Nicht alles Karneval
Köln, die Metropole am Rhein hat immer mehr unter der wirtschaftlichen Flaute zu leiden. Neben dem bundesweiten Negativ-Trend wirkt sich offenbar die problematische lokalpolitische Szene auf den Ruf der Millionenstadt aus.
Eigentlich ist Köln in diesen Wochen ja im Karnevalsfieber. Da laufen die Leute abends bunt verkleidet zu Sitzungen in überfüllten Sälen, schunkeln und haben Freude. Wenn, ja wenn sie es sich leisten können. Denn immer mehr verlieren ihren Arbeitsplatz. Sowohl in der produzierenden Industrie als auch im Bereich der Dienstleistungen werden ständig Stellen abgebaut. Betroffen sind vor allem diejenigen, die keine umfangreiche Ausbildung haben, die in den Fabriken der Region arbeiteten und jetzt auf der Straße stehen.
Viele Betriebe haben in den letzten Jahren schon dicht gemacht, und auch der überschaubare Ausbau der Medienbranche in Köln konnte nur einen Teil der Arbeitsplätze ausgleichen. Und ein Ende der Misere ist nicht in Sicht. Massen-Entlassungen bestimmten die Schlagzeilen in den örtlichen Medien. Zum Beispiel in den regionalen Hörfunknachrichten:
"Ford in Köln streicht über 1.300 Arbeitsplätze. Trotz voller Auftragsbücher sollen die Stellen eingespart werden. Das hat ein Firmensprecher bestätigt. Der Kölner Versicherungskonzern Gerling soll einen Großteil seiner 4.000 Mitarbeiter entlassen. Das verlangt der neue Mehrheitsaktionär Talanx.
Mehrere Hundert Arbeitsplätze werden bei der Firma Linde Kältetechnik abgebaut. Die Produktion soll aus Kostengründen nach Tschechien und Frankreich verlegt werden.
Der Fernsehsender Viva zieht um nach Berlin. Die Beschäftigten verlangen einen Sozialplan, weil die meisten in der Hauptstadt keinen neuen Arbeitsplatz bei Viva bekommen.
Die Traditionsfirma Stollwerck gibt ihren Produktionsstandort in Köln auf. Aus Kostengründen lohne es sich nicht mehr, hier Schokolade herzustellen. 150 Mitarbeiter verlieren ihren Job."
Selbst Traditionsfirmen sind also vom massiven Abbau an Arbeitsplätzen betroffen. Firmen, bei denen die Mitarbeiter seit Jahrzehnten denken, dass ihre Jobs sicher sind. Dass zum Beispiel der Autohersteller Ford in seinem großen Kölner Werk einschneidende Einsparungen beim Personal vornimmt, kommt bei den Beschäftigten denkbar schlecht an.
"Angst nicht um den Arbeitsplatz, aber halt: Jetzt wollen sie an unser Geld dran – Nur streichen, streichen… Man wird nur als Kostenfaktor angesehen, ja? Und nicht mehr als Mitarbeiter.
Vor allem, wo soll es auch hingehen? Unsere Azubis, die bekommen jetzt mittlerweile Zeitvertrag, die werden nach einem Jahr auf die Straße gesetzt und für uns: Immer mehr arbeiten, Freischichten weg, Weihnachtsgeld kürzen… was bleibt da noch übrig?
So wie es aussieht, werden Autos genug verkauft, also in der Produktion kommen genug Autos raus, die scheinen auch alle verkauft zu sein, und die Geschäftsleitung meint sie müsste streichen.
Ich sehe, die tun mehr Roboter als Menschen einsetzen, und das finde ich eigentlich auch nicht gut."
Die Folge sind hohe Arbeitslosenquoten. 14 Prozent sind es in Köln, das ist mehr als im ohnehin schon schlechten Durchschnitt des größten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Tendenz steigend – was wiederum große Probleme für die Betroffenen und damit auch für die öffentliche Sozialverwaltung mit sich bringt. Doch warum ziehen sich die Firmen ganz oder teilweise aus Köln zurück? Eine Frage, die überraschenderweise weniger in der örtlichen Politik diskutiert wird – es sind eher die betroffenen Verbände, die sich mit diesem Thema überhaupt beschäftigen. So ist der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds in Köln sicher, dass es an den Mitarbeitern nicht liegen kann.
Wolfgang Uellenberg:
"In dieser Stadt und in dieser Region gibt es ein unglaubliches Potenzial an guten Leuten, wir haben stabile industrielle Netzwerke. Köln ist eigentlich eine Stadt, die viele Branchen hat, wir sind nicht schlecht aufgestellt. Aber ich sage mal, wir werden unter unserem Niveau regiert und verwaltet."
