Neuköllner Bürgermeister für Kindergartenpflicht zur besseren Integration

Moderation: Marie Sagenschneider · 12.07.2006
Der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, hat eine Kindergartenpflicht und kostenlosen Kindergartenbesuch zur besseren Integration von Migranten gefordert. Das sei finanzierbar, sagte Buschkowsky anlässlich des Integrationsgipfels der Bundesregierung am Freitag. Der SPD-Politiker warnte davor, dass Stadtteile von Berlin sich zu Elendsvierteln entwickeln könnten.
Sagenschneider: Was bringt eigentlich ein Integrationsgipfel? Was muss geschehen, damit er wirklich ein Erfolg wird? Das fragen sich viele, seitdem er angekündigt ist. Übermorgen ist es ja soweit. Dann werden rund 70 Vertreter von Bund, Ländern, Kommunen und Zuwanderern auf Einladung der Bundeskanzlerin in Berlin zusammenkommen. Auslöser für die Idee eines Integrationsgipfels, das war der Hilferuf einer Berliner Hauptschule gewesen, die Rütli-Schule in Neukölln, deren Lehrer vor den Problemen kapituliert hatten. Heinz Buschkowsky ist SPD-Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln und nun am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen, Herr Buschkowsky!

Buschkowsky: Guten Morgen!

Sagenschneider: Sie sind nicht eingeladen zum Integrationsgipfel und etwas mürrisch deswegen, oder?

Buschkowsky: Naja, was heißt mürrisch. Ich finde es nur immer bedauerlich, wenn bei solchen Zusammenkünften die Praktiker vor Ort nicht dabei sind, weil die immer die böse Frage stellen: Ja und was machen wir denn nun, wie fangen wir denn morgen praktisch an?

Sagenschneider: Was muss denn passieren bei diesem Treffen, dass Sie tatsächlich sagen würden, dies war ein Erfolg oder doch zumindest ein erster wichtiger Schritt?

Buschkowsky: Ich glaube, dass viele Bürgermeister, also Kommunalpolitiker, auf den Gipfel schauen werden, weil die spüren ja die Probleme hautnah. Was passieren muss, ist eine klare Sprache und eine klare Botschaft. Also, was wollen wir eigentlich in Deutschland? Wie verstehen wir Integration und mit welchen praktischen Schritten wollen wir den Fehlentwicklungen entgegenwirken? Es gibt ja nicht nur Fehlentwicklungen, das weiß jeder, aber gerade die sind ja das, was uns Sorgen macht.

Sagenschneider: Sie stehen ja nun einem Bezirk vor, der mit diesen Problemen schon lange konfrontiert ist, wo eben in Kindertagesstätten und Schulen 80 Prozent oder sogar mehr der Kinder Migrantenkinder sind. Hat sich denn durch die Debatte, die seit dem Hilferuf der Rütli-Schule doch um einiges intensiver geführt wird, hat sich da schon bisschen etwas geändert? Erhalten Sie zum Beispiel mehr Unterstützung?

Buschkowsky: Bei der Situation vor Ort selbst hat sich natürlich nichts verändert. Integrationspolitik muss einen langen Atem haben. Das geht nicht innerhalb von Monaten. Was sich geschärft hat, ist sicherlich der Fokus, also der Blick auf die Probleme. Es gibt immer mehr Menschen, die sagen: Ja es stimmt, schönreden und wegschauen hilft uns nicht! Wir müssen ran an die Familien, die ihr Dorf nie ausgepackt haben, die auch im Kopf immer noch in den Verhältnissen leben, aus denen sie mal gekommen sind, und nicht begreifen, dass sie damit ihren Kindern quasi die Zukunft rauben. Die Bildungsferne muss einfach überwunden werden.

Sagenschneider: Darin besteht ja eigentlich auch große Einigkeit, auch darin, dass man dafür sorgen sollte, dass Migrantenkinder schon im Kindergarten Deutsch lernen und eben nicht erst in der Schule.

Buschkowsky: Naja, da besteht eben keine Einigkeit. Denken Sie an den Vorschlag von Frau Van der Leyen, die gesagt hat, sie will beginnen mit einem Pflichtkindergartenjahr vor der Schule. Das hat sofort zu einem Aufschrei der Bundesländer geführt. Aber alle wissen, dass die vorschulische Erziehung die entscheidenden Weichen stellt. Ein Kind, das eingeschult wird und kein Wort Deutsch spricht, hat eigentlich schon verloren!

Sagenschneider: Wie sieht denn das bei Ihnen in Neukölln aus, wie viele Migrantenkinder besuchen denn Kindergärten überhaupt?

