Neujahr der Roma

Immer dabei ist die Gans

Von Antje Stiebitz · 18.01.2014
Seit einigen Wochen macht die CSU Stimmung gegen Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien, darunter viele Sinti und Roma. Deren Leben und Feste kennen indes kaum jemand - wie zum Beispiel das Neujahrsfest Vasilica.
"Da kommt die Familie und alle sitzen zusammen, essen und trinken, feiern, da kommt Musik, tanzen."
"Die gehen frühs in die Kirche, holen sich zehn, 20, 30 Kerzen, diese dünnen, und dann machen die halt für jeden aus der Familie eine Kerze an, beten. Für Glück, für Erfolg, für die Kinder. für Gesundheit."
"Die Gans hat die Bedeutung des Glückträgers und die Gans muss zu diesem Feiertag gleichzeitig geschlachtet werden."
"Vasilica wird in jeder Familie gefeiert, in jeder serbischen, in jeder Roma-Familie. Auf jeden Fall mehr in den Roma, es kommt aus den Roma. Es ist ururururalt und es wird in jeder Familie anders gefeiert. Jeder hat eine andere Tradition, aber alle feiern, egal auf welche Weise. Es wird gefeiert. Was auf jeden Fall immer dabei ist, ist die Gans."
Die Gans steht auch bei der Familie Uemke in Berlin-Reinickendorf auf dem Herd und duftet. Daneben die traditionellen Krautwickel. Gleich kommen die Gäste und bringen das Brot mit der eingebackenen Münze mit. Gemeinsam feiern sie Vasilica, das Neujahr der Roma, genannt nach dem Heiligen Vasili. Es sind vor allem serbische und mazedonische Roma, die Vasilica am 14. Januar, am Neujahrstag der orthodoxen Christen, zelebrieren. Warum Vasilica gerade mit dem Neujahrstag der orthodoxen Christen zusammenfällt, erklärt Bosiljka Schedlich vom Südost-Europa-Kultur e.V.:
"Roma haben überall, wo sie gelebt haben, die Religion der Mehrheitsbevölkerung angenommen. Um nicht besonders aufzufallen und nicht verfolgt zu werden, um akzeptiert zu werden. So war das auch in Serbien, und bis zum 15. Jahrhundert, bis zur Ankunft der Osmanen, waren sie orthodox. Viele Roma sind dann wie die Serben zum Islam übergetreten. Aber dieses Fest feierten sie weiter."
Der Mythos reicht bis in die Zeit der Auswanderung aus Indien
Ob christlich-orthodox oder muslimisch – alle Balkan-Roma feiern Vasilica. Denn der Mythos um Vasilica reicht bis in die Zeit zurück, in der die Roma aus Indien nach Europa wanderten. Damals räumten die Roma dem Heiligen Vasili und der Gans einen wichtigen Platz ein. Die Erzählung beschreibt, wie böse Krieger die Roma vertrieben. Auf der Flucht kamen sie zu einem großen Wasser. Vermutet man ihre Wanderrute von Nordindien, über Pakistan, in den Iran, könnte es sich bei dem "großen" Wasser um den Arabischen Golf handeln. Da sie das Wasser nicht überwinden konnten, baten sie Gott um Hilfe, erzählt Bosiljka Schedlich:
"Der Gott erhörte sie. Und er öffnete einen Weg im Wasser und sie liefen los. Und sie kamen bis in die Mitte des Wassers. Da fragte der Gott den Anführer der Roma, den König Phiraon, der inzwischen etwas überheblich geworden war und auf die Frage Gottes, wer ihnen nun hilft, sagte der Phiraon: Ich, das ist meine Macht! Der Gott bestrafte dann alle Roma und ließ das Wasser wieder zurückkehren."