Eine Stadtregierung, die ihre Aufgaben nicht oder nicht ausreichend wahrnimmt? Käme diese Schelte alleine vom DGB, könnte man sie als politische Rhetorik abtun. Doch auch Vertreter anderer gesellschaftlicher Gruppen sind längst unzufrieden mit dem, was ihnen im Rathaus geboten wird. So fühlen sich Vertreter der Wirtschaft von Kölns Stadtpolitkern nicht ernst genommen, wenn es darum geht, eine möglichst gute Infrastruktur für Unternehmen zu schaffen und um Arbeitsplätze tatsächlich zu kämpfen.
Detlev Sachse von der Industrie- und Handelskammer:
"Nach unserem Eindruck fehlt es an der Bereitschaft, sich mit den Wurzeln wirtschaftlicher Probleme auseinander zu setzen. Oder anders gesagt: Wir haben in der IHK Köln mitunter den Eindruck, dass die Sorgen, die die Menschen haben, zum Beispiel die Arbeitslosen in der politischen Klasse, nicht immer ankommen."
Diese politische Klasse Kölns geht zwar auch zu den Karnevalssitzungen, trifft sich aber immer wieder auch zu Sitzungen des Kölner Stadtrats.
Die sind deutlich länger geworden nach der jüngsten Kommunalwahl. Da wurde die Fünf-Prozent-Hürde aufgrund eines Urteils des Landesverfassungsverfassungsgerichts abgeschafft, wodurch jetzt auch kleinere Gruppierungen im Stadtparlament sitzen. Und die frühere schwarz-grüne Mehrheit wurde abgewählt, weil die CDU drastisch an Stimmen verlor – doch dazu später. Jetzt wird seit Monaten nach neuen Bündnissen gesucht.
Oberbürgermeister Fritz Schramma hält das für ein Problem:
"Wird schwierig für die Stadt, weil damit eine Reihe von Projekten, so wie ich das sehe, gefährdet sind."
Mehr als zehn Stunden Ratssitzung – das ist in Köln nun keine Seltenheit mehr. Die Abstimmungen laufen oft einstimmig ab, wenn es um reine Verwaltungsfragen geht. Aber es gibt ja noch die großen politischen Themen, bei denen die Fraktionen meinen, mit taktischen Manövern bei den Wählern punkten zu können. In festen Koalitionen ist das natürlich schwieriger, weil man sich mit dem politischen Partner abstimmen und einigen muss. Deshalb ist der Wirtschaft ein festes Bündnis im Kölner Rathaus auch lieber.
Detlev Sachse von der IHK:
"Deshalb sind wir an Koalitionen interessiert, die verlässlich sind, auf die sich der Bürger auch einlassen kann und auf die auch die Wirtschaft vertraut. Wenn sie nicht vertraut, investiert sie auch nicht. Wenn sie nicht investiert, gibt es kein Wachstum, wenn es kein Wachstum gibt, gibt es Arbeitslose. Das ist die Reihenfolge, an die die Politik denken muss."
Was für die Wirtschaftsvertreter ideal ist, hat mit dem Ideal der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung allerdings nichts zu tun. Dort ist die Bildung von Koalitionen überhaupt nicht vorgesehen. Fachleute halten wechselnde Mehrheiten in der Kommunalpolitik in Einzelentscheidungen für völlig normal. Deswegen sind zum Beispiel die Kölner Grünen, die sich in letzter Zeit zum Zünglein an der politischen Entscheidungs-Waage entwickelt haben, über die Äußerungen der IHK nicht gerade glücklich.
Parteivorsitzender Jörg Penner:
"Natürlich nervt das, das geht auch an der Realität vorbei. Weil die Politik in den letzten Monaten gezeigt hat, dass es partiell auch mit wechselnden Mehrheiten geht. Aber nichtsdestotrotz: Für den Haushalt braucht man ein festes Bündnis."
Vor der Kommunalwahl hatte man das noch, schwarz-grün war es, und bundesweit als vorbildlich beachtet. Aber das ist Geschichte. Danach kam eine Große Koalition, aber die hielt auch nicht lange. Der Grund ist vor allem die Lage der Kölner Union. Nachdem die Kölner SPD nach mehreren Skandalen einen schwierigen Neuanfang machen musste, wirtschaftete die Kölner CDU-Führung ihren Kreisverband nach allen Regeln der Kunst in massive Schwierigkeiten. Spendenskandale, öffentliche Streitereien und Personalklüngel prägten das Bild, für Sachpolitik blieb der Union kaum noch Zeit.
