New York Times

Kolumnistin kündigt wegen "antiliberaler Stimmung"

09:19 Minuten
Bari Weiss, Ex-Kolumnistin der "New York Times" spricht in ein Mikrofon
Sieht die "New York Times" in einer Galaxie, die mit den Alltagssorgen der meisten Menschen nichts zu tun habe: Bari Weiss. © imago images / ZUMA Press / Brian Cahn
Hans Ulrich Gumbrecht im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 16.07.2020
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Bari Weiss verlässt die "New York Times", weil sie gemobbt und als Rassistin bezeichnet worden sei: Selbstzensur sei dort zur Norm geworden. Auch der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht sieht eine "Verengung der intellektuellen Kultur".
Es brodelt bei der "New York Times": Erst kündigt nach einem umstrittenen Gastbeitrag der Chef der Meinungsseite, jetzt verlässt unter lautstarkem Protest die Kolumnistin Bari Weiss die Zeitung. In einem offenen Brief an den Herausgeber hat sie ihren Schritt begründet.
Darin klagt sie über das illiberale Umfeld in der Redaktion, über eine "Selbstzensur", die zur Norm geworden sei. Die "New York Times" werde mehr und mehr zum Leitmedium derer, "die in einer weit entfernten Galaxie leben, einer Galaxie, die mit den Alltagssorgen der meisten Menschen nichts zu tun hat".

Es gibt eine Verengung der intellektuellen Kultur

Auch der deutsch-amerikanische Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht beklagt eine Stimmung der "programmatischen Intoleranz" in den USA. Der emeritierte Professor der Stanford University sieht dieses illiberale Klima sowohl an Hochschulen als auch in Privatunternehmen wie der "New York Times". Natürlich habe die Zeitung das Recht, ihren Angestellten bestimmte Grenzen zu setzen: "Aber es gibt eine Verengung der intellektuellen Kultur und das ist zu kritisieren."
Der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht steht an einem Rednerpult.
Die US-amerikanische Streitkultur müsse sich jetzt bewähren, meint Hans Ulrich Gumbrecht.© imago images / Hartmut Bösener
Ausgegangen sei diese Entwicklung von den Universitäten, sagt Gumbrecht. Dort herrsche das Gebot politischer Korrektheit: "Man könnte das so beschreiben, dass eine sozialdemokratisch- ökologische Meinung für die einzig mögliche gehalten wird, und alles andere ist gefährlich und extremistisch."
Diese Tendenz habe sich nach der Ermordung von George Floyd und den darauf folgenden Protesten verstärkt. Vielleicht, so mutmaßt Gumbrecht, weil die Protestierenden ahnen, dass ihre Forderungen nicht so schnell durchgesetzt werden können.

Intoleranz als Ersatzhandlung

Gumbrecht beschreibt die "programmatische Intoleranz" als "Ersatzhandlung": "Um sich selbst dann immer am Abend auf die Schulter klopfen zu können und zu sagen, 'Ich bin aber kein Rassist', und 'Ich engagiere mich gegen Rassismus', obwohl man in seinem Alltag keine Rassisten trifft."
Er lebe seit 30 Jahren in den USA und schätze die amerikanische Streitkultur, sagt der Literaturwissenschaftler. Diese müsse sich jetzt dadurch bewähren, dass Einspruch gegen Einschränkungen des Denkens erhoben werde: "Ich habe noch nicht aufgegeben."
(beb)
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