Nicht an Traumata rühren

Von Günter Beyer und Gaby Mayr · 13.07.2011
Der Genozid 1994 in Ruanda, dem 800.000 Menschen zum Opfer fielen , verursachte eine radikale Zäsur in der Gesellschaft. Das gilt auch für Kunst und Kultur. Inzwischen gibt es aber wieder eine kleine Szene von Malern und Bildhauern. Die wollen den Menschen vor allen Dingen Hoffnung machen.
Sind wir hier richtig? Eine schmale Holperstraße in Ruandas Hauptstadt Kigali, einfache einstöckige Häuser, ein blaues Tor aus Blech. Neben dem Wohnhaus von Laurent Hategekimana ein Schuppen, der ihm als Atelier dient - und ein Taubenschlag.

"Ich liebe Tauben. Wenn ich mich beim Arbeiten in meinem Atelier ein bisschen allein fühle, gehe ich zum Entspannen hinaus und schaue meinen Tauben zu. Ich nehme einige Körner Weizen und füttere sie."

Laurent Hategekimana ist heute der bekannteste Bildhauer Ruandas. Der kräftige, bärtige Mittvierziger hat seine Grundausbildung in der Kunstschule von Nyundo absolviert. Die hatte ein katholischer Missionsorden gegründet.

"Wenn ich künstlerisch arbeite, stütze ich mich auf die ruandische Kunst, auf die Tradition. Ich behandle Themen wie den Tanz, die Trennung, die Liebe und den Alltag der Ruander."

In einer großen Kiste verwahrt Hategekimana seine jüngsten Arbeiten. Er kramt eine Figur aus hartem Jacarandaholz hervor, die noch gewachst werden muss: ein organisch geschwungenes, fast transparentes Vogelwesen, in dessen Körpermitte zwei stilisierte Hände behutsam ein Ei umfassen.

"Schauen Sie sich das Ei an! Die Arbeit drückt aus, dass das Leben, das Leben eines menschlichen Wesens, kostbar ist. Man muss es sorgsam bewahren! Man muss dieses Leben schützen."

Laurent Hategekimana ist einer der wenigen Künstler in Ruanda, die öffentliche Aufträge bekommen. Für die zentrale Gedenkstätte an den Völkermord von 1994 in Kigali schuf er ein Dutzend Holzfiguren. Sie symbolisieren das Ruanda vor, während und nach dem Genozid.

Ein Künstler mit eigener Galerie ist der Maler Epa Binamungu. In bester Lage, im ersten Stockwerk des Geschäftshauses "Kigali City Center", arbeitet er bei Neonlicht und stellt seine Arbeiten aus. Folkloristische Motive, wie afrikanische Musikinstrumente, sollen vor allem Ausländer überzeugen. Durch Reisen, wie zur Kasseler documenta, hält sich Binamungu zugleich über globale Tendenzen auf dem laufenden. Typisch für ihn sind seine teils kräftigen, teils düsteren Farben.

"Ich bin ein etwa aggressiver Maler. Selbst, wenn Sie meine Bilder eigentlich nicht sehen wollen, müssen Sie doch hingucken, weil die Farben Sie attackieren."

Binamungu, Jahrgang 1954, lebte während des Völkermords als Flüchtling im Kongo. Er hat viele Angehörige und Freunde verloren. Als die Massaker vorbei waren, kehrte er nach Ruanda zurück. Immer wieder versucht er, den Völkermord künstlerisch zu bewältigen.

Auf der Staffelei steht ein großes Gemälde. Braune, teigig aufgetragene und mit beigemischtem Sand plastisch noch verstärkte Farbkörper, die auseinander platzen würden, wären sie nicht mit Bändern fragil verbunden.

"Das Gemälde drückt für mich aus: Man braucht Versöhnung. Man braucht Verknüpfungen. Einheit unter den Menschen."

Ruandas Szene der Bildenden Künstler ist klein. Kunstakademien gibt es nicht, die einzige, von der katholischen Kirche getragene, kunstgewerblich ausgerichtete Schule in Nyundo schloss nach dem Völkermord. Sie wurde erst 2009 wieder eröffnet.

Aber junge Künstler lassen sich nicht aufhalten. Die Familie des 25-jährigen Innocent Nkurunziza floh bereits 1959, als Hutu-Aktivisten gegen die Tutsi-Oberschicht aufbegehrten, ins benachbarte Uganda.

"Nach dem Völkermord kehrten wir nach Ruanda zurück. Aber Kunst, zeitgenössische Kunst, fanden wir da nicht. Alles war traditionell, Skulpturen und Batik und solche Sachen."

Ruanda KünstlerhausIn einem bunten, liebenswert chaotischen Künstlerhaus betreibt Innocent Nkurunziza mit Kolleginnen und Kollegen das Projekt "Ivuka" - auf deutsch: Wiedergeburt. Sie versuchen, Straßenkinder und Kriegsopfer in der Nachbarschaft für Tanz und bildende Kunst zu begeistern.

An den Staffeleien auf der offenen Terrasse entstehen farbenfreudig-expressive, teils abstrakte, teils gegenständliche Gemälde. Genozidbilder, Bilder des Schreckens, malt der junge Künstler nicht. Jedenfalls noch nicht.

"Wir schaffen Dinge, die den Leuten Hoffnung bringen. Wir sollten nichts machen, was an Traumata rührt. Es gibt so viele Leute, die vom Völkermord betroffen sind. Und das ist alles noch zu frisch."