Ney-Flöte, Elektrobeats und Drinks
Bei Istanbul ist oft die Rede von der Stadt zwischen Orient und Okzident. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich auch die Musik von Mercan Dedes. Der Türke ist DJ und spielt die Ney-Flöte, ein traditionelles Bambusinstrument. Bei seinen Auftritten verwebt er deren Klänge mit digitalen Beat zu einem kuschelweichen und clubtauglichen Eine-Welt-Musikteppich.
"Meine Musik ist absolut nicht akademisch, sie spiegelt mich wieder. Sie ist so etwas wie ein Tagebuch."
Die Loge der Derwische hat etwas von einem Juwel in einem Schmuckkasten: Hinter einer Mauer in einem Blumengarten liegt das verwitterte, uralte Holzhaus. Es riecht nach Sonne und Rosenblüten. Das ehemalige Derwischkloster ist heute ein Museum:
"Wir Türken haben in den letzten 50 Jahren einiges falsch gemacht. Uns ist gesagt worden: westlich sein bedeutet seine eigene Kultur und seine eigenen Werte zu ignorieren. Das ändert sich jetzt. Die Leute merken, dass sie ihre Kultur und ihre Werte haben und trotzdem westlich sein können."
Die eigene Kultur gibt es im Haus der Derwische satt. Innen schlängeln sich Holz geschnitzte Dekors hoch bis zur Decke, die schweren Hängeleuchter spiegeln sich unten auf dem Parkett. Am Boden hocken dicht gedrängt fünf Musiker. Ihre Hände tanzen auf Rahmentrommeln, zupfen an der Baglama-Laute und Mercan Dede bläst die Ney-Flöte, ein Rohr schlank wie ein Bambus.
Proben für den Abend, wenn Mercan im "Babylon" spielen wird, einem angesagten Istanbuler Club. Dort wird er noch elektronisch unterstützt. Die Elektrobeats verwebt der DJ mit der Ney-Flöte zu einem kuschelweichen und clubtauglichen Eine-Welt-Musikteppich:
Am nächsten Tag. Eine Maisonette-Wohnung in Beyoglu, dem Szeneviertel von Istanbul. Hier wohnt Mercan Dede:
"What would you like to drink?"
Die Längswand des Raumes ist aus Glas, Bosporus-Panorama:
"Es inspiriert mich. Wenn ich morgens auf dem Balkon sitze und das Echo der Stadt höre, die Boote, die Minarette, den Bosporus."
Mercan Dede trägt seine Haare jetzt glatt und kurz. Früher hatte er eine punkige Stachelfrisur, mit der er wie ein Igel aussah. Heute sind nur die Ohrringe schräg: schwarze Schlangen, die sich vom Kinn aufwärts durch die Ohrlöcher winden. Sumuk heißen sie:
"Sumuk sind mystische Geschöpfe aus dem Sufismus. Wenn du tot bist, dann bringen sie deine Seele in eine andere Dimension."
Sufismus ist eine islamische Mystik, die auch in Mercan Dedes Musik steckt. In der Ney-Föte und den Derwischen, die er bei seinen Auftritten dazu tanzen lässt. Die Derwische drehen sich wie Kreisel auf der Stelle, in Röcken, die wie Stürme rum und rum und rum wirbeln, nur kreisen und schweben und tanzen, hinein in die Trance. Zum ersten Mal hat Mercan Dede Derwische 1970 gesehen.
"Ich war fünf und die politische Situation damals war viel gespannter als heute. Der Sufismus war verboten. Deshalb sah ich die Derwische das erste Mal in der Turnhalle eines Gymnasiums. Ich glaube es sollte nicht allzu spirituell wirken. Ich spielte gerade Tischtennis mit meinem Bruder und dann fingen sie an zu proben. Ich weiß es noch ganz genau, wie ich dachte: Oh mein Gott, die sind irgendwo zwischen Engeln und Aliens. Das hat mein ganzes Leben beeinflusst."
Die Ney-Flöte, ein Sufi-Instrument, war zwar nicht verboten, aber in der damals streng laizistischen Türkei spielten nur konservative Alte mit langen Bärten und faltigen Gedanken
die traditionelle Flöte.
