neunzehn fünfundvierzig: Flucht und Vertreibung (8)
Vor 60 Jahren wurden die letzten Schlachten des Zweiten Weltkrieges geschlagen. Im Frühjahr 1945 ist die Eroberung Deutschlands durch die Armeen der Alliierten in vollem Gange. Im Osten stehen sowjetische Truppen vor Danzig und Königsberg. Nicht nur Millionen Deutsche fliehen aus ihrer Heimat oder werden vertrieben. Auch andere Nationen sind betroffen. Aus dem Gebiet der heutigen Ukraine werden Polen vertrieben.
"Die Haltung der Sowjets war klar: Hier ist ab jetzt russisches, sowjetisches Territorium - litauisch-sowjetisch. Das war so ein Spiel von ihrer Seite, denn formal war das ja Litauen. Und deshalb säuberten sie die Gegend von den Polen. Die hatten wohl vor irgendeinem Widerstand Angst! Die wollten also einfach ein ethnisch "sauberes" Gebiet! "
Daniela Stankiewicz, 1928 im litauischen Wilna geboren, hat keinerlei Zweifel. Als sie und ihre Familie am 10. Dezember 1945 die Heimat Richtung Westen verlassen muss, geschieht das nur vordergründig freiwillig
"Die ganze Zeit machten die russischen Truppen Straßen-Razzien, nahmen willkürlich Leute fest, fingen an, sie abzutransportieren - richtiger Terror begann. Sie drohten: "Wenn ihr Wilna nicht verlasst, schicken wir euch schnurstracks in die Lager nach Russland!" "
Auch in Zdolbunów, einem kleinen Ort in der West-Ukraine, mit einem von jeher hohen polnischen Bevölkerungsanteil ist die Stimmung im Sommer 1944 eher gedrückt, als die Rote Armee die deutsche Wehrmacht vor sich hertrieb. Denn, so die damals knapp zwölfjährige Maria Jablonowska:
"Für uns waren doch beide, die einen wie die anderen - Feinde: Die so genannten "Befreier" - und die Deutschen. - 1939 waren die Russen doch schon einmal bei uns einmarschiert. Und danach waren wir für fast zwei Jahre unter sowjetischer Besatzung. Menschen wurden in großer Zahl nach Sibirien deportiert, sehr viele Polen waren darunter. Wir wussten nicht, was uns unter dieser anderen Okkupation erwarten würde. "
Die ukrainischen Ortsansässigen haben sich selbst dann noch feindselig uns gegenüber - ihren polnischen Nachbarn - verhalten, als wir schon buchstäblich auf gepackten Koffern saßen. Während unser Transportzug auf dem Bahnhof von Luck schon zusammengestellt wurde, haben sie uns große Teile unseres Umzugsgutes gestohlen
Zbigniew Anculewicz aus Luck - Ostpolen. Die Abreise aus der Heimat Mitte April 1945 hat er nie vergessen, den physischen und psychischen Terror, der seine Familie schließlich zum Abschied gezwungen hat: Für die allermeisten eine Fahrt ins Ungewisse, ein Albtraum, ob sie aus der heutigen Ukraine, dem heutigen Weißrussland stammten oder aus dem litauischen Wilna.
Selbst, als die Transportzüge schon polnisches Zentralgebiet erreichen, ist die Mühsal der Zwangsausgesiedelten aus dem Osten des einstigen Vorkriegspolen noch lange nicht zu Ende. Das Land ist verwüstet, mit der Ankunft der Neuankömmlinge organisatorisch überfordert. Und auch in den Flüchtlings- und Übersiedlerzügen regiert das Chaos. Der damals 9-jährige Slawomir Kalembka - heute Historiker an der Universität Thorn - erinnert sich an viele Details der Fahrt, etwa an die hygienischen Verhältnisse:
"Hygiene?! - Wenn es nicht mehr anders ging, hat man eben aus den offenen Waggontüren gepinkelt. Kinder, Männer... Frauen setzten sich bei einem kurzen Halt gerade mal neben die Waggon-Räder... Am Ende hat das niemanden mehr gekümmert. "
"Wen hat man damals eigentlich vertrieben?", fragt Kalembka sarkastisch nach. Die Antwort gibt er gleich selbst: "Es waren die Frauen, die Alten, die Kinder und die Krüppel. Denn die Männer waren entweder umgekommen, kämpften in der Armee oder waren sonst wer-weiß-wo!" - "Und das", schließt Kalembka, "war bei den Deutschen genauso wie bei den Polen!"
