Nicholas Shakespeare: "Boomerang"

Der Spion in der Nussschale

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Das Cover von Nicholas Shakespeares "Boomerang" auf orangefarbenem Hintergrund.
Elegant und intelligent erzählt: der Krimi "Boomerang" von Nicholas Shakespeare. © Hoffmann und Campe / Deutschlandradio
Von Thomas Wörtche · 26.06.2020
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Nicholas Shakespeares hat mit "Boomerang" einen philosophischen Thriller rund um eine Eliteschule in Oxford geschrieben. Es geht um Verantwortung – und um die Frage, ob man in einer neoliberalen Gesellschaft überhaupt richtige Entscheidungen fällen kann.
"Boomerang", der neue Roman von Nicholas Shakespeare, presst die Welt in eine Nussschale. Diese Nussschale ist Oxford, der Standort des "Phoenix", einer exklusiven Schule für eine internationale, meist schwerreiche Klientel aus aller Welt. Dort tummeln sich ex-sowjetische Oligarchen, chinesische Mogule, Schweizer Investoren, Geheimdienstler jeder Couleur und andere Figuren, mit mehr oder weniger undurchsichtigem Background.
Auch Dyer ist dort gelandet, ein ehemaliger Journalist, der schon die Hauptfigur in Shakespeares Roman "Der Obrist und die Tänzerin" (1995) war, den man aber zum Verständnis unseres Romans nicht unbedingt kennen muss.

Bahnbrechende Erfindung

Dyer ist aus Südamerika zurück, um seinen Sohn im Phoenix zur Schule gehen zu lassen. Dort trifft er auf den Iraner Rustum Marvar, einen Physiker, der am HighTech-Standort Oxford eine bahnbrechende Entdeckung gemacht hat: eine neue Methode der Kernfusion, ohne großen technologischen Aufwand und spottbillig dazu. Kurz, eine Erfindung, die die Welt revolutionieren und ungeheure Profite abwerfen könnte.
Als das ruchbar wird, sind alle hinter der Formel her – alle Geheimdienste, Marvars Regierung, die vermutlich schon seine Frau in Teheran als Druckmittel entführt hat, die internationale Finanzszene sowieso. Marvar weiß, wenn seine Erfindung in die falschen Hände fällt, wird sie großes Unglück auslösen. Aber was wären die richtigen Hände?
Bevor er mit seinem kleinen Sohn spurlos verschwindet – Hat er sich abgesetzt? Ist er entführt worden? – vertraut er die Formel seinem Freund Dyer an. Und der steht nun vor einem großen moralischen Dilemma. Was soll er tun? Wem soll er die Formel geben? Soll er sie der Öffentlichkeit enthüllen? Hätte das den Tod von Rustums Frau zu Folge? Wer könnte politischen Unfug damit treiben? Dyer traut niemanden, aber er muss eine Entscheidung treffen.

Innere Konflikte

Und genau darum geht es in "Boomerang". Die begehrte Formel ist dabei der prinzipiell austauschbare Aufhänger, der "MacGuffin", an dem sich die inneren Konflikte von Dyer entzünden. Es geht um Loyalität, es geht um Verantwortung, es geht um "das Richtige", das keine feste Größe ist, sondern ein sehr oszillierendes Phänomen.
Shakespeares Konzentration auf eine feste Einheit von Raum und Zeit seiner Geschichte erlaubt ihm ein möglichst präzises Bild der neoliberalen Situation unserer Zeit zu zeichnen, die die Rahmenbedingungen für das definieren, was dann "das Richtige" sein könnte – oder eben nicht. Und sein elegantes und intelligentes Erzählen, seine genauen "Menschenporträts" und seine Fähigkeiten, in großen Zusammenhängen zu denken, ohne deren menschliche Dimensionen zu vernachlässigen, machen aus "Boomerang" einen Polit-Thriller auf der Höhe der Zeit, abseits der üblichen "Spion gegen Spion"-Spiele. Und insofern zu einem philosophisch gewichtigen Roman.

Nicholas Shakespeare: "Boomerang"
Aus dem Englischen von Anette Grube
Hoffmann & Campe, Hamburg 2020
398 Seiten, 25 Euro