New York entdeckt den Denkmalschutz

Von Jürgen Kalwa |
Die New Yorker Skyline ist eine der ungewöhnlichsten Architekturlandschaften der Neuzeit. Der Drang nach oben wurde vor allem von einem Motiv gespeist: von den enormen Preisen für den knappen Boden in Manhattan. Doch seit ein paar Jahren keimt ein Bürgersinn in der Stadt der Wolkenkratzer. Seine Bewohner wollen historisch bedeutende Gebäude erhalten. Das führt zu Konflikten.
Man kann sich als Besucher in Manhattan ziemlich leicht zurechtfinden. Das Straßenraster ist rechteckig und durchnummeriert und die groben Richtungsangaben lauten einfach nur: „uptown“ und „downtown“. „Westside“ und „Eastside“. Was fehlt, ist ein zentraler Ort. Weshalb irgendwann die Schnittstelle von Broadway und 59. Straße ausgewählt wurde, um jenen Punkt zu markieren, den Kartographen benutzen, um die Entfernung von anderen Städten zu New York zu bestimmen. Den kreisrunden Platz mit der fast 30 Meter hohen Säule aus dem Jahre 1892 mit dem Entdecker Amerikas obendrauf, mit Christoph Kolumbus.
Rein städtebaulich war der Columbus Circle noch nie bemerkenswert. Weshalb er auf alten Fotos auch so ganz anders aussieht als heute. Ständig wurde rund um den Entdecker aus Genua umgebaut und aufgestockt. Aus Reitställen wurden Verlagsgebäude, aus Bürohochhäusern Hotels. Die Lebenserwartung der Neubauten lag jeweils bei etwa einem halben Jahrhundert, so wie im Fall jenes ausladenden Messezentrums mit dem Namen „Coliseum“, das in den 50er-Jahren gebaut wurde, aber um die Jahrtausendwende wieder verschwand. Es machte einem attraktiven gläsernen Skyscraper Platz, dem Time-Warner-Center, in dem der Fernsehsender CNN residiert.
Seit ein paar Monaten ist der Doppelturm jedoch nicht mehr der Blickfang vom Columbus Circle. Dieser Status gebührt eindeutig dem sehr viel schlankeren und niedrigeren Museum of Arts & Design gleich gegenüber.
Das Projekt wäre allerdings beinahe nicht entstanden. Nicht, wenn es nach jener lautstarken Lobby gegangen wäre, die seit ein paar Jahren darum kämpft, so viele architektonische Besonderheiten wie möglich unter Denkmalschutz zu stellen. Dieser Initiative, die ohne großen politischen Rückhalt zustande kam, verdanken die New Yorker schon einiges. Darunter die aufwändige Restaurierung von solchen Kleinoden wie dem großen Lesesaal der Bibliothek, der Public Library, der riesigen Bahnhofshalle von Grand Central, die Pflege des Central Park, der andernfalls längst verwildert wäre. Das jüngste Beispiel war die Erhaltung der High Line in Chelsea. Die Hochbahntrasse, vom Zahn der Zeit angenagt, wurde offiziell zur Grünanlage umgewidmet.
Der in New York lebende deutsche Architekt Jürgen Riehm, der unter anderem den Design Store im Museum of Modern Art gestaltet hat:

