Neutronen für Rembrandt und seine Schüler

Von Jens P. Rosbach |
Beim Betrachten eines Ölgemäldes ist nur die Endfassung zu bestaunen. Alles, was sich unter der Oberfläche befindet, bleibt dem Betrachter verborgen. Das Hahn-Meitner-Institut Projekt beschießt Kunstwerke der Berliner Gemäldegalerie mit Teilchen aus einem Forschungsreaktor, um einen Blick in tiefere Schichten zu werfen, und bringt damit so manche Überraschung ans Licht.
Die blaue Eisentür zur Reaktor-Halle ist schwer bewacht. Ein Sicherheitsmann mit Revolver und Funkgerät öffnet das Code-Schloss und führt den Besucher in ein Labyrinth aus grauen Stahltreppen, endlosen Rohren, zischenden Ventilen und blinkenden Schaltkästen. Bis zu einem Tresorraum.

In der hermetisch abgeschlossenen Bleikammer steht ein tischgroßes, fast 400 Jahre altes Gemälde: ein Werk des Rembrandt-Schülers Gerbrandt van den Eeckhout. Das Bild ist über Nacht mit Neutronen aus einem Forschungsreaktor beschossen worden.

"Die Neutronen haben eine sehr wichtige Eigenschaft: Sie können tief eindringen in ein Gemälde, das heißt, man kann auch Schichten freilegen oder enthüllen, die für das Auge nicht sichtbar sind, die also nicht auf der Oberfläche liegen, sondern die darunter, in einer unteren Malschicht liegen. Man kann also dadurch Vorzeichnungen erkennen, man kann Übermalungen erkennen, man kann Änderungen, die der Künstler vorgenommen hat während seines Prozesses nachvollziehen – das ist das Wesentliche."

Birgit Schröder-Smeibidl ist wissenschaftliche Geschäftsführerin des Berliner Hahn-Meitner-Instituts, das den Forschungsreaktor betreibt. Nach Auskunft der Kernphysikerin ist das Gemälde durch den Neutronen-Beschuss schwach radioaktiv. Bestimmte chemische Elemente, die in den Farbschichten lagern, geben wochenlang eine leichte Strahlung von sich. Elemente wie Arsen, Quecksilber, Phosphor, Gold, Kupfer oder Mangan.

"Mangan kommt zum Beispiel in den braunen Farben vor wie Umbra. Und dann sieht man eben die Verteilung, die Mangan in dem Bild hat. Man bekommt also eine Verteilung des Farbpigments, das zum Beispiel Mangan enthält."

Die Wissenschaftler messen die unterschiedlich starke Strahlung der Elemente mit Hilfe von Film- und Bildspeicherplatten. Monatelang versuchen sie - wie Detektive - auf nicht sichtbare Motive zu schließen. Katja Kleinert, Strukturforscherin am Hahn-Meitner-Institut, fragt sich etwa, ob Maler Eeckhout sein Gemälde mit einem Umbra-Braun vorgezeichnet hat – ähnlich wie Meister Rembrandt es anfangs tat. Oder ob Eeckhout unter seinem Bild ein völlig anderes versteckt hat.

"Es ist so, dass grundsätzlich, die Maler im 17. Jahrhundert sehr sparsam gearbeitet haben. Und wenn man ne präparierte Leinwand vor sich hat – das ist ne Leinwand, die aufgezogen ist, da ist ein Keilrahmen drin, das sind mehrere Arbeitschritte drin schon, wo viel Zeit investiert worden ist. Und das kommt übrigens häufiger vor, dass Maler etwas übermalt haben, also viele Portraits auch, die dann nicht abgenommen wurden, wo jemand verstorben ist oder nicht mehr zahlungsfähig war oder wo dann etwas Neues drüber gemalt wurde."

Die Forscher wollen durch den Neutronenbeschuss die künstlerische Entwicklung eines Malers nachvollziehen. Und sie wollen wissen, wer wirklich welches Bild gemalt hat. So sorgte gleich das erste Gemälde, das bereits 1985 bestrahlt wurde, für Furore. Damals stellte sich heraus, dass Rembrandts legendärer "Mann mit dem Goldhelm" gar kein echter Rembrandt ist. Die zuständige Restauratorin der Berliner Gemäldegalerie, Claudia Laurenze-Landsberg, berichtet über die Details der Analyse.

"Der Pinselstrich, den wir beim 'Mann mit dem Goldhelm' gefunden haben, ist sehr zögerlich. Man sieht, dass der Maler den Pinsel immer wieder abgesetzt hat und der stimmt überhaupt nicht überein mit dem Rembrands, wo man eigentlich immer erkennen kann, dass er sehr schnell immer gemalt hat. Dann haben wir eine Hilfslinie gefunden - und das ist auch etwas, was also Rembrandt überhaupt nicht nötig gehabt hätte."

Bilanz der Strahlen-Untersuchung: Ein Rembrandt-Schüler muss das Gemälde angefertigt haben. Für die Galerie eine Katastrophe.

"Die Auswirkungen waren für die Berliner sehr dramatisch, weil das war eben das Bild in der Gemäldegalerie, wo die Leute hinströmten. Also dass die Touristenbusse richtig zur Gemäldegalerie fahren – ist seitdem eigentlich nicht mehr da."

Die Gemäldeforscher kombinieren den Neutronen-Beschuss mit zwei weiteren Bestrahlungstechniken. Mithilfe von Infrarot-Licht können sie etwa Kohle-Skizzen unter einer Farbschicht erkennen. Und mit Röntgenstrahlen schließen sie auf bleihaltige Farben – wie bleiweiß - und auf Eisen.

"Oft sieht man die Nägel, mit denen die Leinwand festgemacht ist und die sind eisenhaltig, die kann man mit den Neutronen nicht sehen, aber mit den Röntgenstrahlen."

"Und das macht dieses ganze Projekt einfach sehr spannend, weil dann drei verschiedene Sichtweisen zu einem Ergebnis erst eigentlich führen."

Die Berliner Gemäldegalerie hat bislang rund 40 Werke Rembrandts und seiner Schüler am Hahn-Meitner-Institut mittels ionisierender Neutronen-Strahlung untersucht. So konnten zahlreiche Fachartikel über Bildaufbau und Entstehungsgeschichte der wertvollen Exponate veröffentlicht werden. Geplant ist auch ein zusammenfassendes Buch über das Forschungsprojekt. Kunsthistoriker und Kernphysiker sind stolz auf die einzigartige Kooperation.

"So eine systematische Analyse von Gemälden ist weltweit einzigartig. Gibt’s es sonst nirgends, weltweit."