Neugestaltung von Kaliningrad

Gespenstische Leere in der Innenstadt

Hinter einer Wasserfläche ist ein großes Hochhaus und deneben ein kleines Ensemble historischer Gebäude zu sehen.
Stadtansicht des russischen Kaliningrad (Königsberg) mit dem Fluss Pregolje (Pregel) im Mai 2011 © picture alliance / dpa / Soeren Stache
Hans Stimmann im Gespräch mit Ute Welty · 07.11.2015
Im russischen Kaliningrad, dem früheren Königsberg, entsteht ein neues Zentrum. Das frühere Schloss-Areal in der brachliegenden Innenstadt soll neu entwickelt werden. Der frühere Berliner Senatsbaudirektor Hans Stimmann, Mitglied der Kaliningrader Expertenjury, lobt das Vorhaben einer kritischen Rekonstruktion.
Das alte Zentrum von Königsberg ersteht in Kaliningrad neu. Das Städtebauprojekt will Rekonstruktion und Neuschöpfung verbinden. Der langjährige Senatsbaudirektor von Berlin und Mitglied der Kaliningrader Expertenjury, Hans Stimmann, zeigt sich begeistert von den Plänen für das neue Zentrum von Kaliningrad, dem früheren Königsberg:
"Es soll sozusagen eine (...) kritische Rekonstruktion der Altstadt gemacht werden, aber eben kritisch, nicht eins zu eins Wiederaufbau der wirklichen Altstadt, sondern auch ein Stück mitgenommen die jüngere Geschichte, also nach 1945 als sowjetische und jetzt russische Stadt," sagte Stimmann im Deutschlandradio Kultur über das städtebauliche Projekt zur Neugestaltung des historischen Zentrums der russischen Exklave Kaliningrad.
"Königsberg ist die totale Abwesenheit von Altstadt - eine "gespenstische Situation"
Die Hausforderungen des Kaliningrader Stadtentwicklungsprojekts "Schlossberg und Umgebung", das im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 initiiert wurde, liegt laut Stimmann in der "totalen Abwesenheit einer Altstadt. Da ist nichts mehr. Es besteht im Grunde genommen aus zwei großen Autobahnkreuzungen (...) und da drin steht dieser (...) Klotz des Sowjetpalastes und irgendwo im Busch, im Park, steht der Königsberger Dom. Eine gespenstische Situation", machte Stimmann die städtebauliche Problematik deutlich, auch angesichts des nie fertiggestellten, aber das Bild des Zentrums dominierenden 20-stöckigen Sowjetpalastes, einer wegen fehlerhafter Statik nie genutzten Bauruine für die Stadtverwaltung.
Kaliningrader empfinden die Leere als Defizit
Stimmann, der bis 2006 Senatsbaudirektor in Berlin war und der Jury des internationalen Wettbewerbs für einen Kultur- und Kongresskomplex auf dem Areal des 1968 gesprengten Königsberger Schlosses angehörte, begrüßte, dass "die jetzigen Kaliningrader, der jetzige Bürgermeister, der Gouverneur (...) diese "Leere als Defizit" empfänden. Zwar sei man mittlerweile vom Plan des radikalen Straßenrückbaus, wie ihn der Siegerentwurf des ersten städtebaulichen Wettbewerbs vorsah, abgerückt, aber die Pläne für die kritische Rekonstruktion der Altstadt, mit grüner Kneiphofinsel und schmalen Stadthäusern auf der Schloss-Seite, also einer kleinteiligen Bebauung um das ehemalige Schloss, solle umgesetzt werden.
Realisierung des gewünschten Kulturkomplexes auf dem Schloss-Areal ist unsicher
Stimmann zeigte sich allerdings skeptisch, ob der jetzige Siegerentwurf des nachgeordneten Architektenwettbewerbs für einen Kultur- und Kongresskomplex mit großem Konzertsaal auf dem Areal des ehemaligen Königsberger Schlosses angesichts der ökonomischen Krise in Russland tatsächlich umgesetzt werden kann. Auch zeigten sich Investoren beispielsweise für Hotels oder Bürogebäude aktuell zurückhaltend. "Also wenn Putin oder die nationale Regierung finden, wir müssen das Projekt umsetzten, dann passiert das, aber aus der Kraft der Stadt, die das in Gang gesetzt hat, ist das nicht zu leisten," bedauerte Stimmann.