Daniela Stankiewicz, 1928 im litauischen Wilna geboren, hat keinerlei Zweifel. Als sie und ihre Familie am 10. Dezember 1945 die Heimat Richtung Westen verlassen muss, geschieht das nur vordergründig freiwillig
"Die ganze Zeit machten die russischen Truppen Straßen-Razzien, nahmen willkürlich Leute fest, fingen an, sie abzutransportieren - richtiger Terror begann. Sie drohten: "Wenn ihr Wilna nicht verlasst, schicken wir euch schnurstracks in die Lager nach Russland!" "
Auch in Zdolbunów, einem kleinen Ort in der West-Ukraine, mit einem von jeher hohen polnischen Bevölkerungsanteil ist die Stimmung im Sommer 1944 eher gedrückt, als die Rote Armee die deutsche Wehrmacht vor sich hertrieb. Denn, so die damals knapp zwölfjährige Maria Jablonowska:
"Für uns waren doch beide, die einen wie die anderen - Feinde: Die so genannten "Befreier" - und die Deutschen. - 1939 waren die Russen doch schon einmal bei uns einmarschiert. Und danach waren wir für fast zwei Jahre unter sowjetischer Besatzung. Menschen wurden in großer Zahl nach Sibirien deportiert, sehr viele Polen waren darunter. Wir wussten nicht, was uns unter dieser anderen Okkupation erwarten würde. "
Die ukrainischen Ortsansässigen haben sich selbst dann noch feindselig uns gegenüber - ihren polnischen Nachbarn - verhalten, als wir schon buchstäblich auf gepackten Koffern saßen. Während unser Transportzug auf dem Bahnhof von Luck schon zusammengestellt wurde, haben sie uns große Teile unseres Umzugsgutes gestohlen
Zbigniew Anculewicz aus Luck - Ostpolen. Die Abreise aus der Heimat Mitte April 1945 hat er nie vergessen, den physischen und psychischen Terror, der seine Familie schließlich zum Abschied gezwungen hat: Für die allermeisten eine Fahrt ins Ungewisse, ein Albtraum, ob sie aus der heutigen Ukraine, dem heutigen Weißrussland stammten oder aus dem litauischen Wilna.
Selbst, als die Transportzüge schon polnisches Zentralgebiet erreichen, ist die Mühsal der Zwangsausgesiedelten aus dem Osten des einstigen Vorkriegspolen noch lange nicht zu Ende. Das Land ist verwüstet, mit der Ankunft der Neuankömmlinge organisatorisch überfordert. Und auch in den Flüchtlings- und Übersiedlerzügen regiert das Chaos. Der damals 9-jährige Slawomir Kalembka - heute Historiker an der Universität Thorn - erinnert sich an viele Details der Fahrt, etwa an die hygienischen Verhältnisse:
"Hygiene?! - Wenn es nicht mehr anders ging, hat man eben aus den offenen Waggontüren gepinkelt. Kinder, Männer... Frauen setzten sich bei einem kurzen Halt gerade mal neben die Waggon-Räder... Am Ende hat das niemanden mehr gekümmert. "
"Wen hat man damals eigentlich vertrieben?", fragt Kalembka sarkastisch nach. Die Antwort gibt er gleich selbst: "Es waren die Frauen, die Alten, die Kinder und die Krüppel. Denn die Männer waren entweder umgekommen, kämpften in der Armee oder waren sonst wer-weiß-wo!" - "Und das", schließt Kalembka, "war bei den Deutschen genauso wie bei den Polen!"