Die Kölner CDU, die nach mehr als 40 Jahren Ende 1999 zum ersten Mal wieder die stärkste Fraktion im Stadtrat stellte, war von ihrem eigenen Erfolg offenbar völlig überrascht. Was folgte, war vor allem eine interne Auseinandersetzung um Macht, Einfluss und Posten. Weil die Union aber eben keine absolute Mehrheit hatte, musste sie nach politischen Partnern suchen. Die aber freuten sich gar nicht, mit einer so ungeordneten und unberechenbaren Partei zusammen zu arbeiten.
Selbst die damalige Kanzlerkandidatin Angela Merkel redete ihren Kölner Parteifreunden im Wahlkampf noch öffentlich ins Gewissen:
"Die CDU muss einig sein, da ist es besser geworden, und der Oberbürgermeister braucht einfach 'ne breite Mehrheit möglichst im Parlament. Und dann sage ich: Ganz bürgernah um jede Stimme kämpfen, auch Kritik sich anhören. Das ist ganz wichtig. Man kann nicht erwarten, dass die Bürger nicht dann auch sagen, was ihnen nicht gefällt."
Doch die Kölner CDU stritt sich munter weiter, was sich auch auf die wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit des Stadtrates nicht gerade positiv auswirkte. Und dann geriet auch noch Oberbürgermeister Fritz Schramma, ebenfalls CDU-Mitglied, in die Kritik. Dass er mehr auf Repräsentation setzt als auch die effektive Führung seiner 18.000 Mitarbeiter starken Stadtverwaltung, wird ihm von den meisten noch verziehen. In bundesweit verbreiteten Schlagzeilen war dann aber plötzlich zu lesen, er habe ein Bauprojekt nicht korrekt ausgeschrieben. Kein Wunder, dass das wiederum nicht nur die Sitzungen der Politiker, sondern auch die der Karnevalisten bewegt.
In der alternativen Stunksitzung wird Schramma's mögliche Verfehlung bei der vergaberechtlichen Ausschreibung zynisch aufgegriffen:
"Ich hab da mal ne Frage wegen dem Zettel, den ihr mir das letzte Mal mitgegeben habt. Wegen der Messehallen. Ich soll da irgendwas nicht ausschreiben. Das ist doch Quatsch! Ich hab noch mal nachgeguckt, auf dem Zettel sind überhaupt gar keine Abkürzungen drauf. Was soll ich denn da ausschreiben?"
Köln als wirtschaftspolitisches Jammertal. Politische Uneinigkeit, wohin man blickt. Konzepte, gar Visionen? Fehlanzeige! Das ist kaum ein Klima, das Unternehmen aus aller Welt anlockt, hier Dependancen zu eröffnen. Oder das Existenzgründer ermutigt, sich hier niederzulassen und mittelfristig auch Arbeitsplätze zu schaffen. Oder das Firmen eben an die Vorteile des Standortfaktors Köln glauben lässt und Jobs sichert.
Und doch gibt es einen, der schaut nach vorne: Klaus Jenniges, und der muss das auch, quasi von Berufswegen. Denn er ist der oberste Wirtschaftsförderer der Stadtverwaltung. Kein leichter Job in dieser harten Zeit:
"Ich höre mir auch schon manchmal an, sowohl von Investoren als auch von Wirtschaftsförderer-Kollegen aus anderen Städten, die dann sagen: Mensch, ihr seid doch so gut! Ihr habt doch so eine tolle Stadt! Warum zerredet ihr eigentlich alles selber? Und dann ist es natürlich schon sehr schwer, den Leuten deutlich zu machen, dass trotzdem ein positives Klima hier herrscht und dass es sich trotzdem lohnt in Köln zu investieren."
Das positive Klima – davon bekommen zum Beispiel die Ford-Mitarbeiter, die um ihren Job bangen müssen, kaum etwas mit. Und dann werden auch noch Großprojekte so dilettantisch geplant, dass Investoren abgeschreckt werden. Zum Beispiel bei einem Hochhaus-Projekt, das in der Nähe des Kölner Doms gebaut werden sollte. Bei den Planungen hatte man schlicht vergessen, dass die Kathedrale auf der Liste der geschützten Weltkulturerbe-Stätten steht. Deshalb darf auch die Sicht auf den Dom nicht behindert werden. Nach Drängen der Unesco mussten die Kölner ihre Baupläne schließlich aufgeben.