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Kaliningrad hat etliche Besonderheiten zu bieten. Seine geografische Lage zum Beispiel als Hauptstadt der russischen Exklave zwischen Polen und Litauen, seinen berühmtesten Sohn aus der Zeit, als der Name noch Königsberg lautete, nämlich Immanuel Kant, sein Bernsteinmuseum, sein Bier und natürlich seine Klopse. Was Kaliningrad aber fehlt, das ist das historische Stadtzentrum. Das Schloss wurde 1968 gesprengt, und das an dieser Stelle geplante Gebäude für die Stadtverwaltung wurde zwar errichtet, konnte aber wegen fehlerhafter Statik nie genutzt werden und ist heute eine Bauruine. Das wird sich jetzt ändern, und zwar im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft in Russland und des Stadtentwicklungsprojektes Schlossberg und Umgebung, das auch einen Architektenwettbewerb einschließt. In dessen Jury saß Hans Stimmann, langjähriger Berliner Senatsbaudirektor. Guten Morgen, Herr Stimmann!
Hans Stimmann: Guten Morgen!
Welty: Gesprengte Schlösser und Bauruinen, da muss es bei einem Berliner klingeln, oder?
"Kaliningrad ist sozusagen die totale Abwesenheit von Altstadt"
Stimmann: Ja. Wer nach Kaliningrad fährt mit dem Bild von Berlin, sozusagen mit der Abwesenheit von Altstadt und diesen breiten Autostraßen im Kopf, und überhaupt diese Abwesenheit von der historischen Zentralität – wer dann nach Kaliningrad kommt, der sagt, das hätte ich nicht gedacht, dass das noch zu toppen ist. Kaliningrad ist sozusagen die totale Abwesenheit einer Altstadt. Da ist nichts mehr. Es besteht im Grunde genommen aus zwei großen Kreuzungen, Autobahnkreuzungen, eine als Hochstraße, die über die Altstadt rüberbrettert, und eine sechsspurige Straße über das Schlossareal, und darin steht dieser von Ihnen ja schon zitierte Klotz des nicht fertig gewordenen Sowjetpalastes. Und irgendwo im Busch, im Park, steht der Königsberger Dom. Also eine gespenstische Situation, die sich dem jetzigen Besucher in Königsberg bietet, wenn man zum ersten Mal da hinfährt.
Welty: Wächst der Architekt da mit den Herausforderungen?
Kritische Rekonstruktion der Altstadt - nicht 1:1 Wiederaufbau
Stimmann: Der Architekt ist das eine. Das Wichtigste ist eigentlich, dass die Kaliningrader, die jetzigen Kaliningrader, also der jetzige Bürgermeister, der jetzige Gouverneur, der Chefarchitekt, und, ich vermute, auch eine ganze Reihe von anderen Leuten, dass die diese Leere als Defizit empfinden. Nach dem Verfahren sollte eine kleinteilige Wiederbebauung rund um das ehemalige Königsberger Schloss passieren. Die Kneiphofinsel, also das, was die meisten eher als die Altstadt empfinden, soll grün bleiben, soll verwandelt werden in einen, transformiert werden – ist er jetzt schon – aber soll transformiert werden in einen Park, ein Kant-Park bezeichnenderweise, und sozusagen von dem jetzigen Zustand, von der grünen Insel auch noch was übrig bleiben. Und die großen Straßen sollten, die trennenden beiden großen Straßen sollten radikal verschmälert werden, abgerissen werden, neue Brücken gebaut werden über den Pregel. Es soll sozusagen eine – ich verwende immer den Ausdruck, den wir hier in Berlin immer verwendet haben –, kritische Rekonstruktion der Altstadt, gemacht werden, aber eben kritisch. Nicht Eins-zu-eins-Wiederaufbebauung etwa der wirklichen Altstadt, sondern auch ein Stück mitgenommen die jüngere Geschichte nach 1945, als sowjetische und jetzt russische Stadt.
Welty: Und für welche Lösung hat man sich jetzt entschieden?
Stimmann: Ein Petersburger Architekturbüro hat vorgeschlagen, dieses Konzept, also die grüne Kneiphofinsel und eine Wiederbebauung mit kleinteiligen, also mit bürgerlicher Bebauung, also keine großen Blöcke, sondern schmale Stadthäuser auf der Schlossseite und der Abriss der breiten Straßen. Das war der erste Preis, den die Jury verteilt hat, und wie das so läuft in solchen Verfahren, da hat dann der Bürgermeister und der Gouverneur mitgestimmt. Aber als die dann wieder aufgewacht sind nach der Jury, haben sie gesagt, verdammt noch mal, also man hat jetzt quasi beschlossen, diese breiten Straßen so schmal zu machen, wie wir das, wie das vorgesehen wurde, und haben sich dann, nachdem sie einmal nachgedacht haben, haben sie gesagt, nein, das können wir nicht machen. Wir nehmen nicht den ersten Preis, sondern nehmen den zweiten Preis, der so ähnlich ist, aber ein bisschen mehr –
Welty: Verkehr zulässt.
