Niall Ferguson: "Türme und Plätze"

Die Macht und ihre Netzwerke

Cover von "Türme und Plätze" vor dem Hintergrund einer Ansicht von Siena in der Toskana.
Cover von "Türme und Plätze" vor dem Hintergrund einer Ansicht von Siena in der Toskana. © Propyläen Verlag / dpa / Van der Meer Rene
Von Günther Wessel · 07.08.2018
Netzwerke finden sich heute überall, gelten als Schlüssel zu Einfluss, Macht und Karriere. Der britischen Historiker Niall Ferguson glaubt, es habe sie schon immer gegeben. In seinem neuen Buch untersucht er ihren Einfluss auf die Weltgeschichte.
Siena: Der muschelförmige Platz überragt von der Torre de Mangia. Mit diesem Ideal des spätmittelalterlichen Städtebaus illustriert Niall Ferguson sein Geschichtsbild: Turm und Platz bilden einen Gegensatz. Der Turm verkörpert die Hierarchie – der Platz den Austausch von Individuen.
Bislang – so Ferguson – habe die Geschichtsschreibung sich eher den Türmen, den Hierarchien, Staaten, Militär und Unternehmen, gewidmet, da diese – anders als Netzwerke – mehr Quellen bereitstellten. Es fehle eine Untersuchung der Netzwerke jenseits von Verschwörungstheorien wie diesen, dass Geheimgesellschaften – seien es Illuminaten oder Freimaurer – die Geschicke der Welt bestimmen.

Gefeit vor Verschwörungstheorien

Als seriöser und belesener Historiker ist Ferguson davor gefeit, und sein Buch ist ein fußnotengesättigter Ritt durch die Geschichte – glänzend erzählt, mit zahlreichen Querverweisen, Anekdoten und Abschweifungen.
Netzwerke hätten immer wieder die etablierten Hierarchien herausgefordert – und damit die Geschichte vorwärtsgetrieben. Dann hätten sie sich selbst aber meistens zu neuen Hierarchien verfestigt – und seien erneut durch neue Netzwerke herausgefordert worden.
Das mag häufig stimmen, aber Ferguson klärt leider nicht, wo denn die Unterschiede zwischen Netzwerk und Hierarchie, zwischen Platz und Turm genau verlaufen. Er weiß und schreibt auch selbst, dass viele Herrscher seit jeher Netzwerker waren und dass auch Netzwerke immer hierarchische Elemente beinhalteten.

Seine These gefällt ihm zu gut

Dennoch: Seine These gefällt ihm zu gut – und so bleibt er ihr treu. Mit Hilfe von Netzwerktheorien untersucht er vor allem in den den letzten 500 Jahren, wo und wie neue Technologien und wissenschaftliche Erkenntnisse Netzwerke beförderten und wie diese dann politisch-historisch wirksam wurden.
So sorgte beispielsweise der Buchdruck dafür, dass sich ab dem frühen 16. Jahrhundert Netzwerke der Gelehrsamkeit ausformten, die zunächst die Reformation in Europa durchsetzten, dann später als Aufklärer den Absolutismus in Europa in Frage stellten.
Es gab laut Ferguson Netzwerke an Handelsrouten, in Geheimdiensten, in Guerilla-Organisationen, Henry Kissinger besaß eines, die polnische Opposition in den 1980ern ebenso, die Mafia ist eines und al-Quaida ebenso, und mitunter ist es ermüdend, was der Autor alles als Netzwerk verortet und warum. Und so zerfällt das dicke Buch in zu viele doch recht dünne Einzelkapitel.

Das Internet als Buchdruck 2.0

Doch in zwei wichtigen Punkten muss man Ferguson zustimmen: Was vor 500 Jahren der Buchdruck war, ist heute das Internet, ein weltweites, gigantisches auch politisch agiles Netzwerk. Auch seiner Warnung vor den eventuellen fatalen Folgen für demokratische Prozesse durch die Vorherrschaft von Google und Facebook, durch Fake News und Trolle im Internet.

Niall Ferguson: "Türme und Plätze. Netzwerke, Hierarchien und der Kampf um die globale Macht"
Aus dem Englischen von Helmut Reuter.
Propyläen Verlag, Berlin 2018.
624 Seiten, 32 Euro

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