Der Dom, er ist nicht nur das Kölner Wahrzeichen, sondern auch irgendwo immer noch das, woran sich die Kölner auch wirtschaftlich festhalten. Er lockt Menschen aus aller Welt nach Köln, die hier natürlich auch Geld ausgeben. Ohne Frage ist das ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Enorm hohe Touristenzahlen und ein pulsierendes Leben in der Innenstadt lassen viele den berühmten Kölner Spruch zitieren "et hätt noch immer joot jejange", es ist noch immer gut gegangen. Anders sehen das die Teilnehmer der regelmäßigen Montagsdemonstrationen vor dem Kölner Dom. Auch bei klirrender Kälte wird hier für eine sozialere Politik geworben:
"Es heißt ständig, der Staat muss sparen. Er spart auf Kosten der ärmsten Leute. Aber tatsächlich ist in diesem Land Geld im Überfluss da. Und deswegen haben wir das Thema der heutigen Montagsdemonstration sozusagen zusammengefasst: Die Absahner!"
Die Unternehmen seien also alleine Schuld an der Misere, heißt es hier. Der DGB sieht das zwar etwas differenzierter, betont aber auch noch einmal die Bedeutung der tatkräftigen Unterstützung durch Politik und Verwaltung.
Wolfgang Uellenberg:
"Man hat den Eindruck, dass die Stadt auf die Investoren oder auf die Unternehmer oder auch auf die Arbeitnehmer wartet, aber selber sich zu wenig bemüht. Ich denke, das kommt negativ an, weil man den Eindruck hat, die nehmen alles andere ernst, nur das, was uns angeht, da passiert viel zu wenig."
So furchtbar viel konnte auch gar passieren. Daran ist nicht nur die unübersichtliche Lage im Kölner Stadtparlament verantwortlich. Die Wirtschaft vermisst auch einen hochrangigen Vertreter, der sich um ihre Belange wirklich kümmert. Oberbürgermeister Fritz Schramma reist gerne zwar in ferne Länder, um dort Projekte Kölner Firmen mit städtischer Beteiligung zu preisen - die konkrete Wirtschaftspolitik am Rhein aber ist gar nicht seine vornehmliche Aufgabe. Dafür hat er üblicherweise einen Dezernenten, der sich nur um diesen Bereich kümmert. Doch über die Streitereien im Rathaus hat man offenbar völlig vergessen, nach dem Ausscheiden des früheren Wirtschaftsdezernenten vor mehr als einem Jahr einen Nachfolger zu suchen.
Klaus Jenniges von der Stadt Köln:
"In der Vergangenheit war es so, dass das Wirtschaftdezernat mehr oder weniger bei einem anderen Dezernenten, nämlich bei dem Kämmerer – der damit eigentlich viel zu viel schon zu tun hat – angegliedert war und natürlich deshalb auch nicht diesen Stellenwert haben konnte, den es halt draußen braucht. Mit einem Wirtschaftsdezernenten, der permanent auch vor Ort ist, der die Stadt auch nach außen hin vertreten kann. Und eine solche Figur muss eben jetzt gesucht werden."
Immerhin hat eine breite Mehrheit im Stadtrat – auch ohne Koalition – die Ausschreibung für die wichtige Stelle jetzt auf den Weg gebracht. Symptomatisch ist freilich, dass die Veröffentlichung der Stellenanzeige wieder mal nicht allzu schnell passierte. Irgendwie sind die Kölner dann doch zu sehr an ihren eher gemütlichen Handlungsstil gewöhnt.
Außerdem ist die politische Machtfrage eben weitgehend ungeklärt – das heißt, niemand weiß so genau, welche Parteien-Konstellation den neuen Experten wählen wird. Das und das Fallenlassen bereits öffentlich nominierter Kandidaten für andere Dezernentenposten in Köln schreckt profilierte Bewerber eher ab.
Und doch, Detlev Sachse von der Industrie- und Handelskammer sieht bei allen Problemen auch ein kleines Licht am Horizont:
"Ich glaube, dass das Image der Stadt unter wenigen großen politischen Management-Mängeln leidet, die hier stattgefunden haben und die das Bild der Stadt Köln nach außen prägen. Wer hier lebt, fühlt sich vermutlich ein bisschen anders und sieht auch viel mehr Differenzierung, viel mehr Potenzial und sieht die Hoffnung mehr als derjenige, der vielleicht von draußen rein guckt."
Und dieser Blick von draußen wird für die Kölner immer wichtiger – eben wenn es darum geht, Standort-Entscheidungen von Unternehmen zu beeinflussen. Nur wenn es den Stadtpolitikern gelingt, auch durch ihre eigenen Entscheidungen Köln wieder zuverlässiger und weltstädtischer zu machen, haben sie Chancen im internationalen Wettbewerb. Denn in Zeiten der Globalisierung muss jede Kommune ihre Trümpfe ausspielen und darf sie nicht in Lethargie und Eigenbeschäftigung untergehen lassen.
