Neues Zuhause. Geschichten vom Ankommen

"Hier fühle ich mich zu Hause"

Die Lehrerin Fereshta Ludin
Die Lehrerin Fereshta Ludin © Deutschlandradio / Anja Schäfer
Von Kemal Hür · 28.09.2015
Der Name Fereshta Ludin ist zum Synonym für die Kopftuch-Debatte in Deutschland geworden. Die aus Afghanistan stammende Lehrerin wurde nach ihrem Studium in Baden-Württemberg nicht in den Schuldienst übernommen. Dennoch sagt sie heute: Ihr Zuhause sei Deutschland.
Fereshta Ludin war vier Jahre alt, als sie mit ihrer Familie zum ersten Mal in die Bundesrepublik Deutschland kam. Die Familie wohnte in der damaligen Hauptstadt Bonn. Das erste, woran sich Fereshta Ludin hier erinnert, ist eine Eissorte:
"Es gab in der Nähe unseres Hauses damals einen Laden, in dem ich zum ersten Mal in den Genuss kam, Apfeleis zu essen. Das war damals für mich neu. Ich kann mich insbesondere an diesen Geschmack erinnern."
Die 43-Jährige trägt heute ein hellbraunes Kopftuch, dazu ein Kleid in ähnlich warmen Tönen. In einem Café in Berlin-Kreuzberg erzählt sie von ihrem Leben. Dass sie erkältet ist, hält sie nicht davon ab, nach dem Gespräch zur Arbeit zu gehen. Sie ist Lehrerin an einer islamischen Grundschule. 1977 kam Fereshta Ludin als jüngstes Kind des afghanischen Botschafters in die Bundesrepublik. Nach einem Putsch in Afghanistan gab ihr Vater seine Stellung auf. Die Familie ging nach Saudi-Arabien, wo Vater Ludin starb. Zusammen mit ihrer Mutter kehrte die 14-jährige Fereshta als politischer Flüchtling nach Deutschland zurück. Afghanistan ist nur noch das Land ihrer Kindheit, erzählt sie. Sie war nie wieder dort.
"Da ich mich inzwischen hier beheimatet fühle, ist es einfach ein Gefühl, gerne wissen zu wollen, wie das Land aussieht, in dem ich geboren wurde. Auch wenn es in dem Sinne nicht mehr meine Heimat ist, aber ich empfinde ganz starke Emotionen gegenüber dem Land."
Heimat ist für Fereshta Ludin der Ort, wo sie sich am wohlsten fühlt.
"Das ist zu Hause. Zuhause eben da, wo ich Geborgenheit, Liebe bekomme, wo ich mit der Familie gemeinsam Zeit verbringe."
Fereshta Ludin hat - wie zwei ihrer Geschwister - einen Deutschen geheiratet. Sie hat einen Sohn und lebt inzwischen seit 13 Jahren in Berlin. Das Gefühl, in Deutschland ein neues Zuhause gefunden zu haben, hatte sie sehr früh, sagt sie. Genau fünf Jahre nach ihrer Rückkehr aus Saudi-Arabien. Denn in dieser Zeit hatte sie so gut Deutsch gelernt, dass sie sich heimisch fühlen konnte.

"Die Sprache ist die Brücke überhaupt"

"Ich denke, die Sprache ist erstmal überhaupt die Brücke zu der anderen Welt, in der man angekommen ist. Ohne Sprache kann man sich nicht verständlich machen, kann man den anderen nicht verstehen und kann man so gut wie gar nicht Gefühle äußern. Das ist ja etwas Essentielles für uns Menschen, sich zu artikulieren, sich mitzuteilen und seine Gefühle zu äußern. Von daher finde ich es sehr wichtig, wenn man irgendwo ankommen möchte, dass das erste, was man tut, ist, die Sprache zu lernen."
Bekannt wurde Fereshta Ludin während der sogenannten Kopftuch-Debatte.
Die Lehrerin Fereshta Ludin© Deutschlandradio / Anja Schäfer
Als Fereshta Ludin auch in der deutschen Sprache soweit zu Hause war, dass sie sie hätte als Lehrerin selbst unterrichten können, erlebte sie in ihrem neuen Zuhause mit dem höchstrichterlichen Streit um ihr Kopftuch eine herbe Enttäuschung. Aber auch dieses Berufsverbot, wie sie es nennt, führte nicht zu einem Bruch mit ihrer neuen Heimat Deutschland. Diese Freiheit, für ihr Recht zu kämpfen, hätte sie weder in Afghanistan noch in Saudi-Arabien gehabt. Deutschland, so schreibt sie auch in ihrer Biografie, die im letzten April erschien, gibt ihr die Möglichkeit, ihr Leben frei und selbst zu gestalten.
"Hier fühle ich mich zu Hause. Hier habe ich mich eingefunden, eingelebt. Ich habe hier viele Jahre verbracht. Es gibt heute keinen Grund mehr für mich, mich nicht mehr zu Hause zu fühlen. Ich hab keine Zweifel daran, dass ich nicht hierher gehöre und dass Deutschland nicht meine Heimat ist. Es gibt keine Gefühle, die mir sagen: Du gehörst woanders hin. Deswegen fühle ich mich hier angekommen."
Gespräch mit Fereshta Ludin:
Fereshta Ludin aus Berlin. Die 43-Jährige, deren Familie aus Afghanistan kommt, arbeitet als Lehrerin an einer islamischen Schule.
Fühlen Sie sich inzwischen in Deutschland zu Hause?
"Auf jeden Fall. Hier fühle ich mich zu Hause. Hier habe ich mich eingefunden, eingelebt. Ich habe hier viele Jahre verbracht. Es gibt heute keinen Grund mehr für mich, mich nicht mehr zu Hause zu fühlen."
Wie lange hat es gedauert anzukommen?
"Ich würde sagen circa fünf Jahre. Denn in dieser Zeit - Anfangszeit - musste ich erstmal die Sprache lernen, um überhaupt Menschen um mich herum zu verstehen. Natürlich habe ich auch angefangen, die Kultur bewusster wahrzunehmen, zu lernen, wie man hier miteinander umgeht. Das hat auch ein Stück weit mein Horizont erweitert."
Hat die neue Heimat Sie verändert?
"Sicher, denke ich. Man handelt in unterschiedlichen Kulturen sehr verschieden. Da ist nicht nur die Kultur entscheidend, sondern auch gewisse Verhaltensweisen sind unterschiedlich, Gepflogenheiten. Da, denke ich, hat sich schon was in mir verändert. Der Alltag hier ist ein Stück weit sehr durchgeplant; wie der Tag abläuft, wie sogar Besuche abgestattet werden, wie man sich begegnet. Es ist vieles anders als das, was man aus Afghanistan kennt. Da, würde ich sagen, ist der Alltag etwas lockerer, etwas entspannter. Angepasst klingt zu streng, ich würde sagen, ich habe mich in der Gesellschaft eingegliedert. Es hat sich einfach vieles für mich ergeben, entspannt. Ich sehe da keine großen Schwierigkeiten, mich hier einzufinden."
Was ist Ihr Lieblingsort? Wo ist der?
"Ich bin sehr gerne in der Natur. Da, wo es grün ist, wo ich Vogelgezwitscher höre, wo es friedlich ist, wo ich das Gefühl habe, sicher zu sein und mich einfach zurechtfinden kann, wie ich das für richtig halte und es mir gefällt."
Wollen Sie hier alt werden?
"Das kann ich mir sehr gut vorstellen; ja! Solange es hier friedlich und sicher sich anfühlt, kann ich mir das sehr gut vorstellen."