New York

2000 Dollar kalt

Von Michael Watzke · 18.11.2014
In Harlem steigen die Immobilienpreise rasant. Aus dem einstigen Problemviertel ist ein begehrter Wohnbezirk geworden. Viele alteingesessenen Bewohner können sich die steigenden Mieten nicht mehr leisten. Sie werden aus dem Viertel gedrängt.
Ein sonniger Samstagnachmittag in New York. Unter schattigen Laubbäumen schwimmt fröhlich planschend ein Schwarm bunter Fische. Es ist ein Schwarm von 20 Kindern, die - wie Fische geschminkt - im Kreis tanzen. In der Mitte: Sängerin Meredith Wright.
"Everybody come swimming in the water, swimming in the water..."
Meredith singt vor ihrer eigenen Haustür - einem 100 Jahre alten Reihenhaus mit steinerner Eingangstreppe, das geradewegs aus der Bill-Cosby-Show zu stammen scheint.
"Heute ist Straßenfest. Das feiern wir einmal im Jahr für alle Familien in der 120. Straße und ihre Freunde. Wir kochen, setzen uns auf die Stufen vor den Häusern und essen gemeinsam. Wir fühlen uns wie eine große Familie."
Auch Reinhard Bek gehört zur Familie. Der gebürtige Schwabe lebt mit Frau und Tochter seit sechs Jahren in Harlem - in einem Brownstone-Haus aus dem 19. Jahrhundert, das der gelernte Restaurator selbst wieder in Schuss bringt.
"Noch vor 15 Jahren war jedes zweite Haus verlassen, also eine Hülle. Stand nur die Fassade, sonst war's leer. Die Waschbären haben drin' gewohnt. Heute sieht man kein verlassenes Haus. Kaum noch."
Miete für viele unbezahlbar
Stattdessen sieht man überall in Harlem Bauzäune und Fassadengerüste, hinter denen schicke Einfamilienhäuser entstehen. 350.000 Menschen leben in Harlem. Die Einwohnerzahl steigt rasant in diesem Stadtteil, der jahrzehntelang als No-go-Area galt, sagt Reinhard Bek.
"Noch vor fünf Jahren haben mich viele Weiße auf dem Gehweg angesprochen und mich gefragt, ob ich mich sicher fühlen würde und ob es mir gefallen würde. Das passiert heute schon nicht mehr. Jetzt zieht man hier hoch. Also 'man'..."
Man - das sind vor allem wohlhabende New Yorker. Ein Brownstone-Reihenhaus in Harlem kostete in den 70er-Jahren rund 50.000 Dollar. Heute fangen die Preise bei rund 2 Millionen Dollar an. Dementsprechend sind auch die Mieten gestiegen: eine Einzimmerwohnung kostet durchschnittlich 2000 Dollar. Viele alteingesessene Harlem-Bewohner können sich das nicht mehr leisten.
Ein Protestmarsch fuer "Bezahlbares Wohnen" in Harlem
"So what do we need?" - "Affordable Housing!"
Die New Yorker Stadtrats-Abgeordnete Letitia James steht auf der Kanzel einer Baptistenkirche und feuert rund 1000 Demonstranten an. Darunter viele "Union members", Gewerkschafts-Mitglieder.
Letitia James protestiert gegen immer höhere Mieten und immer mehr Eigentumswohnungen in Harlem. Der Stadtteil im Norden Manhattans sei "Ground Zero" der Gentrifizierung.
"Heute Nacht schlafen hier 52.000 Menschen in Obdachlosen-Wohnheimen oder auf der Straße. Wir müssen uns in New York wieder auf das Wesentliche konzentrieren: Menschen mit Essen, Arbeit und einem Dach über dem Kopf zu versorgen!"
Menschen wie die Krankenschwester Yolanda Matthews, 53 Jahre alt - und seit 53 Jahren Einwohnerin von Harlem. Beim Protestzug marschiert sie in der ersten Reihe. Zornig und mit geballter Faust reckt sie ein selbstgemaltes Schild in die Höhe: "Black and proud!" steht darauf - "Schwarz und stolz!"
"Die Botschaft ist: Die wollen uns aus New York rauswerfen. Ich kann mir keine Einzimmer-Wohnung fuer 2200 Dollar leisten. Ich bin gerade mal einen Tag von der Obdachlosigkeit entfernt. Ich hab mein ganzes Leben hier gewohnt. Hey, ich bin Amerikanerin, ich lasse mich nicht vertreiben. Ich kämpfe bis ins Grab."
Öko-Gemüse für die Unterschicht
Nicht weit entfernt vom Protestmarsch, in Hörweite der Demonstranten, kauft die deutsche Ärztin Anne Detjen ökologisch angebauten Sellerie und Fenchel ein.
"Hi Dennis!" "Oh hi. Haven't seen you in a while! We keep missing each other!" "Sorry!"
Anne Detjen lebt mit ihrem amerikanischen Mann und drei Kindern in einem weißgestrichenen Reihenhaus in der 120. Straße von Harlem. Jeden Mittwoch klopft sie bei Nachbar Dennis Derryck. An dessen Kellertuer hängt ein grünes Schild.
"Zum Corbin Hill Food Project. Das ist ein Farm Share, wo wir einmal in der Woche unser frisches Obst und Gemüse abholen. Dieses Projekt wurde gegründet, um frisches Obst und Gemüse in Gegenden in Harlem und der South Bronx zu bringen, wo es noch keine ordentlichen Supermärkte gibt, sondern nur so Bodegas ohne frisches Obst und Gemüse."
Das Corbin Hill Food Project will ein ökologisches und soziales Projekt sein: Gründer Dennis Derryck hat sich zum Ziel gesetzt, die Ernährungsgewohnheiten der schwarzen und hispanischen Unterschicht-Kinder zu verbessern. Zum Beispiel mit frischer Sellerie-Suppe.
"You can make a wonderful sellery soup if you're into it."
Das Problem: Wenn sich Unterschicht-Familien in Harlem kaum die Miete leisten können, dann erst recht nicht das teure organische Gemüse. Deshalb zahlen die wohlhabenderen Farn Share Teilnehmer für die weniger begüterten Shareholder mit. Das Projekt ist gut gemeint - und läuft bisher vor allem in den gentrifizierten Bezirken Harlems. In den "poor neighbourhoods" dagegen, den Armenvierteln, tun sich Dennis und sein Corbin Hill Food Project noch schwer.
"Zwischen Harlem und Bronx leben 1,6 Millionen Menschen. Wir erreichen 3000 pro Woche. Es ist ein Anfang."
Kein Kultur-Boom
Bei der Blockparty in der 120. Straße von Harlem haben sich die Fische inzwischen auf einen Teppich gesetzt. 20 meeresgeschminkte Kinder lauschen Sängerin Meredith Wright. Schwarze und weiße, reiche und arme, neue und alte. Die Gentrifizierung - hier scheint sie kein Problem, sondern eine Chance zu sein. Als stünde Harlem 100 Jahre nach der berühmten Harlem Renaissance erneut vor einer Wiedergeburt. Aber das täuscht, sagt der schwäbische Harlem-Bewohner Reinhard Bek.
"Was ich sehe, dass viele, viele Weiße und Europäer hier rauf ziehen und diese wunderschönen Häuser kaufen und renovieren. Aber was ich nicht sehe, ist, dass die schwarze Harlemer Kultur blüht. Was Harlem gerade treibt, ist ein irrer Immobilien-Boom. Aber kein Kultur-Boom, das kann ich nicht sehen."
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