Der Heilige Vasili sah die Not der Roma, wurde Zeuge wie sie ertranken. Da legte er bei Gott ein gutes Wort für sie ein. Erfolgreich, denn Gott schickte den Roma Gänse, die sie auf ihre Flügel nahmen und über das Wasser flogen. Auf diese Weise wurden der Heilige Vasili zum Vermittler zwischen der alten und der neuen Religion der Roma. Und die Gans, die bereits in Indien als glückverheißend galt, blieb ihnen auch in der neuen Religion erhalten.
In einer Variante des Mythos erzählt der bulgarische Sprachwissenschaftler Hristo Kyuchokov, wie sich die Götter mit den Roma einen Scherz erlaubten. Weil sie auf die nomadisch lebenden Roma herabblickten:
"Als die Roma eine Brücke überquerten, machten sich die Götter daran, diese Brücke zu zerstören. Die Roma fielen ins Wasser und ertranken fast. Der Heilige Vasil war sehr unglücklich, als er das sah. Er entschied sich, den Roma zu helfen, nahm viele Gänse mit, und die Roma retteten sich auf ihre Flügel."
Die ganze Nacht brennen Kerzen
In der Nacht vom 13. auf den 14. Januar denken die Roma an diejenigen, die im „großen Wasser“ ertrunken sind. Deswegen bezeichnen sie sie auch als „schwere Nacht“ und lassen die ganze Nacht Kerzen brennen. Der erste Gast am nächsten Morgen ist besonders wichtig. Er wird polazniko, der Gehende, genannt. Weil er, erklärt Bosiljka Schedlich, das neue Jahr "auf den Weg bringt". Außerdem bringt er Nüsse, Trockenfrüchte, Reis und verteilt im ganzen Raum Münzen.
"Seine Funktion ist so wichtig, dass man denselben wieder einlädt, diese Rolle zu spielen, wenn das vergangene Jahr gut war. Wenn ein Gehender dafür sorgt, dass das Jahr gut und glücklich wird, dann darf er diese Rolle weiterspielen, sonst muss man jemand anderen suchen."
Der erste Tag von Vasilica gehört der Familie und der Gans. Aus bestimmten Teilen der Gans wird eine Paste oder Sülze mit Symbolkraft gefertigt:
"Dieses Verfestigen einer Flüssigkeit zu einer gelierten Masse bringen sie auch in Verbindung zur der Rettung, damals als sie über das große Wasser gegangen sind. Die Gans ist das feste Land. Deswegen wird von der Paste nur wenig gekostet. Damit es für alle reicht und damit es allen Glück bringt."
Gänsepastete als Symbol fürs Festland
Ist die "schwere Nacht" überwunden, wird das Fest fröhlicher. Verwandte und Freunde besuchen einander. Sie gratulieren sich mit den Worten "Euer neues Jahr soll glücklich werden!". Und wer in seinem Stück vom Vasilica-Kuchen eine Münze findet, kann mit einem besonders glücklichen Jahr rechnen. Traditionell feierte man Vasilica drei Tage lang. Doch an die heutige Zeit angepasst, ist es kürzer, vergleichbar mit Silvester und Neujahr am 31. Dezember und 1. Januar.
Die Roma, die Vasilica feiern, sind christlich-orthodox oder muslimisch. Manchmal gehören sie auch beiden Religionen an. Vasilica ist eher ein traditionelles Fest als ein religiöses. Und trotzdem bedeutet Vasilica für die Roma auch ein religiöses Ereignis. Denn Vasilica markiert den Übergang von der alten hinduistischen Religion zur neuen Religion. Die Rituale der neuen Religion, der Mehrheitsgesellschaft, an die sich die Roma anpassten, sind genauso wichtig, wie die aus Indien mitgebrachten Glaubensvorstellungen, Sprüche und Lieder.
Der Südost-Europa-Kultur e.V möchte, dass die Berliner Senatsverwaltung für Integration das Roma-Neujahr in den Interkulturellen Kalender aufnimmt. Das würde die kulturelle Identität der Roma stärken. Und gleichzeitig würde die deutsche Gesellschaft die Roma-Minderheit besser kennenlernen.
Mehr zum Thema