New York ist "reif für einen Wechsel"

Martin Suter im Gespräch mit Nana Brink · 05.11.2013
Martin Suter, Korrespondent der Schweizer "Sonntagszeitung", sieht in der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich einen der Gründe für die wahrscheinliche Wahl des Demokraten Bill de Blasio zum neuen New Yorker Bürgermeister. Immer mehr Ärmere hätten das Gefühl, "an uns denkt kein Schwein".
Nana Brink: Sein Vorgänger hat die Stadt, die niemals schläft, aus den Armen des Verbrechens gezogen. Dafür ist New Yorks Bürgermeister Rudolph Giuliani berühmt geworden. Berühmt ist schon jetzt auch sein Nachfolger, der Milliardär Michael Bloomberg, der nur zwei Monate nach den Anschlägen vom 11. September ins Amt gewählt wurde. Und das Amt des New Yorker Bürgermeisters kommt, was den Promistatus angeht, gleich nach dem Präsidenten.

Heute wählen die New Yorker einen neuen Bürgermeister. Ende des Jahres geht die Ära Bloomberg zu Ende. – Martin Suter arbeitet für die Schweizer "Sonntagszeitung" und lebt seit 20 Jahren in New York. Schönen guten Morgen, Herr Suter!

Martin Suter: Ja, guten Morgen!

Brink: Es gibt diesen legendären Satz von Michael Bloomberg, so eine Stadt wie New York ist ein Unternehmen mit 8,4 Millionen Kunden, und die müssen zufrieden sein. Sind sie mit ihm zufrieden gewesen?

Suter: Unter dem Strich auf jeden Fall. Michael Bloomberg ist ja bekannt dafür, dass er selbst ein Unternehmen gebaut hat, dieses Informationsunternehmen, und er hat ausgesprochene Manager-Qualitäten, und die hat er als Bürgermeister voll eingesetzt. Die Stadt, ihre Verwaltung, die ganze Information der Stadt funktioniert mit Abstand besser als je zuvor. Er hat auch dafür gesorgt, dass das Geld in der Stadt bleibt und dass investiert wird, und deswegen hat die Stadt ein wirklich besseres Gesicht bekommen in vielerlei Hinsicht.

Brink: Fangen wir mal mit der Verwaltung an. Detroit kollabiert ja gerade, es gibt keine städtische Verwaltung mehr. Ineffiziente Verwaltung, das ist ja ein Problem, das viele amerikanische Megastädte haben. Auch New York war nicht bekannt für seine Bürgernähe. Das hat sich geändert?

Suter: Ja, das hat sich geändert. Es hat sicher auch damit zu tun, dass Michael Bloomberg, der ja nach der jüngsten Zählung der zehntreichste Mensch in den USA ist – er hat ja 31 Milliarden Dollar Vermögen -, dass der sehr wenig abhängig ist von politischen Gruppierungen und sehr wenig erpressbar ist. Das heißt, er hat in der Verwaltung vorwiegend kompetente Managertypen eingestellt, Technokraten, und die haben wirklich in fast allen Bereichen die städtische Administration auf Vordermann gebracht.

Brink: Ich habe von meinem letzten Besuch – das war vor einem Jahr – gut in Erinnerung: Die Stadt ist in der Tat sauberer geworden. Aber es gibt auch immer mehr Ketten, die das Stadtbild bestimmen. Das bunte Anarchische ist verschwunden?

Suter: Das ist so! Das ist so. Das hat damit zu tun, dass die Stadt einfach immer teurer wird, und wenn ich teuer sage, dann meine ich immer die Kosten des Wohnens, die Kosten der Grundstücke, die Kosten der Mieten, sowohl für Leute, die hier leben, wie auch für Geschäfte, die sich hier einfinden sollen. Eine sehr typische Veränderung, die man immer wieder beobachtet, ist, dass irgendein Laden, der schon lange Zeit hier war und vielleicht eine ganz individuelle Charakteristik hatte, wenn die Mietverträge auslaufen die neue Miete nicht mehr zahlen kann. In vielen Fällen ist es dann die nationale Kette, die ein Interesse daran hat, in New York einen Flaggschiff-Laden aufzumachen oder sonst einfach präsent zu sein. Die kann sich diese hohen neuen Mieten dann leisten.

Brink: Das heißt, sauberer heißt auch, dass sich immer mehr Innenstadtbezirke entwickeln im Sinne von, sie werden wohlhabender und dann auch gesichtsloser?

New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg
Michael Bloomberg war zwölf Jahre New Yorker Bürgermeister.© picture alliance / dpa / EPA / Peter Foley
"Das Zusammenleben ist eigentlich sehr gut"
Suter: Das ist schon ein bisschen so, ja, und es gibt extreme Zonen, wo Wohnungen praktisch nur als Investment gekauft werden, zum Beispiel in Midtown, man denke zum Beispiel nur an das Plaza-Hotel beim Central Park. Die allermeisten Wohnungen, die da eingerichtet wurden – es ist ja nur zu einem kleinen Teil noch ein Hotel -, sind an Ausländer verkauft worden, und es gibt Berichte, dass da praktisch 80 Prozent des Hauses leerstehen. Es findet hier eine gewisse Entmenschlichung auch statt, vor allem da, wo das ganz große Geld vorhanden ist.

Brink: Wenn es einen Schmelztiegel der Kulturen gibt in den USA, dann ist es immer New York. Das ist ja auch so ein Klischee. Wie erleben Sie denn das Zusammenleben jetzt?

Suter: Das Zusammenleben ist eigentlich sehr gut, muss ich sagen. Es gibt eine gewisse Entmischung in gewissen Stadtteilen. Es ist auch so, dass infolge der Krise nach 2008 Leute, die sich New York nicht mehr leisten konnten, abgewandert sind. Zum Beispiel hat der Anteil der Afroamerikaner abgenommen. Es sind viele Afroamerikaner in die Südstaaten zurückgewandert, weil das Leben dort so viel billiger ist.

Aber es geht eigentlich ohne große Rassenprobleme ab hier in New York, auch in den Stadtteilen, die ein bisschen peripherer sind. Da sind ja die Kulturen sehr viel dichter zusammen. Zum Beispiel in der Bronx gibt es Latinos, da gibt es Afroamerikaner, da gibt es auch Afrikaner, und die mischen sich da kunterbunt. Aber von rassistischen Zwischenfällen hört man eigentlich relativ wenig.

Brink: Michael Bloomberg geht von Bord. Wer wird ihm nachfolgen?

Suter: Da der demokratische Kandidat Bill de Blasio, der gegenwärtige Public Advocate – das ist so etwas wie ein Ombudsmann – mit rund 40 Prozent im Vorsprung liegt vor seinem republikanischen Rivalen Joe Lhota, einem ehemaligen Manager der öffentlichen Verkehrsbetriebe.

Es ist halt schon so, dass New York sechs Mal mehr demokratisch eingeschriebene Wähler hat als Republikaner, und nach zwölf Jahren Bloomberg ist die Zeit reif für einen Wechsel. Das empfinden sehr viele Leute so.

Es ist auch so, dass die Entwicklung von New York zu einer Stadt der Reichen zur Folge hat, dass Leute, die nicht viel Geld haben oder die vielleicht sogar arbeitslos sind, dass die zunehmend unzufrieden sind mit der Situation. Sie haben das Gefühl, an uns denkt kein Schwein.

Brink: Martin Suter von der Schweizer "Sonntagszeitung". Schönen Dank für das Gespräch, Herr Suter.

Suter: Freut mich – danke!

Brink: Das Gespräch haben wir aufgezeichnet.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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