Neun Jahre vergessen auf einer Insel
Anfang des 20. Jahrhunderts ließ Mexikos Diktator Díaz ein Atoll im Pazifik von Soldaten und ihren Frauen besetzen. Die Menschen wurden dort vergessen. Laura Restrepo erzählt in ihrem Roman spannend und anspruchsvoll die Geschichte der kleinen Gruppe.
Es ist wohl einer der absonderlichsten Flecken der Welt: eine Insel, tausend Kilometer südwestlich vor Mexiko im Meer. Auf Pazifikkarten stand lange ein X mit dem Vermerk "zweifelhafte Existenz". Magellan nannte das Eiland 1521 Isla de la pasión. Später hieß sie Clipperton, nach einem Piraten. Im 19. Jahrhundert annektierte Frankreich die "Insel der Leidenschaft".
Schöner Name, nur: Dies ist keine richtige Insel, bloß ein Atoll, der Kraterrest eines Vulkans von der Form eines schlaffen Fahrradschlauchs. Ein Ring, vier Kilometer lang; das Land ragt maximal 29 Meter aus dem Wasser, an manchen Stellen ist der Streifen nur 40 Meter breit. Außerhalb des Rings: die Unendlichkeit des Ozeans. Drinnen: eine gigantische stinkende Lagune. Und auf dem Eiland: eine Handvoll Palmen, elf Millionen Krabben und sonst nichts.
Anfang des 20. Jahrhundert ließ Mexikos Diktator Porfirio Díaz die Leere besetzen, er schickte ein paar Soldaten samt ihren Frauen. Die Männer sollten das Atoll gegen eine Invasion der Franzosen verteidigen. Die Franzosen kamen nicht, doch in Mexiko kam die Revolution, Díaz stürzte, dann kam ein Weltkrieg - und die Insulaner wurden vergessen. 1917 zog ein US-amerikanischer Kreuzer vorbei, der Kommandant sah und rettete die letzten Überlebenden, ein paar Frauen und Kinder.
Die kolumbianische Erzählerin Laura Restrepo hat die Geschichte der Ausgesetzten in einem Roman verarbeitet. Restrepo, Jahrgang 1950, war politische Journalistin, aktiv gegen den ewigen Bürgerkrieg in ihrem Heimatland; in den Achtzigern wurde sie bedroht, für Jahre zog sie nach Mexiko. In der grotesken Geschichte der Insulaner sah sie ein Abbild der grotesken Geschichte ihres Landes. "La Isla de la pasión" ("Die Insel der Verlorenen"), 1989 verlegt, wurde ihr erster Roman. Heute ist Restrepo Bestsellerautorin, sie lebt wieder daheim. Nach anderen Büchern der Autorin wurde nun auch ihr Erstling ins Deutsche übertragen.
Laura Restrepo beschreibt den Weg der wunderlichen Patrioten, ihr Leben auf der Insel, den Enthusiasmus und dann den Fall in die Barbarei. Die Männer sterben, bei Stürmen, durch Skorbut. Nur einer überlebt, ein sadistischer Schwarzer; er quält und mißbraucht die Frauen, doch die Frauen sind stark, sind Kämpfernaturen, am Ende bringen sie ihn um. Neun Jahre dauert das Martyrium, dann kommt der Kreuzer.
Die Machart des Buches: ein Mix aus Abenteuerroman und Reportage. Restrepo erzählt vom Alltag auf dem Eiland, sie sichtet Dokumente, zitiert Berichte über die Insel, und im Mexiko der Gegenwart schickt sie eine Journalistin auf den Weg, ihr Alter ego; die Frau sucht die Überlebenden, um sie zu befragen. Puzzleteile fügen sich zu einem Ganzen.
"Die Insel der Verlorenen" ist ein Stück spannender Unterhaltungsliteratur mit hohem formalem Anspruch. Das Werk ist auch Metapher: auf den oft grausam sinnlosen Heroismus der lateinamerikanischen Linken im 20. Jahrhundert. Die Insulaner kehrten 1917 nach der Verbannung heim in eine gespenstisch fremde Heimat. Genauso erging es den Linken bei der Rückkehr aus dem Exil.
