New Yorker Polizei

Eine Behörde füllt ihre Gendatenbank – auch widerrechtlich

07:12 Minuten
Ein Polizist läuft in New York einen Gehweg entlang.
Die Gesellschaft habe dem massenhaften Sammeln von DNA-Proben der New York Polizei nicht zugestimmt, sagt eine Kritikerin. © Unsplash/Jack Finnigan
Von Thomas Reintjes · 24.10.2019
Audio herunterladen
In New York erschlichen sich Polizeibeamte eine DNA-Probe eines 12-Jährigen, der einer Straftat verdächtigt wurde. Nur mit Aufwand gelang es Anwälten, seine Daten wieder aus der Datenbank zu bekommen. Kein Einzelfall.
Die New York Times hat einen Fall recherchiert, in dem Polizisten von einem 12-jährigen Jungen eine DNA-Probe erschlichen haben. Der Junge wurde einer schweren Straftat verdächtigt. Die Polizisten spendierten ihm eine Limo in einem Fast-Food-Restaurant. Den Strohhalm schickten sie später zur DNA-Analyse. Vergleichbares passiert in New York jeden Tag.
Menschen geben DNA-Proben ab, ohne dass sie es wollen, ohne dass sie es wissen und ohne dass sie eine Wahl haben, sagt Terri Rosenblatt. Sie leitet die DNA-Abteilung bei der Legal Aid Society in New York, einer Organisation von Pflichtverteidigern und Pflichtverteidigerinnen. Die Legal Aid Society hat auch den 12-Jährigen vertreten, dessen DNA vom Limo-Strohhalm in eine Datenbank in einem Labor der New Yorker Polizei wanderte.
Das Labor unterliege keinerlei Regulierung und speichere die Daten und vergleiche sie mit Tatort-DNA solange man lebt, sagt Terri Rosenblatt. Und das auch, wenn man sich als unschuldig erweist. So geschehen bei dem 12-Jährigen. Nur mit viel Aufwand ist es Anwälten nach einem Jahr gelungen, dessen DNA-Profil aus der Datenbank löschen zu lassen. Mehr als 82.000 Datensätze bleiben aber in der Datenbank. Die Polizei stand für ein Interview nicht zur Verfügung. In einer knappen E-Mail schrieb eine Sprecherin:
"DNA ist ein vorurteilsfreies, wissenschaftsbasiertes Verfahren, um gefährliche Kriminelle zu identifizieren und schwere, gewalttätige Verbrechen aufzuklären und auch um unschuldige Menschen zu entlasten."

Wie uneindeutige DNA-Beweise Geschworene beeinflussen

Terri Rosenblatt zweifelt daran, dass die Polizei immer wissenschaftlich mit DNA umgeht. In den 1990er-Jahren seien DNA-Beweise eindeutiger gewesen, wenn etwa Blutproben vom Tatort ausgewertet wurden. Heute seien die Proben oft viel kleiner. Hautschuppen etwa, die an einer Waffe kleben. Aber diese Schuppen sind so klein und leicht, dass sie einfach übertragen werden können und wenig darüber aussagen würden, wer die Waffe tatsächlich in der Hand hatte oder wem sie gehört. Vor Gericht werden solche Zweifel oft beiseite gewischt. Geschworene lassen sich leicht von dem wissenschaftlichen Anstrich der DNA-Beweise überzeugen. Die New Yorker Polizeisprecherin schreibt weiter:
"1400 DNA-Treffer sind bei schrecklichen Verbrechen wie Vergewaltigung und Mord erfolgt und mithilfe dieses Ermittlungswerkzeugs konnten gefährliche Kriminelle von der Straße geholt werden."
Es lässt sich wohl kaum bestreiten, dass Dank DNA mehr Verbrechen aufgeklärt werden können. Trotzdem zieht das Argument nur bedingt, findet zumindest Elizabeth Joh, Juraprofessorin an der Universität von Kalifornien.
"Wenn wir der Polizei erlauben würden, ohne richterlichen Beschluss ein Haus nach dem anderen zu durchsuchen, würden wir auch mehr Verbrechen aufklären. Aber das will niemand als zulässig erklären. Zu sagen, es ist nützlich und wertvoll, beantwortet nicht die Frage der Regulierung."

Verbrecherjagd mit Profilen von Verwandten

Elizabeth Joh will nicht nur, dass lokale DNA-Datenbanken reguliert werden. Etwa so, wie Datenbanken des FBI auf Bundesebene schon längst Grenzen gesetzt sind. Sie beschäftigt sich auch mit weitergehenden Konsequenzen großer DNA-Datenbanken. Diese schlicht mit der Speicherung genetischer Fingerabdrücke zu vergleichen, greift zu kurz. Während Fingerabdrücke sich selbst bei Zwillingen unterscheiden, haben wir auch noch mit entfernten Verwandten Übereinstimmungen in der DNA. Ein DNA-Profil in einer Datenbank führt deshalb nicht nur zu der Person, von der die Probe stammt.
Elizabeth Joh: "Man wird praktisch zu einem genetischen Informanten über seinen gesamten Stammbaum. Das ist interessant hinsichtlich des Teilens von Informationen mit der Regierung. Normalerweise geben Einzelpersonen ihr Einverständnis zum Zugriff auf private Informationen. Aber eine Person kann normalerweise nicht das Einverständnis für den ganzen Stammbaum geben."
Strafverfolger nutzen diese genetischen Stammbaum-Informationen. Nicht nur mit ihren eigenen Datenbanken, sondern auch mithilfe der Datenbanken von Unternehmen, die Gen-Analysen für Verbraucherinnen und Verbraucher anbieten. Finden sie darin eine Person, deren Profil mit einem möglichen Täterprofil teilweise übereinstimmt, können Ahnenforscher Verwandte ausfindig machen, die als Täter oder Täterin infrage kommen. Für Elizabeth Joh ist unklar, wie die Gesellschaft mit dieser Art von persönlichen Daten umgehen will.
"Auf der einen Seite gibt es viele Leute, die bereit sind, ihre genetischen Daten bereitzustellen, in der Hoffnung, dass dadurch Kriminalfälle aufgeklärt werden. Auf der anderen Seite gibt es einen signifikanten Teil der Bevölkerung, die nicht einwilligen, aber ihr Bruder oder ihre Cousine hat ihre Daten bereitgestellt, die auf ein Familienmitglied hinweisen. Da gibt es keinen einfachen Ausweg . Was Gen-Daten für uns als Gesellschaft bedeuten, das ist, glaube ich, noch im Fluss."
Die Polizeipraktiken in New York jedenfalls, sagt Terri Rosenblatt, sind nicht etwas, dem die Gesellschaft zugestimmt hätte. Sie sagt, die Polizei würde das Vertrauen der Bürger verspielen. Niemand würde der Polizei Informationen geben, wenn man befürchten muss, dass einem eine DNA-Probe abgenommen und für immer gespeichert wird. Und weniger Vertrauen in die Polizeiarbeit bedeute weniger Sicherheit – nicht mehr, wie das Versprechen der DNA-basierten Ermittlungen eigentlich lautet.
Mehr zum Thema