Ein erster Schritt in diese Richtung wurde bereits getan: IHK, Einzelhandel und die Stadt wollen ein gemeinsames Konzept für ein professionelles Stadt-Marketing entwerfen. Die Initiative dazu ging freilich wieder von den Verbänden aus.
Viele Betriebe haben in den letzten Jahren schon dicht gemacht, und auch der überschaubare Ausbau der Medienbranche in Köln konnte nur einen Teil der Arbeitsplätze ausgleichen. Und ein Ende der Misere ist nicht in Sicht. Massen-Entlassungen bestimmten die Schlagzeilen in den örtlichen Medien. Zum Beispiel in den regionalen Hörfunknachrichten:
"Ford in Köln streicht über 1.300 Arbeitsplätze. Trotz voller Auftragsbücher sollen die Stellen eingespart werden. Das hat ein Firmensprecher bestätigt. Der Kölner Versicherungskonzern Gerling soll einen Großteil seiner 4.000 Mitarbeiter entlassen. Das verlangt der neue Mehrheitsaktionär Talanx.
Mehrere Hundert Arbeitsplätze werden bei der Firma Linde Kältetechnik abgebaut. Die Produktion soll aus Kostengründen nach Tschechien und Frankreich verlegt werden.
Der Fernsehsender Viva zieht um nach Berlin. Die Beschäftigten verlangen einen Sozialplan, weil die meisten in der Hauptstadt keinen neuen Arbeitsplatz bei Viva bekommen.
Die Traditionsfirma Stollwerck gibt ihren Produktionsstandort in Köln auf. Aus Kostengründen lohne es sich nicht mehr, hier Schokolade herzustellen. 150 Mitarbeiter verlieren ihren Job."
Selbst Traditionsfirmen sind also vom massiven Abbau an Arbeitsplätzen betroffen. Firmen, bei denen die Mitarbeiter seit Jahrzehnten denken, dass ihre Jobs sicher sind. Dass zum Beispiel der Autohersteller Ford in seinem großen Kölner Werk einschneidende Einsparungen beim Personal vornimmt, kommt bei den Beschäftigten denkbar schlecht an.
"Angst nicht um den Arbeitsplatz, aber halt: Jetzt wollen sie an unser Geld dran – Nur streichen, streichen… Man wird nur als Kostenfaktor angesehen, ja? Und nicht mehr als Mitarbeiter.
Vor allem, wo soll es auch hingehen? Unsere Azubis, die bekommen jetzt mittlerweile Zeitvertrag, die werden nach einem Jahr auf die Straße gesetzt und für uns: Immer mehr arbeiten, Freischichten weg, Weihnachtsgeld kürzen… was bleibt da noch übrig?
So wie es aussieht, werden Autos genug verkauft, also in der Produktion kommen genug Autos raus, die scheinen auch alle verkauft zu sein, und die Geschäftsleitung meint sie müsste streichen.
Ich sehe, die tun mehr Roboter als Menschen einsetzen, und das finde ich eigentlich auch nicht gut."
Die Folge sind hohe Arbeitslosenquoten. 14 Prozent sind es in Köln, das ist mehr als im ohnehin schon schlechten Durchschnitt des größten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Tendenz steigend – was wiederum große Probleme für die Betroffenen und damit auch für die öffentliche Sozialverwaltung mit sich bringt. Doch warum ziehen sich die Firmen ganz oder teilweise aus Köln zurück? Eine Frage, die überraschenderweise weniger in der örtlichen Politik diskutiert wird – es sind eher die betroffenen Verbände, die sich mit diesem Thema überhaupt beschäftigen. So ist der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds in Köln sicher, dass es an den Mitarbeitern nicht liegen kann.
Wolfgang Uellenberg:
"In dieser Stadt und in dieser Region gibt es ein unglaubliches Potenzial an guten Leuten, wir haben stabile industrielle Netzwerke. Köln ist eigentlich eine Stadt, die viele Branchen hat, wir sind nicht schlecht aufgestellt. Aber ich sage mal, wir werden unter unserem Niveau regiert und verwaltet."
Eine Stadtregierung, die ihre Aufgaben nicht oder nicht ausreichend wahrnimmt? Käme diese Schelte alleine vom DGB, könnte man sie als politische Rhetorik abtun. Doch auch Vertreter anderer gesellschaftlicher Gruppen sind längst unzufrieden mit dem, was ihnen im Rathaus geboten wird. So fühlen sich Vertreter der Wirtschaft von Kölns Stadtpolitkern nicht ernst genommen, wenn es darum geht, eine möglichst gute Infrastruktur für Unternehmen zu schaffen und um Arbeitsplätze tatsächlich zu kämpfen.
