Nibelungen-Festspiele eröffnen mit Lukas Bärfuss

"Luther" ohne Luther

08:37 Minuten
Der Schweizer Autor Lukas Bärfuss, 2019.
Lukas Bärfuss attestiert Luther eine "verbale Brutalität" und sieht "Gewalt" in dessen Texten. © picture alliance / dpa / Boris Rössler
Lukas Bärfuss im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 16.07.2021
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Die Wormser Festspiele beginnen mit "Luther", doch der tritt gar nicht auf. Geschrieben hat das Stück Lukas Bärfuss, der eine neue Perspektive auf den Reformator präsentiert: Sein Luther ist verbal brutal, unversöhnlich und von Angst getrieben.
Mit der Premiere von "Luther" beginnen vor dem Kaiserdom in Worms die diesjährigen Nibelungen-Festspiele. Vor nunmehr 500 Jahren hatte sich der Reformator beim Reichstag zu Worms geweigert, seine Schriften und Thesen zu widerrufen.
Damals wurde die Stadt monatelang von einer bunten Mischung an Persönlichkeiten bevölkert: Kaiser Karl V. hatte Fürsten, Grafen und Botschafter geladen, und alle brachten ihr Personal mit. Ritter, Diener und Geistliche kamen, aber auch Diebe und Prostituierte. Und Martin Luther.
Das neue Stück über den Reformator hat der Schweizer Autor Lukas Bärfuss verfasst. Der Büchnerpreisträger wartet mit einem besonderen Kniff auf: Sein Theatertext über Luther kommt ganz ohne Luther aus. Der tritt einfach nicht auf.
Sunnyi Melles als Papst in "Luther", Nibelungen Festspiele Worms 2021.
Gehört mit zum Bühnenpersonal: Sunnyi Melles als Papst in "Luther", Nibelungen Festspiele Worms, 2021.© David Baltzer / Nibelungen Festspiele Worms
Warum? "Wir haben alle ein ziemlich fixiertes Bild von diesem Menschen", sagt Bärfuss: "Wir schließen die Augen und sehen eine Gestalt in diesem Talar mit dem Barett. Das ist künstlerisch uninteressant, diese Reflexe zu bedienen."
Zudem sei die Fokussierung auf den Mönch historisch nicht korrekt, sagt der Dramatiker. Er wolle deswegen mit dem Stück eher Luthers Umfeld zeigen, und "die Zeit, die ihn möglich gemacht hat".

"Man kann nur lernen, wenn man genau bleibt"

Dabei ist Bärfuss "historische Genauigkeit" wichtig. "Wenn man sich einem solchen welthistorischen Moment, der auch sehr propagandistisch überhöht wurde, nähert, tut man gut daran, die Quellen zu studieren." Er habe diese "exzessiv" gelesen: "Man kann nur lernen, wenn man genau bleibt."
Beim Lesen hat Bärfuss eine besondere Perspektive auf den Refomator gewonnen. Bei ihm ist Luther nicht der widerständige Freiheitskämpfer, sondern erst einmal ein Mensch, der Angst hatte. "Dieser Mensch fürchtete sich tatsächlich vor dem Teufel und der Hölle. Und er hat ein Verfahren gesucht, um diesem Schicksal zu entkommen." Innere Panik habe Luther angetrieben.

Unser Theaterkritiker Christoph Leibold sagt in seiner Rezension [AUDIO], dass man in der Wormser Aufführung die Figur Luther nicht vermisse, denn es gehe vielmehr darum, das Porträt einer amoralischen, dekadenten Gesellschaft zu zeichnen. Die schleppende Inszenierung von Ildikó Gáspár mit misslungenen Versuchen satirischer Überspitzung sei aber enttäuschend ausgefallen.

Jürgen Tarrach in dem Stück "Luther" bei den Wormser Nibelungen-Festspielen. 
© imago-images / BOBO
Bärfuss attestiert Luther eine "verbale Brutalität" und sieht "Gewalt" in dessen Texten. Die Trennung der Welt in "Wir und die anderen", Unversöhnlichkeit, Rechthaberei und störrisches Beharren könnten Luther angelastet werden.
Diese "Methode" habe sich bis heute gehalten. "Wir leben immer noch in einer Welt, die polarisiert und ganz klar unterscheidet zwischen richtig und falsch, die Ambivalenzen immer wieder ausblendet", betont Bärfuss.

Brücken bauen in der freiheitlichen Gesellschaft

Das Beispiel Luther zeige, dass es in einer freiheitlichen Gesellschaft darum gehen müsse, Brücken zu bauen. Nötig sei die Überzeugung, dass "das andere Argument das bessere sein könnte".
Inszeniert wurde Bärfuss' "Luther" von der Regisseurin Ildikó Gáspár. Zum Ensemble gehören unter anderem Sunnyi Melles und Jürgen Tarrach. Die Nibelungen-Festspiele finden seit 2002 statt. Pandemiebedingt wurden sie im vergangenen Jahr abgesagt.
(ahe)
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