"Wunderbares inhaltliches Konzept" für ein großes Kulturzentrum
Stimmann: Ein bisschen mehr Autoverkehr, darum geht es ja immer, also ein ganz typischer Vorgang. Die andere Frage ist, was mit dem zweiten Wettbewerb passiert, also dieser Schlosswettbewerb, über den wir jetzt entschieden haben. Es soll ja ein großes Kulturzentrum entstehen, mit Konzert- und Ausstellungsräumen, also ein wunderbares inhaltliches Konzept. Aber wie jedermann weiß, Russland – und Kaliningrad ist ein Teil von Russland – befindet sich in der ökonomischen Krise. Alle Investoren, die man auf dem Flug dahin getroffen hat, nach Kaliningrad, die sagen oh, oh, ich glaube nicht, dass wir im Moment zum Beispiel ein Hotel bauen würden in Kaliningrad, und schon gar nicht ein großes Bürohaus, und schon gar nicht vermutet man, dass Russland die Power hat, um einen großen Konzertsaal in dieser Situation zu bauen. Also ich bin sehr skeptisch. Wenn der Putin oder die Nationalregierung irgendwann finden, wir müssen da was machen, wir müssen dieses Projekt umsetzen, dann passiert es. Aber aus der Kraft der Region, die ja diesen Wettbewerb in Gang gesetzt hat, und aus der Kraft der Stadt ist das nicht zu leisten.
Welty: Das heißt, welche Erfahrung nehmen Sie mit aus diesem Wettbewerb?
"Ein Stück Berlin - aber direkt an der Ostsee"
Stimmann: Ich habe eine Stadt kennengelernt, die mir sehr nahe ist, die Berlin sehr nahe ist – das ist ja die Krönungsstadt von Berlin. Und wenn man da in Kaliningrad ins Taxi steigt und sagt, einmal nach Berlin fahren, dann kommt man am Potsdamer Platz raus, immer geradeaus. Es ist ja sozusagen die alte Reichsstraße eins, von Aachen nach Königsberg über Berlin. Die Stadt ist uns sehr nahe aufgrund ihrer besonderen Krönungsgeschichte, also mit dem Königsberger Schloss. Aber sie ist uns auch sehr nahe wegen der ganzen Topografie. Man findet dort ein Stück Berlin. Zum Beispiel kommt ja nicht nur der Kant daher, den Sie erwähnt haben, sondern es kommen ja die Brüder Taut zum Beispiel, die sind aus Königsberg nach Berlin gekommen. Oder Martin Wagner, der berühmte Martin Wagner, vielleicht einer der größten Berliner Städtebauer kommt aus Kaliningrad. Und wenn man dort hingeht, sieht man auch außerhalb der Altstadt den Bahnhof oder die Bahnhöfe, pure 20er-Jahre-Bauten, oder wunderbare Bauhaus-Architektur oder wunderbare - Dahlem sozusagen gibt es da, Charlottenburg. Also es ist ein Stück Berlin, aber direkt an der Ostsee. Man findet eben auch ein Stück Lübeck. Ich bin ja geborener Lübecker und deswegen emotional berührt, weil es so eine Stadt ist, die diese einmalige Situation hat, topografische Situation hat, liegt am Meer, an der Ostsee, an meiner Ostsee, und ist aber gleichzeitig so viel größer und ganz anders, Residenzstadt und sehr viel berlinischer. Wenn es Königsberg noch gäbe in der alten Struktur, dann wäre das wahrscheinlich unsere Favourite City, und das ist ja nicht ausgeschlossen, dass das irgendwann mal wieder kommt. Vielleicht gibt es ja irgendwann einmal eine Autobahn oder einen schnellen Zug, der da hinfährt.
Welty: Ausgeschlossen ist auch nicht, dass Kaliningrad wieder ein historisches Zentrum bekommt, denn so sieht es ein Architektenwettbewerb vor. In der Jury saß Hans Stimmann, der bis 2006 Berliner Senatsbaudirektor war. Ich danke für den Besuch, Herr Stimmann, hier im "Studio 9", und für das Gespräch, das wir aufgezeichnet haben.
Stimmann: Gern geschehen, Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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