Nicht die Politik, aber das Politische interessiert mich

Moderation: Joachim Scholl · 09.01.2007
Er steht für den Dialog zwischen den Kulturen: der arabische Lyriker Adonis. Er ist gebürtiger Syrer mit libanesischem Pass, schon lange lebt er in Paris. Der inzwischen 77-Jährige gilt als bedeutendster Dichter der arabischen Welt. Viele sehen in ihm einen künftigen Nobelpreisträger für Literatur. Zurzeit ist Adonis zu Besuch in Deutschland.
Deutschlandradio Kultur traf ihn zu einem Gespräch. Lesen Sie hier einen Auszug:

Scholl: Mit Deutschland pflegen Sie in Ihren Gedichten und Essays eine besondere Verbindung. Sie nehmen immer wieder Bezug auf Rilke, Hölderlin, Heidegger und Nietzsche. Warum ist die deutsche Literatur und Geistesgeschichte so bedeutsam für Sie geworden?

Adonis: Diese genannten Dichter und Denker spielen für mich eine Rolle, weil ich mich für europäische Geistesgeschichte und Literatur interessiere. Insbesondere für das, was ich den orientalischen Aspekt der europäischen Geistesgeschichte nenne. Orient hier nicht als geografische Bezeichnung verstanden, sondern als philosophisch-geistig-geistlich-poetische Haltung. In Nietzsche, in Rilke, in Hölderlin entdecke ich so etwas wie das andere Antlitz des europäischen Geistes. Nicht das Technisch-Naturwissenschaftliche, sondern die Dichtung, das Poetische. (…)

Scholl: Sie sind in Syrien geboren. Sie haben über 20 Jahre in Beirut gelebt, auch in Zeiten des Bürgerkriegs in den 80er Jahren. Vier Mal, heißt es, sind Sie ausgebombt worden. Jetzt, 20 Jahre später, ist Beirut erneut ein Trümmerfeld. Sie haben sich immer wieder für den Ausgleich mit Israel eingesetzt. Damit haben Sie sich bei vielen in der arabischen Welt unbeliebt gemacht. Mit welchen Gedanken und Gefühlen haben Sie die Ereignisse im Sommer in dieser ja auch Heimatstadt von Ihnen verfolgt?

Adonis: Nun, ich werde mich weiterhin für einen Frieden einsetzen. Ich verkünde aber einen Frieden, der gerecht und dauerhaft ist.

Über den Nahen Osten sagte Adonis zusammenfassend weiter, die Palästinenser hätten wie jedes Volk das Recht auf einen eigenen, unabhängigen Staat und die arabischen Staaten hätten die Voraussetzungen dafür geschaffen. "Sie sind in Vorleistung gegangen. Aber leider muss ich sagen, dass Israel nichts gibt, keine Zugeständnisse gemacht hat." In diesem Punkt gebe es bei den westlichen Intellektuellen ein Tabu, das gebrochen werden müsse.

Adonis beschrieb sich als nicht interessiert an der "Politik als solcher". Hingegen interessiere er sich sehr für "das Politische" im ursprünglicheren Sinn wie in der griechischen Antike. Dabei gehe es um das Zusammenleben der Menschen "im Geist der Gerechtigkeit, der Schönheit, der Menschheit". "In diesem Sinn fallen für mich auch das Politische, das Ethische und das Poetische zusammen."

Sie können das vollständige Gespräch für begrenzte Zeit in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.