Detlev Sachse von der Industrie- und Handelskammer:
"Nach unserem Eindruck fehlt es an der Bereitschaft, sich mit den Wurzeln wirtschaftlicher Probleme auseinander zu setzen. Oder anders gesagt: Wir haben in der IHK Köln mitunter den Eindruck, dass die Sorgen, die die Menschen haben, zum Beispiel die Arbeitslosen in der politischen Klasse, nicht immer ankommen."
Diese politische Klasse Kölns geht zwar auch zu den Karnevalssitzungen, trifft sich aber immer wieder auch zu Sitzungen des Kölner Stadtrats.
Die sind deutlich länger geworden nach der jüngsten Kommunalwahl. Da wurde die Fünf-Prozent-Hürde aufgrund eines Urteils des Landesverfassungsverfassungsgerichts abgeschafft, wodurch jetzt auch kleinere Gruppierungen im Stadtparlament sitzen. Und die frühere schwarz-grüne Mehrheit wurde abgewählt, weil die CDU drastisch an Stimmen verlor – doch dazu später. Jetzt wird seit Monaten nach neuen Bündnissen gesucht.
Oberbürgermeister Fritz Schramma hält das für ein Problem:
"Wird schwierig für die Stadt, weil damit eine Reihe von Projekten, so wie ich das sehe, gefährdet sind."
Mehr als zehn Stunden Ratssitzung – das ist in Köln nun keine Seltenheit mehr. Die Abstimmungen laufen oft einstimmig ab, wenn es um reine Verwaltungsfragen geht. Aber es gibt ja noch die großen politischen Themen, bei denen die Fraktionen meinen, mit taktischen Manövern bei den Wählern punkten zu können. In festen Koalitionen ist das natürlich schwieriger, weil man sich mit dem politischen Partner abstimmen und einigen muss. Deshalb ist der Wirtschaft ein festes Bündnis im Kölner Rathaus auch lieber.
Detlev Sachse von der IHK:
"Deshalb sind wir an Koalitionen interessiert, die verlässlich sind, auf die sich der Bürger auch einlassen kann und auf die auch die Wirtschaft vertraut. Wenn sie nicht vertraut, investiert sie auch nicht. Wenn sie nicht investiert, gibt es kein Wachstum, wenn es kein Wachstum gibt, gibt es Arbeitslose. Das ist die Reihenfolge, an die die Politik denken muss."
Was für die Wirtschaftsvertreter ideal ist, hat mit dem Ideal der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung allerdings nichts zu tun. Dort ist die Bildung von Koalitionen überhaupt nicht vorgesehen. Fachleute halten wechselnde Mehrheiten in der Kommunalpolitik in Einzelentscheidungen für völlig normal. Deswegen sind zum Beispiel die Kölner Grünen, die sich in letzter Zeit zum Zünglein an der politischen Entscheidungs-Waage entwickelt haben, über die Äußerungen der IHK nicht gerade glücklich.
Parteivorsitzender Jörg Penner:
"Natürlich nervt das, das geht auch an der Realität vorbei. Weil die Politik in den letzten Monaten gezeigt hat, dass es partiell auch mit wechselnden Mehrheiten geht. Aber nichtsdestotrotz: Für den Haushalt braucht man ein festes Bündnis."
Vor der Kommunalwahl hatte man das noch, schwarz-grün war es, und bundesweit als vorbildlich beachtet. Aber das ist Geschichte. Danach kam eine Große Koalition, aber die hielt auch nicht lange. Der Grund ist vor allem die Lage der Kölner Union. Nachdem die Kölner SPD nach mehreren Skandalen einen schwierigen Neuanfang machen musste, wirtschaftete die Kölner CDU-Führung ihren Kreisverband nach allen Regeln der Kunst in massive Schwierigkeiten. Spendenskandale, öffentliche Streitereien und Personalklüngel prägten das Bild, für Sachpolitik blieb der Union kaum noch Zeit.
Die Kölner CDU, die nach mehr als 40 Jahren Ende 1999 zum ersten Mal wieder die stärkste Fraktion im Stadtrat stellte, war von ihrem eigenen Erfolg offenbar völlig überrascht. Was folgte, war vor allem eine interne Auseinandersetzung um Macht, Einfluss und Posten. Weil die Union aber eben keine absolute Mehrheit hatte, musste sie nach politischen Partnern suchen. Die aber freuten sich gar nicht, mit einer so ungeordneten und unberechenbaren Partei zusammen zu arbeiten.
