einfach, ohne Zinsen, funktioniert es dann, dass jeder in einem Monat so viel Geld hat, wie er normalerweise nicht zusammen hätte.

Timm: Das ist ja eine genossenschaftliche Form der Finanzierung. Ist die nur was für die Armen, die kein Konto kriegen, oder spricht sich das rum?

Saoub: Lustigerweise gibt es auch reiche Leute, die so was machen, auch bekannte von mir. Was heißt reiche Leute. Leute, die genug verdienen, die auch Bankkonten haben, die vielleicht auch auf der Bank was sparen, machen trotzdem auch noch eine "Gameya". Ich habe dann gefragt, warum. Und da haben sie mir einen ganz einfachen Grund gegeben. Sie haben gesagt, hier habe ich eine moralische Verpflichtung, jeden Monat diese Summe zu bezahlen. Bei der Bank, wenn ich da sage, ich möchte jetzt jeden Monat so und so viel auf ein Sparbuch legen, kann ich immer noch sagen, ach, diesen Monat haben wir jetzt gerade was eingekauft, mache ich mal nicht. Bei der "Gameya" gibt es Leute, die darauf warten. Da ist einer, der muss diesen Monat die gesamte Summe kriegen, da gibt es kein Vertun, da muss ich bezahlen. Und damit zwinge ich mich zu sparen, und das ist für viele effektiv. Ich habe zum Beispiel eine Freundin, die machte eine "Gameya", um ihre Kreditkartenrechnung zu bezahlen alle paar Monate.

Timm: Es fördert sowohl die Selbstdisziplin als auch das Gemeinschaftsgefühl, diese Art des Wirtschaftens?

Saoub: Auf jeden Fall. Und es ist noch ein wichtiger Punkt. Das machen vor allen Dingen Frauen, das weiß man ja nun schon lange, dass in der Dritten Welt viel die Frauen eigentlich meist besser wirtschaften als die Männer und auch bei diesen "Gameyas" ist es so, das ist traditionell eine Frauensache, die treffen sich dann auch und die kennen sich. Da nimmt man natürlich nur jemanden rein, dem man vertraut, dass der dann auch wirklich bezahlt. Es passiert wirklich nicht, dass jemand sich am Anfang der Zeit das Geld nimmt und dann den Rest nicht mehr abbezahlt. Das kommt nicht vor, das beruht auf gegenseitigem Vertrauen und eben darauf, dass man dann wirklich auch das Geld zusammenhat und die Frauen aus den ärmeren Schichten, die ich kenne, die arbeiten damit wirklich gut. Die sagen, meine Tochter heiratet dann und dann, ich spare jetzt die "Gameya" und dann und dann. Ich bin die Letzte, die dran ist und dann kriege ich das gesamte Geld und kann ihr davon das Kleid kaufen und die Möbel und was sie braucht, um zu heiraten.

Timm: Die Männer haben das Sagen, aber die Frauen führen die Haushaltskasse. Esther Saoub, unsere ARD-Kollegin in Kairo über Islam Banking und die Wirtschaftsform "Gameya", die aus Ägypten kommt und die man ja im Zuge der Börsenabstürze glatt mal aufnehmen könnte, sich das Geld reihum organisieren ohne Banken. Hat doch was. Vielen Dank, Frau Saoub!