Besprochen von Uwe Stolzmann
Laura Restrepo: Die Insel der Verlorenen. Roman
Aus dem Spanischen von Elisabeth Müller
Luchterhand Verlag, München 2011
384 Seiten, 19,99 Euro
Schöner Name, nur: Dies ist keine richtige Insel, bloß ein Atoll, der Kraterrest eines Vulkans von der Form eines schlaffen Fahrradschlauchs. Ein Ring, vier Kilometer lang; das Land ragt maximal 29 Meter aus dem Wasser, an manchen Stellen ist der Streifen nur 40 Meter breit. Außerhalb des Rings: die Unendlichkeit des Ozeans. Drinnen: eine gigantische stinkende Lagune. Und auf dem Eiland: eine Handvoll Palmen, elf Millionen Krabben und sonst nichts.
Anfang des 20. Jahrhundert ließ Mexikos Diktator Porfirio Díaz die Leere besetzen, er schickte ein paar Soldaten samt ihren Frauen. Die Männer sollten das Atoll gegen eine Invasion der Franzosen verteidigen. Die Franzosen kamen nicht, doch in Mexiko kam die Revolution, Díaz stürzte, dann kam ein Weltkrieg - und die Insulaner wurden vergessen. 1917 zog ein US-amerikanischer Kreuzer vorbei, der Kommandant sah und rettete die letzten Überlebenden, ein paar Frauen und Kinder.
Die kolumbianische Erzählerin Laura Restrepo hat die Geschichte der Ausgesetzten in einem Roman verarbeitet. Restrepo, Jahrgang 1950, war politische Journalistin, aktiv gegen den ewigen Bürgerkrieg in ihrem Heimatland; in den Achtzigern wurde sie bedroht, für Jahre zog sie nach Mexiko. In der grotesken Geschichte der Insulaner sah sie ein Abbild der grotesken Geschichte ihres Landes. "La Isla de la pasión" ("Die Insel der Verlorenen"), 1989 verlegt, wurde ihr erster Roman. Heute ist Restrepo Bestsellerautorin, sie lebt wieder daheim. Nach anderen Büchern der Autorin wurde nun auch ihr Erstling ins Deutsche übertragen.
Laura Restrepo beschreibt den Weg der wunderlichen Patrioten, ihr Leben auf der Insel, den Enthusiasmus und dann den Fall in die Barbarei. Die Männer sterben, bei Stürmen, durch Skorbut. Nur einer überlebt, ein sadistischer Schwarzer; er quält und mißbraucht die Frauen, doch die Frauen sind stark, sind Kämpfernaturen, am Ende bringen sie ihn um. Neun Jahre dauert das Martyrium, dann kommt der Kreuzer.
Die Machart des Buches: ein Mix aus Abenteuerroman und Reportage. Restrepo erzählt vom Alltag auf dem Eiland, sie sichtet Dokumente, zitiert Berichte über die Insel, und im Mexiko der Gegenwart schickt sie eine Journalistin auf den Weg, ihr Alter ego; die Frau sucht die Überlebenden, um sie zu befragen. Puzzleteile fügen sich zu einem Ganzen.
"Die Insel der Verlorenen" ist ein Stück spannender Unterhaltungsliteratur mit hohem formalem Anspruch. Das Werk ist auch Metapher: auf den oft grausam sinnlosen Heroismus der lateinamerikanischen Linken im 20. Jahrhundert. Die Insulaner kehrten 1917 nach der Verbannung heim in eine gespenstisch fremde Heimat. Genauso erging es den Linken bei der Rückkehr aus dem Exil.
Besprochen von Uwe Stolzmann
Laura Restrepo: Die Insel der Verlorenen. Roman
Aus dem Spanischen von Elisabeth Müller
Luchterhand Verlag, München 2011
384 Seiten, 19,99 Euro