Selbst die damalige Kanzlerkandidatin Angela Merkel redete ihren Kölner Parteifreunden im Wahlkampf noch öffentlich ins Gewissen:
"Die CDU muss einig sein, da ist es besser geworden, und der Oberbürgermeister braucht einfach 'ne breite Mehrheit möglichst im Parlament. Und dann sage ich: Ganz bürgernah um jede Stimme kämpfen, auch Kritik sich anhören. Das ist ganz wichtig. Man kann nicht erwarten, dass die Bürger nicht dann auch sagen, was ihnen nicht gefällt."
Doch die Kölner CDU stritt sich munter weiter, was sich auch auf die wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit des Stadtrates nicht gerade positiv auswirkte. Und dann geriet auch noch Oberbürgermeister Fritz Schramma, ebenfalls CDU-Mitglied, in die Kritik. Dass er mehr auf Repräsentation setzt als auch die effektive Führung seiner 18.000 Mitarbeiter starken Stadtverwaltung, wird ihm von den meisten noch verziehen. In bundesweit verbreiteten Schlagzeilen war dann aber plötzlich zu lesen, er habe ein Bauprojekt nicht korrekt ausgeschrieben. Kein Wunder, dass das wiederum nicht nur die Sitzungen der Politiker, sondern auch die der Karnevalisten bewegt.
In der alternativen Stunksitzung wird Schramma's mögliche Verfehlung bei der vergaberechtlichen Ausschreibung zynisch aufgegriffen:
"Ich hab da mal ne Frage wegen dem Zettel, den ihr mir das letzte Mal mitgegeben habt. Wegen der Messehallen. Ich soll da irgendwas nicht ausschreiben. Das ist doch Quatsch! Ich hab noch mal nachgeguckt, auf dem Zettel sind überhaupt gar keine Abkürzungen drauf. Was soll ich denn da ausschreiben?"
Köln als wirtschaftspolitisches Jammertal. Politische Uneinigkeit, wohin man blickt. Konzepte, gar Visionen? Fehlanzeige! Das ist kaum ein Klima, das Unternehmen aus aller Welt anlockt, hier Dependancen zu eröffnen. Oder das Existenzgründer ermutigt, sich hier niederzulassen und mittelfristig auch Arbeitsplätze zu schaffen. Oder das Firmen eben an die Vorteile des Standortfaktors Köln glauben lässt und Jobs sichert.
Und doch gibt es einen, der schaut nach vorne: Klaus Jenniges, und der muss das auch, quasi von Berufswegen. Denn er ist der oberste Wirtschaftsförderer der Stadtverwaltung. Kein leichter Job in dieser harten Zeit:
"Ich höre mir auch schon manchmal an, sowohl von Investoren als auch von Wirtschaftsförderer-Kollegen aus anderen Städten, die dann sagen: Mensch, ihr seid doch so gut! Ihr habt doch so eine tolle Stadt! Warum zerredet ihr eigentlich alles selber? Und dann ist es natürlich schon sehr schwer, den Leuten deutlich zu machen, dass trotzdem ein positives Klima hier herrscht und dass es sich trotzdem lohnt in Köln zu investieren."
Das positive Klima – davon bekommen zum Beispiel die Ford-Mitarbeiter, die um ihren Job bangen müssen, kaum etwas mit. Und dann werden auch noch Großprojekte so dilettantisch geplant, dass Investoren abgeschreckt werden. Zum Beispiel bei einem Hochhaus-Projekt, das in der Nähe des Kölner Doms gebaut werden sollte. Bei den Planungen hatte man schlicht vergessen, dass die Kathedrale auf der Liste der geschützten Weltkulturerbe-Stätten steht. Deshalb darf auch die Sicht auf den Dom nicht behindert werden. Nach Drängen der Unesco mussten die Kölner ihre Baupläne schließlich aufgeben.
Der Dom, er ist nicht nur das Kölner Wahrzeichen, sondern auch irgendwo immer noch das, woran sich die Kölner auch wirtschaftlich festhalten. Er lockt Menschen aus aller Welt nach Köln, die hier natürlich auch Geld ausgeben. Ohne Frage ist das ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Enorm hohe Touristenzahlen und ein pulsierendes Leben in der Innenstadt lassen viele den berühmten Kölner Spruch zitieren "et hätt noch immer joot jejange", es ist noch immer gut gegangen. Anders sehen das die Teilnehmer der regelmäßigen Montagsdemonstrationen vor dem Kölner Dom. Auch bei klirrender Kälte wird hier für eine sozialere Politik geworben:
"Es heißt ständig, der Staat muss sparen. Er spart auf Kosten der ärmsten Leute. Aber tatsächlich ist in diesem Land Geld im Überfluss da. Und deswegen haben wir das Thema der heutigen Montagsdemonstration sozusagen zusammengefasst: Die Absahner!"