Buschkowsky: Also wir haben dort, wo wir die Problemlagen haben, einen Anteil, der liegt bei 50 Prozent. Und das ist zu wenig! Der Durchschnitt in Berlin liegt bei 90 Prozent. Die Eltern zu überzeugen, ihr sollt euer Kind in die Kindertagesstätte bringen, das ist eine der großen Aufgaben. Das gelingt aber nicht, wenn ich dafür 150 oder 200 Euro haben will! Deswegen sage ich ja immer: Weg mit den Elternbeiträgen! Ich gehe ja sogar einen Schritt weiter und sage: Wir brauchen eigentlich eine Kindergartenpflicht! Das ist ja auch finanzierbar. Denken Sie an den Vorschlag von Peer Steinbrück. Zehn Prozent im Kindergeld gekürzt, heißt eine kostenlose Vorschulerziehung aller Drei- bis Sechsjährigen in der Bundesrepublik. Das wäre mal ein Schritt nach vorne, auch für alle Kinder, um endlich noch mal wegzukommen von Pisa. Wir hören jedes Jahr, dass wir in Europa hinterherhinken und wer einmal im Ausland war, der weiß, dass das stimmt.

Sagenschneider: Müssten Sie da auf eine Bundesregelung warten oder könnte Berlin das autonom machen?

Buschkowsky: Naja, das ist ja nun einmal Ländersache. Gerade nach der Föderalismusdiskussion und nach den Beschlüssen ist Bildung, Schule und Kindergarten ja Ländersache, aber die Länder haben auch die Probleme. Vielleicht wäre ein Förderprogramm des Bundes angezeigt oder auch die Diskussion: Können wir Transfers herstellen aus dem Kindergeld? Ein Jahr Beitragsfreiheit im Kindergarten sind vier Euro weniger am Kindergeld von 150 Euro. Also da sind doch Verhältnisse, aber man muss es gesellschaftlich wollen. Man muss sagen: Wir wollen aufhören mit dem Gequatsche! Wir wollen jetzt praktische Politik machen! Wir wollen ran an die Kinder! Wir wollen den Anschluss finden an Europa! Wir wollen nicht mehr das Schlusslicht bei Pisa sein! Und wenn das das Ergebnis ist aus diesem Gipfel, dass wir sagen, Wattebauschpusten war gestern, jetzt fangen wir mal richtig an. Ich glaube, dann würde es auch Beifall geben.

Sagenschneider: Ja aber haben Sie denn in Berlin die Unterstützung? Haben Sie den Regierenden Bürgermeister an Ihrer Seite oder die anderen Bezirke oder sagen die, ist mir doch egal, was in Neukölln vor sich geht?

Buschkowsky: Ja, natürlich ist in anderen Bezirken, wo die Verhältnisse eben anders sind, auch das Problembewusstsein ein anderes und beim Geld hört die Freundschaft auf. Das Schönste oder Beste an Problemgebieten für Nichtproblemgebiete ist, dass es sie gibt, weil sich dort die Probleme ballen. Aber da muss man auch in der Gesamtverantwortung Mut haben und sagen: Wir müssen Gelder umverteilen. Weil letztendlich fallen uns diese sozialsegregierten Gebiete alle auf die Füße. Wir müssen verhindern, dass wir hier Elendsviertel kriegen wie am Rande von Paris, und einige Stadtteile sind auf dem Weg dahin.

Sagenschneider: Herr Buschkowsky, wie erklären Sie sich überhaupt, dass die jüngere Migrantengeneration ja noch sehr viel schwieriger ist als noch die Eltern, zum Teil auch sehr viel schlechter Deutsch spricht?

Buschkowsky: Ja, das hat etwas natürlich auch mit den sozialen Verwerfungen zu tun. Schauen Sie, mir sagen unsere Lehrerinnen und Erzieherinnen, dass bei den Eltern, deren Kinder in den Einrichtungen sind, maximal 30 Prozent Arbeit haben. Das führt natürlich auch wieder zur Orientierungslosigkeit, zum Gefühl des Ausgestoßenseins, man zieht sich in die eigene Ethnie zurück. Die Schüler, die keine Perspektive sehen, weil sie keinen Ausbildungsplatz haben, sozialisieren sich selbst auf der Straße. Und natürlich diese Segregation, das heißt, die soziale Kompetenz, die Sozialstarken ziehen weg und es bleiben gesellschaftlich marginalisierte Gruppen unter sich. Und das ist ein Teufelskreislauf. Den müssen wir einfach durchbrechen durch Bildung und durch Arbeit, aber auch durch klare Ansagen. Die Kinder gehören in die Schule! Die Schulpflicht ist durchzusetzen, und zwar in allen Fächern und auch für Jungen und Mädchen! Und wir gehen nicht nur zur Schule, wenn es gerade in den Kram passt! Und das muss man dann auch mit Sanktionen belegen. Das ist einfach so.

Sagenschneider: Herr Buschkowsky, ich danke Ihnen. Heinz Buschkowsky, der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.
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