New York als Niederland

Von Tobias Wenzel |
Der gebürtige Ire Joseph O'Neill hat ein Buch über New York nach dem 11. September geschrieben. Seine Hauptfigur ist ein gut situierter Niederländer, dessen Leben nach den Anschlägen erschüttert ist. O'Neill wurde für den Roman mit dem PEN/Faulkner Award ausgezeichnet. „Niederland“ ist nun auf Deutsch erschienen. Er stellte sein Buch bei der Lit.Cologne vor.
Joseph O'Neill, ein Mann mit kurzen schwarzen Haaren und ausdrucksstarken dunkelbraunen Augen, liest den Beginn seines Romans „Niederland“. Der wurde von der US-amerikanischen Kritik hochgelobt und unter anderem mit F. Scott Fitzgeralds „Großem Gatsby“ verglichen. Auch wegen der Figurenkonstellation: Ein Finanzexperte steigt bei einem Mann in ein Auto ein, der an den amerikanischen Traum glaubt, aber es mit dem Gesetz nicht so eng nimmt und letztlich stirbt. In O'Neills Roman „Niederland“ lernt der Bankier Hans van den Broek in New York den Inder Chuck Ramkissoon kennen. Joseph O'Neill schmunzelt:

„Als ich die Hälfte meines Buches geschrieben hatte, merkte ich, dass es beachtliche, fast schon erschreckende Parallelen zwischen meinem Buch und Fitzgeralds Buch gab. Das hat mich schon eingeschüchtert. ‚Der große Gatsby‘ ist der amerikanische Roman des 20. Jahrhunderts. Aber dann habe ich gedacht: Warum sollte ich nicht in einen Dialog mit dem ‚Großen Gatsby‘ treten? Und warum sollte ich mich nicht vom ‚Großen Gatsby‘ und dem Amerika verabschieden, das in dem Buch beschrieben wird und das schnell verschwand?“

Hans und Chuck haben eine gemeinsame Leidenschaft: das Cricket-Spiel. Die Leidenschaft teilt auch Autor Joseph O'Neill. Sieben Jahre schrieb er an seinem Buch „Niederland“ und ging das Risiko ein, dass er danach wieder als Anwalt arbeiten müsste:

„Da war das berufliche Risiko, das noch vor dem künstlerischen Risiko kam. Es war völlig unklar, ob sich überhaupt jemand für solch einen Roman interessieren würde. Ich hatte keinen Verlag. Wenn mich Verlagsleute fragten, wovon mein Roman handele, sagte ich: ‚Er handelt von Cricket in New York aus der Sicht eines Niederländers.‘ (lacht) Da waren sie dann alle sprachlos. Nach ein paar Jahren habe ich lieber aufgehört, über das Buch zu sprechen. Und dann kam noch dazu, dass ich nicht schnell schreiben kann. Und in diesem Buch wollte ich geradezu eine lyrische Sprache schaffen. Ja, es hat leider etliche Jahre gedauert.“

Der gut situierte Ich-Erzähler Hans van den Broek erlebt in New York den 11. September und stellt fest, dass sein eigenes Leben in seinen Grundfesten ähnlich erschüttert ist wie New York nach den Anschlägen. Hans zieht von einem Appartement in das bekannte Chelsea-Hotel um. Im Gegensatz zu Joseph O'Neill, der dort heute noch mit seiner Frau und seinen drei Kindern lebt, ist Hans bald allein in der Stadt. Seine Ehe hat sich totgelaufen. Seine Frau geht allein mit dem gemeinsamen Sohn nach London. Da kommt es gerade recht, dass Hans den Cricket und Amerika begeisterten Inder Chuck trifft. New York wird für Hans und Chuck zum Netherland, zum Niederland:

„Die historische Bezeichnung für die Region New York ist New Netherland. So wird das Wort ‚Netherland‘ bzw. ‚Niederland‘ fast schon zum Synonym für New York. Dann ist auch Ground Zero eine Art Niederland. Und Niederland steht auch für die Moral des Erzählers Hans und seines Freundes Chuck. Chucks Traum, in Brooklyn ein Cricket-Stadion zu bauen, klingt unschuldig. Aber auch dieser Traum hat eine dunkle Seite, wie überhaupt jedes amerikanische Projekt einen dunkle Seite hat.“

Auch die Niederlande spielen in dem beeindruckenden Roman O'Neills eine wichtige Rolle. Denn Hans erinnert sich nicht nur an seine New Yorker Zeit, sondern auch an seine holländische Kindheit, in der er auf den zugefrorenen Grachten Schlittschuh lief. Ein echter Niederländer. Der war Joseph O'Neill, der Sohn eines Iren und einer Türkin, nicht ganz:

„Ich habe mich in den Niederlanden zugleich als Insider und Outsider gefühlt. Ich kam dort mit 16 Jahren hin und verließ das Land mit 24. Ich bin auf eine internationale, nicht auf eine holländische Schule gegangen. Ich gehörte also der Gemeinschaft der Ausländer in Den Haag an. Aber gleichzeitig führte ich ein holländisches Leben. Vor allem in meinem Sportverein, ziemlich genau dem Verein, den auch Hans besucht. Ich liebte Football und Cricket. So bin ich ein halber Niederländer geworden, der auch die Sprache lernte und viele Freunde bekam. Trotzdem war ich nie ganz einer von ihnen. Ich bin ein Fremder geblieben.“

Deshalb ging Joseph O'Neill ins internationalere London und 1998 dann nach New York, das bis heute seine Stadt geblieben ist und ihm dazu verholfen hat, dass er den großen Durchbruch als Autor schaffte:

„Um mir das Leben nicht unnötig schwer zu machen, habe ich dafür gesorgt, dass die Ankunft von Hans in New York meiner eigenen damaligen Ankunft entspricht. Es war die Zeit von Monica Lewinsky. New York strahlte für mich damals eine Atmosphäre unbegrenzter Möglichkeiten und von Freiheit aus. Ich war wie Hans von New York bezaubert. Als Hans wieder in London ist und sich an New York erinnert, hält die Begeisterung für die Stadt immer noch an. Früher habe ich nie so intensiv über New York nachgedacht. Dann fiel mir aber auf, dass ich unbewusst diese Stadt schon sehr lange geliebt hatte.“