Und Mercan Dede. Seine Ney nahm er dann auch mit nach Kanada, wo er Jahre später als DJ lebte:
"Eines Nachts habe ich aufgelegt bei diesem Riesen-Rave in Toronto mit mehreren DJs und habe eine Ney-CD eingelegt, und du konntest mit den Augen sehen, wie sich die Energie verändert hat. Und dann kamen 50 Leute danach zu mir und fragten: Diese Musik mit der Flöte, das war großartig. Was war das?"
Traditionelle Spiritualität auf einer kanadischen Party. Aber passt das wirklich zusammen? Derwische und Drinks, die Ney und die Clubs? Oder ist das Sufismus für Konsumkinder? Mystik für Party-People?
"Ich glaube, dass ein Problem der Religion ist, dass wir sie aus unserem täglichen Leben gestrichen haben, weil wir Gott aus unserem täglichen Leben gestrichen haben. Aber im Sufismus sehen wir das nicht so: Gott ist nicht eine abgetrennte Einheit, Gott ist überall."
Und eigentlich, das ist jetzt Dedeismus, ist ohnehin alles zu jeder Zeit überall: Die Vergangenheit in der Gegenwart. Der Osten im Westen. Oder wie es der Reiseführer für Istanbul formuliert: "Istanbul – zwischen Orient und Okzident, Weltstadt der Gegensätze, lebendige Vergangenheit." Und genau so ist es. Sagt Mercan Dede. Und so ist auch seine Musik. Der Soundtrack zur Stadt?
"Ja, es ist typisch. Wenn du dir Istanbul ansiehst, dann ist es eine Mischung aus Tradition und Moderne. Hier können wir diese ottomanischen Häuser sehen und gleichzeitig die Neubauten, hier stehen Minarette neben Glasfassaden, das macht die Stadt so spannend, diese Verschiedenartigkeit."
Und während die Türkei gerade die Verschiedenartigkeit aushalten lernt, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, das Nebeneinander von Kopftüchern und Miniröcken, globalen Sockenfirmen und Nussverkäufern mit Handkarren, einstürzenden Armenwohnungen und aufstrebenden Penthäusern, hat Mercan Dede diese Gegenwart schon lange hinter sich gelassen. Halb lebt er in Istanbul, halb in Montreal und dazwischen düst er im Flugzeug zu seinen Auftritten auf der ganzen Welt. Ein urbaner Nomade, ein globalisierter Mensch.
Die Loge der Derwische hat etwas von einem Juwel in einem Schmuckkasten: Hinter einer Mauer in einem Blumengarten liegt das verwitterte, uralte Holzhaus. Es riecht nach Sonne und Rosenblüten. Das ehemalige Derwischkloster ist heute ein Museum:
"Wir Türken haben in den letzten 50 Jahren einiges falsch gemacht. Uns ist gesagt worden: westlich sein bedeutet seine eigene Kultur und seine eigenen Werte zu ignorieren. Das ändert sich jetzt. Die Leute merken, dass sie ihre Kultur und ihre Werte haben und trotzdem westlich sein können."
Die eigene Kultur gibt es im Haus der Derwische satt. Innen schlängeln sich Holz geschnitzte Dekors hoch bis zur Decke, die schweren Hängeleuchter spiegeln sich unten auf dem Parkett. Am Boden hocken dicht gedrängt fünf Musiker. Ihre Hände tanzen auf Rahmentrommeln, zupfen an der Baglama-Laute und Mercan Dede bläst die Ney-Flöte, ein Rohr schlank wie ein Bambus.
Proben für den Abend, wenn Mercan im "Babylon" spielen wird, einem angesagten Istanbuler Club. Dort wird er noch elektronisch unterstützt. Die Elektrobeats verwebt der DJ mit der Ney-Flöte zu einem kuschelweichen und clubtauglichen Eine-Welt-Musikteppich:
Am nächsten Tag. Eine Maisonette-Wohnung in Beyoglu, dem Szeneviertel von Istanbul. Hier wohnt Mercan Dede:
"What would you like to drink?"
Die Längswand des Raumes ist aus Glas, Bosporus-Panorama:
"Es inspiriert mich. Wenn ich morgens auf dem Balkon sitze und das Echo der Stadt höre, die Boote, die Minarette, den Bosporus."