„Da gab's ja einen Wettbewerb. Wir hatten uns auch daran beteiligt. Es ist ja eine wahnsinnig tolle, ungewöhnliche Situation, dass man eine Landschaft hat, die nicht ebenerdig ist, sondern zwei Stockwerke höher liegt. So etwas künstlich herzustellen, könnte man sich nicht leisten. Und hier ist es eine vorgegebene Situation, die man ausnützt. Da ist auch New York wieder ein Beispiel von einer dynamischen Stadt, die solche Sachen aufgreift. Aber auch wieder mit einer Bürgerinitiative und Unterstützung von einer Administration.“
Dieser Bürgersinn hatte sich am Columbus Circle in einen merkwürdigen weißen Marmorkasten mit nur wenigen Fenstern verguckt, der in den 60er- Jahren vom Architekten Edward Durell Stone als Galeriegebäude für zeitgenössische Kunst errichtet worden war, aber inzwischen ohne einen sinnvollen Verwendungszweck langsam vor sich hinrottete.
Niemand anderer als Ada Louise Huxtable, die Grande Dame der amerikanischen Architekturkritik, hatte sich einst über den Entwurf lustig gemacht
„Ich habe gesagt, es sei ein aus einer Gussform stammender venezianischer Palazzo auf Dauerlutschern, was nicht sehr nett war. Aber für mich was das ein oberflächliches Gebäude. Der Mann hatte eine Formel entdeckt.“
Um das zwölfstöckige Gebäude zu retten, sollte es radikal umgebaut werden.
Doch exakt in dem Augenblick entdeckten viele eine seltsame Zuneigung zu dem venezianisch-maurischen Fremdkörper. Für die Erhaltung der Fassade sprachen sich zahlreiche prominente New Yorker aus: Künstler, Architekten, Kunsthistoriker und der Schriftsteller Tom Wolfe, ein Mann mit einem besonderen Sinn für amerikanische Architektur. Er hatte einst in seinem kulturkritischen Manifest „From Bauhaus to Our House“, deutscher Titel:
„Mit dem Bauhaus leben“ die Architektur der Moderne kritisiert und wollte Stones Gebäude als Beispiel für die Rebellion jener Zeit gegen die „französisch-deutsche Orthodoxie des International Style“ erhalten wissen.
Am Ende löste sich der Widerstand in Luft auf. Denn die mit der Denkmalpflege beauftragte städtische Kommission, die Landmarks Preservation Commission, verzichtete einfach darauf, den Fall auf die Tagesordnung zu nehmen. So wurde der Weg frei für die optisch kühle, aber nicht minder markante Totalsanierung des Architekten Brad Cloepfil aus Portland/Oregon.

Ada Louise Huxtable ist froh, dass es so gekommen ist. Und das sagte die Architekturkritikerin, die vor kurzem einen stark beachteten Sammelband mit dem Titel „On Architecture“ veröffentlicht hat, in ihrer Kolumne im „Wall Street Journal“ auch ganz deutlich.

„Ich habe diese leidenschaftlichen Argumente für ein totes Gebäude, das kein Meisterwerk war, nicht verstanden. Tatsächlich strahlt es jetzt ein architektonisches Gefühl aus. Den Eindruck hatte man vorher nicht.“
Das Erscheinungsbild setzt sich im Innern fort und hat deutlich Widerhall in der Öffentlichkeit gefunden. Das Museum for Arts & Design hatte in den Wochen nach seiner Eröffnung im Dezember weit mehr Besucher als erwartet.
Das Echo auf den langen Streit ist verklungen. Und das sicher nicht nur aufgrund der oft zitierten ultimativen Kraft des Faktischen. Vermutlich war dieses Bauwerk am Columbus Circle gar nicht in der Lage, um die ganz große Debatte anzuschieben, die in New York erst noch bevorsteht. Die Beschäftigung mit dem einzigen wirklich originären Beitrag dieser Stadt zum
Weltkulturerbe: also mit den Wolkenkratzern aus dem 20. Jahrhundert, die zusammen jene ungeschlachte Skyline ergeben und ein Ensemble, das Le Corbusier einst als „wunderbare Katastrophe“ bezeichnet hatte. Noch einmal Ada Louise Huxtable über die zu erwartenden Auseinandersetzungen zwischen Bauherren, der Öffentlichkeit und den Denkmalschützern:

„Wir sind jetzt mit der Aufgabe konfrontiert, Gebäude aus dem 20.
Jahrhundert zu erhalten. Aber was sind die Kriterien? Mit den alten Häusern war das viel einfacher. Sie waren unersetzlich. Die konnte man nicht einfach verlieren. Das System hat große Mängel. Aber es hat auch Vorteile.
Wir wissen, dass ein Gebäude seinen Unterhalt verdienen muss, wenn wir es behalten wollen. Wir legen sehr viel Wert auf eine zeitgerechte Umnutzung.
Das ist brillant. Denn dadurch lebt die Vergangenheit in der Gegenwart und der Zukunft weiter. Das erhält die Kontinuität.“