Nicht auf die Asche starren

Rezensiert von Michael Opitz |
Der 1936 ins Dresden geborene Schriftsteller und Regisseur B.K. Tragelehn hat sich an den Verhältnissen in der DDR stets gerieben. Die Folge waren Berufs- und Veröffentlichungsverbote, schließlich 1979 die Übersiedelung in den Westen. Ein Lesebuch zeichnet jetzt diese exemplarische Biographie nach.
B.K. Tragelehn, der Meisterschüler der Akademie der Künste bei Bertolt Brecht war, wurde durch seine Lehrzeit bei dem Theatergiganten aus Augsburg geprägt - Brechts Die Ausnahme und die Regel hat Tragelehn 1957 in Wittenberg inszeniert.

Da war die Theaterwelt (der DDR) noch in Ordnung. Gehörig in Unordnung geriet sie, als Tragelehn im September 1961 Heiner Müllers Stück Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande an der Studentenbühne der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst inszenierte. Denn dem Stück wurden antikommunistische und konterrevolutionäre Tendenzen vorgeworfen, was dazu führte, dass die Inszenierung nach einer Vorstellung verboten wurde. Tragelehns Bemühungen, sich in der DDR für das gesellschaftlich Neue zu engagieren, quittierte die Partei mit dem Ausschluss aus der SED und schickte ihn zur Bewährung in die Produktion. Erst nach der Fürsprache von Paul Dessau durfte er nach diesem Berufsverbot wieder am Theater arbeiten.

Erneut fiel Tragelehn in Ungnade, als er zusammen mit Einar Schleef Regie bei Strindbergs Stück Fräulein Julie (1975) am Berliner Ensemble führte. Es war für eine lange Zeit Tragelehns letzte Regiearbeit in der DDR - weitere Theaterengagements versagte man dem Mitunterzeichner der Biermann-Petition. Nach dieser künstlerischen Degradierung im Osten setzt Tragelehn seine Karriere mit Inszenierungen von Moliere, Shakespeare und Stücken von Heiner Müller, darunter Quartett, Philoktet, Die Schlacht, im Westen fort.

Neben seiner Theaterarbeit hat er sich auch einen Namen als Übersetzer von Shakespeare und als Lyriker gemacht. Aber auch eine Auswahl seiner lyrischen Texte, die 1977 in der Reihe Poesiealbum erscheinen sollte, wurde in der DDR verboten. So konnten auch seine zwischen 1956 und 1981 entstandenen Gedichte unter dem Titel NÖSPL 1982 nur im Westen erscheinen.

Tragelehn hat sich an den Verhältnissen in der DDR stets gerieben. Aber trotz der Enttäuschungen und Niederlagen hat er die Hoffnung nie aufgegeben, dass sich etwas positiv verändern könne. "Diese Hoffnung auf das Andere", schreibt er 1998, dreißig Jahre nach dem Prager Frühling, "kann man auch heute nicht aufgeben." Die Gesprächsnotiz hat Tragelehn mit Roter Stern in den Wolken überschrieben. Es ist zugleich der Titel einer Dürer-Zeichnung, die sich auf der Rückseite des Dürer-Bildes der Heilige Hieronymus in der Wildnis befindet. Tragelehn bringt die Ereignisse des Prager Frühlings und Dürers Zeichnung zusammen, indem er darauf aufmerksam macht, dass man "nicht auf die Asche starren sollte, sondern auf die Funken die unter der Asche warten."

Im Verlag Theater der Zeit ist jetzt eine Textcollage Tragelehns erschienen. Sie ermöglicht es, sich auf die Spur einer exemplarischen Biographie zu begeben, in die sich die historischen Verwerfungen der jüngsten Zeitgeschichte eingeschrieben haben.


B.K. Tragelehn: Roter Stern in den Wolken. Aufsätze, Reden, Gedichte, Gespräche und ein Theaterstück. Ein Lesebuch
Herausgegeben von Gerhard Ahrens.
Verlag Theater der Zeit, Berlin 2006, 295 Seiten