Mercan Dede trägt seine Haare jetzt glatt und kurz. Früher hatte er eine punkige Stachelfrisur, mit der er wie ein Igel aussah. Heute sind nur die Ohrringe schräg: schwarze Schlangen, die sich vom Kinn aufwärts durch die Ohrlöcher winden. Sumuk heißen sie:
"Sumuk sind mystische Geschöpfe aus dem Sufismus. Wenn du tot bist, dann bringen sie deine Seele in eine andere Dimension."
Sufismus ist eine islamische Mystik, die auch in Mercan Dedes Musik steckt. In der Ney-Föte und den Derwischen, die er bei seinen Auftritten dazu tanzen lässt. Die Derwische drehen sich wie Kreisel auf der Stelle, in Röcken, die wie Stürme rum und rum und rum wirbeln, nur kreisen und schweben und tanzen, hinein in die Trance. Zum ersten Mal hat Mercan Dede Derwische 1970 gesehen.
"Ich war fünf und die politische Situation damals war viel gespannter als heute. Der Sufismus war verboten. Deshalb sah ich die Derwische das erste Mal in der Turnhalle eines Gymnasiums. Ich glaube es sollte nicht allzu spirituell wirken. Ich spielte gerade Tischtennis mit meinem Bruder und dann fingen sie an zu proben. Ich weiß es noch ganz genau, wie ich dachte: Oh mein Gott, die sind irgendwo zwischen Engeln und Aliens. Das hat mein ganzes Leben beeinflusst."
Die Ney-Flöte, ein Sufi-Instrument, war zwar nicht verboten, aber in der damals streng laizistischen Türkei spielten nur konservative Alte mit langen Bärten und faltigen Gedanken
die traditionelle Flöte.
Und Mercan Dede. Seine Ney nahm er dann auch mit nach Kanada, wo er Jahre später als DJ lebte:
"Eines Nachts habe ich aufgelegt bei diesem Riesen-Rave in Toronto mit mehreren DJs und habe eine Ney-CD eingelegt, und du konntest mit den Augen sehen, wie sich die Energie verändert hat. Und dann kamen 50 Leute danach zu mir und fragten: Diese Musik mit der Flöte, das war großartig. Was war das?"
Traditionelle Spiritualität auf einer kanadischen Party. Aber passt das wirklich zusammen? Derwische und Drinks, die Ney und die Clubs? Oder ist das Sufismus für Konsumkinder? Mystik für Party-People?
"Ich glaube, dass ein Problem der Religion ist, dass wir sie aus unserem täglichen Leben gestrichen haben, weil wir Gott aus unserem täglichen Leben gestrichen haben. Aber im Sufismus sehen wir das nicht so: Gott ist nicht eine abgetrennte Einheit, Gott ist überall."
Und eigentlich, das ist jetzt Dedeismus, ist ohnehin alles zu jeder Zeit überall: Die Vergangenheit in der Gegenwart. Der Osten im Westen. Oder wie es der Reiseführer für Istanbul formuliert: "Istanbul – zwischen Orient und Okzident, Weltstadt der Gegensätze, lebendige Vergangenheit." Und genau so ist es. Sagt Mercan Dede. Und so ist auch seine Musik. Der Soundtrack zur Stadt?
"Ja, es ist typisch. Wenn du dir Istanbul ansiehst, dann ist es eine Mischung aus Tradition und Moderne. Hier können wir diese ottomanischen Häuser sehen und gleichzeitig die Neubauten, hier stehen Minarette neben Glasfassaden, das macht die Stadt so spannend, diese Verschiedenartigkeit."
Und während die Türkei gerade die Verschiedenartigkeit aushalten lernt, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, das Nebeneinander von Kopftüchern und Miniröcken, globalen Sockenfirmen und Nussverkäufern mit Handkarren, einstürzenden Armenwohnungen und aufstrebenden Penthäusern, hat Mercan Dede diese Gegenwart schon lange hinter sich gelassen. Halb lebt er in Istanbul, halb in Montreal und dazwischen düst er im Flugzeug zu seinen Auftritten auf der ganzen Welt. Ein urbaner Nomade, ein globalisierter Mensch.