Neugier und Distanz

04.07.2012
Der amerikanische Schriftsteller Paul Bowles verbindet einen kristallinen Stil mit geradezu verblüffend anmutender Aktualität. Seine ursprünglich für angelsächsische Reisemagazine geschriebenen Reportagen sind konzise Erzählungen, die keinerlei Patina angesetzt haben.
Nach gängiger Lesart war der amerikanische Schriftsteller Paul Bowles (1910-1999) trotz seiner vielen Reisen ein unnahbarer Solitär, dessen bis heute faszinierender luzider Stil mit einem gewissen Snobismus erkauft war. Äußerlich in so manchen Fotografien von verblüffender Ähnlichkeit, war Bowles dennoch alles andere als ein Double von Ernst Jünger. Nicht nur seine berühmten Erzählungen und Romane, sondern auch die Autobiografie "Rastlos" zeigten die Bandbreite des habituell wohl eher britischen Autors und Komponisten, der - ein bekennender, wenngleich diskreter Homosexueller - seit 1947 mit seiner lesbischen Frau, der Schriftstellerin Jane Bowles, im marokkanischen Tanger lebte.

Die jetzt unter dem Titel "Taufe der Einsamkeit" in der geschmeidigen deutschen Übersetzung des Schriftstellers Michael Kleeberg erschienenen Bowleschen Reiseberichte 1950-1972 sind eine ebenso große, streng funkelnde Fundgrube – jedenfalls für jene Leser, die an der allzeit perfekten Balance zwischen Neugier und Distanz ihre zumindest ästhetische Freude haben. Denn die für angelsächsische Reisemagazine geschriebenen Reportagen sind konzise, nicht-fiktionale Erzählungen, die keinerlei Patina angesetzt haben.

Im Gegenteil. Was der verblüffte Paul Bowles über die im Unterschied zum Ressentiment-bestimmten Pakistan so offensichtlich toleranteren Muslime in Indien notiert, hat bis heute Gültigkeit. Unkonventionelle Reflexion, die scheinbar mühelos in lapidare, atmosphärische Beschreibung übergeht (und vice versa), und dazu ein Text von 1953 über die innere Zwietracht der Tuareg, der sich wie eine aktuelle Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Geschehnisse rund um Timbuktu liest. Wobei jenes Aktuelle keineswegs aufgrund irgendwelcher seherischer Zauberkräfte entsteht, sondern wohl nicht zuletzt aus der Abneigung des Autors, sich mit der bestimmenden Optik der jeweiligen Epoche gemein zu machen – sei sie nun reaktionär kolonialistisch oder politisch korrekt "progressiv".

Und so sehen wir, staunende Nachgeborene, auf den beigefügten schönen Schwarzweiß-Fotos einen drahtigen, kurzbehoosten und irgendwie alterslos wirkenden Schriftsteller, der dann in seinen Texten davon berichtet, wie er mittels eines Aufnahmegeräts marokkanische Stammesmusik sammelt und damit vor dem Vergessen bewahrt. Auf die Mär von den vermeintlich "ursprünglichen Kulturen" fällt der Illusionslose dennoch nirgends rein, weiß er doch, dass auch Tradition nur das ist, was irgendwann "künstlich gemacht" wurde. Kurz, auch in eigener Sache genügt dieser Paul Bowles vollends dem, was er im Vorwort zu diesem Buch generell von reisenden Autoren erwartet: "Es gibt nichts, was ich mehr genieße als die akkurate Schilderung eines intelligenten Schriftstellers über all das, was ihm weit weg von zu Hause widerfahren ist."

Besprochen von Marko Martin

Paul Bowles: Taufe der Einsamkeit. Reiseberichte 1950-1972
Aus dem Englischen von Michael Kleeberg
Liebeskind Verlag, München 2012
304 Seiten, 22 Euro
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