Die Unternehmen seien also alleine Schuld an der Misere, heißt es hier. Der DGB sieht das zwar etwas differenzierter, betont aber auch noch einmal die Bedeutung der tatkräftigen Unterstützung durch Politik und Verwaltung.
Wolfgang Uellenberg:
"Man hat den Eindruck, dass die Stadt auf die Investoren oder auf die Unternehmer oder auch auf die Arbeitnehmer wartet, aber selber sich zu wenig bemüht. Ich denke, das kommt negativ an, weil man den Eindruck hat, die nehmen alles andere ernst, nur das, was uns angeht, da passiert viel zu wenig."
So furchtbar viel konnte auch gar passieren. Daran ist nicht nur die unübersichtliche Lage im Kölner Stadtparlament verantwortlich. Die Wirtschaft vermisst auch einen hochrangigen Vertreter, der sich um ihre Belange wirklich kümmert. Oberbürgermeister Fritz Schramma reist gerne zwar in ferne Länder, um dort Projekte Kölner Firmen mit städtischer Beteiligung zu preisen - die konkrete Wirtschaftspolitik am Rhein aber ist gar nicht seine vornehmliche Aufgabe. Dafür hat er üblicherweise einen Dezernenten, der sich nur um diesen Bereich kümmert. Doch über die Streitereien im Rathaus hat man offenbar völlig vergessen, nach dem Ausscheiden des früheren Wirtschaftsdezernenten vor mehr als einem Jahr einen Nachfolger zu suchen.
Klaus Jenniges von der Stadt Köln:
"In der Vergangenheit war es so, dass das Wirtschaftdezernat mehr oder weniger bei einem anderen Dezernenten, nämlich bei dem Kämmerer – der damit eigentlich viel zu viel schon zu tun hat – angegliedert war und natürlich deshalb auch nicht diesen Stellenwert haben konnte, den es halt draußen braucht. Mit einem Wirtschaftsdezernenten, der permanent auch vor Ort ist, der die Stadt auch nach außen hin vertreten kann. Und eine solche Figur muss eben jetzt gesucht werden."
Immerhin hat eine breite Mehrheit im Stadtrat – auch ohne Koalition – die Ausschreibung für die wichtige Stelle jetzt auf den Weg gebracht. Symptomatisch ist freilich, dass die Veröffentlichung der Stellenanzeige wieder mal nicht allzu schnell passierte. Irgendwie sind die Kölner dann doch zu sehr an ihren eher gemütlichen Handlungsstil gewöhnt.
Außerdem ist die politische Machtfrage eben weitgehend ungeklärt – das heißt, niemand weiß so genau, welche Parteien-Konstellation den neuen Experten wählen wird. Das und das Fallenlassen bereits öffentlich nominierter Kandidaten für andere Dezernentenposten in Köln schreckt profilierte Bewerber eher ab.
Und doch, Detlev Sachse von der Industrie- und Handelskammer sieht bei allen Problemen auch ein kleines Licht am Horizont:
"Ich glaube, dass das Image der Stadt unter wenigen großen politischen Management-Mängeln leidet, die hier stattgefunden haben und die das Bild der Stadt Köln nach außen prägen. Wer hier lebt, fühlt sich vermutlich ein bisschen anders und sieht auch viel mehr Differenzierung, viel mehr Potenzial und sieht die Hoffnung mehr als derjenige, der vielleicht von draußen rein guckt."
Und dieser Blick von draußen wird für die Kölner immer wichtiger – eben wenn es darum geht, Standort-Entscheidungen von Unternehmen zu beeinflussen. Nur wenn es den Stadtpolitikern gelingt, auch durch ihre eigenen Entscheidungen Köln wieder zuverlässiger und weltstädtischer zu machen, haben sie Chancen im internationalen Wettbewerb. Denn in Zeiten der Globalisierung muss jede Kommune ihre Trümpfe ausspielen und darf sie nicht in Lethargie und Eigenbeschäftigung untergehen lassen.
Ein erster Schritt in diese Richtung wurde bereits getan: IHK, Einzelhandel und die Stadt wollen ein gemeinsames Konzept für ein professionelles Stadt-Marketing entwerfen. Die Initiative dazu ging freilich wieder von den Verbänden aus.