Neues über Brechts Werk und sein Privatleben

Von Volkhard App |
Zwei Materialfunde aus Bertolt Brechts Schweizer Zeit haben in diesem Jahr besonders für Aufsehen gesorgt. Dazu gehört die Hinterlassenschaft Victor N. Cohens, der in Nachkriegsjahren für Brecht Kontakte zu linken Gewerkschaftern herstellte, Überweisungen für ihn tätigte und ihm später Lebensmittelpakete in die DDR schickte.
Hier singt er höchstpersönlich seine Moritat. Der arme B.B. hat uns nicht nur einprägsame Theaterstücke, Verse mit großer Bandbreite, unterschätzte Prosawerke und theoretische Schriften hinterlassen, sondern auch das Versprechen, nach seinem Tod noch unbequem bleiben zu wollen - es gebe da gewisse Möglichkeiten. Oder war das eher eine Drohung?

Den verschiedenen Boykottwellen in der Bundesrepublik folgte jedenfalls in studentenbewegter
Zeit die politische Indienstnahme: gerade der kritische Kopf war nun gefragt, der Kapitalismusgegner mit seinem Epischen Theater und besonders der "Lehrstücktheorie". Und heute? Viele Versuche gibt es, Brecht anders zu sehen. Die Botschaft ist dabei immer ähnlich: "Er war gar nicht so schlimm!"

Jan Knopf, Karlsruher Brecht-Forscher und Mitherausgeber der "Großen kommentierten Berliner und Frankfurter Ausgabe": "Es ist schillernd. Ich habe mir fast die Haare gerauft, als in Berlin mal die Brecht-Tage zum Thema "Brechts Glauben" stattfanden. Ich halte solche Themen für völlig unangemessen. Ich versuche selbst, den ästhetischen Brecht herauszuarbeiten. Er war zwar politisch immer sehr gut informiert, hielt sich auf dem Laufenden, war in erster Linie aber an seiner Literatur interessiert, im Zentrum stand immer die Kunst. Selbst am 17. Juni bei seinen Auseinandersetzungen mit dem ZK, als er auf notwendige Veränderungen hinweisen wollte, stellte er als nächstes immer die Frage: ‚Wann kriege ich endlich mein Theater?‘"
Brecht hält mit vielen Details die Wissenschaftler noch immer in Bewegung - zumal auch zwei Materialfunde aus seiner Schweizer Übergangszeit für Aufsehen gesorgt haben: zuletzt die Hinterlassenschaft Victor N. Cohens, der in Nachkriegsjahren für Brecht Kontakte zu linken Gewerkschaftern herstellte, Überweisungen für ihn tätigte und ihm später Lebensmittelpakete
in die DDR schickte.

Im Nachlass von Cohen fand sich umfangreiches Briefmaterial, aus dem zwar schon zitiert wird, das in Buchform aber erst in den nächsten Wochen vorliegt und sehr persönliche Einblicke ermöglicht.



Wolfgang Jeske, langjähriger Lektor im Suhrkamp Verlag: "Das betrifft hauptsächlich seine Zeit in New York. In den USA glaubte er als Theatermann eben, am Broadway etwas machen zu müssen, während Helene Weigel als Mutter von zwei Kindern in Kalifornien blieb. Ihr teilt er nun mit, wen er getroffen hat und welche Möglichkeiten sich bieten. Und einen Tag nach seinem 48. Geburtstag schreibt er, er habe nun gelernt, Spiegeleier zu braten, und dass es notwendig sei, Tassen und Gläser zu spülen und auch mal den Müll wegzubringen - und dass er ihr gewogen sei, wie sie das alles in den Jahren gemacht habe."
Soviel Information über Brecht war nie. Selbst die Versuche des Schülers sind, pünktlich zum runden Todestag, in Buchform nachgereicht worden: Stimmungsberichte aus der Heimatstadt Augsburg während des 1. Weltkriegs und konventionell anmutende Gedichte über die Natur und über große Männer - und der ganz junge Brecht lobte auch den "Heldentod" fürs Vaterland.

Ein bislang nicht gespieltes Drama gehört ebenfalls zu den Fundstücken. Brecht entwickelte es 1940 im finnischen Exil mit einer Kollegin nach einem überlieferten Stoff. "Die Judith von Shimoda": ein Werk des großen Stückeschreibers, das nun unbedingt auf die Bühne gehört?

Jan Knopf: "Nein, das Stück ist qualitativ nicht hochstehend. Im Gegenteil. Und ich bin froh, dass Brecht auch mal eine Soap hingelegt hat, denn es handelt sich um eine rührselige Angelegenheit: über eine Frau, die ihre Stadt rettet, indem sie sich dem amerikanischen Kommandanten zur Verfügung stellt. Doch sie wird von der Gesellschaft ausgeschlossen, geht langsam den Bach runter, wird alkoholisiert usw."
Facetten zum Brecht-Bild 2006. Vielfältige Ergänzungen, private Farbtöne, vor allem Material, um Brecht selber historisch zu sehen - aus jenem Blickwinkel, den er sich beim Zuschauer im Theater wünschte. Ist Brecht nun endgültig eingemeindet - oder hat er noch seine Stacheln?

Wolfgang Jeske: "Ich denke, sowohl das eine wie das andere. Eingemeindet ist er wohl, aber es gibt auch Reibungspunkte, wenn man sich daran gewöhnen muss, was er da im Einzelnen gesagt hat."
Mancher möchte Brecht ad acta legen, aber die Verhältnisse sind nicht so. Wir leben in einer noch immer finsteren Zeit, die von sozialer Ungerechtigkeit geprägt und von direkter Gewalt überschattet wird. In seinem Gedicht "Ich benötige keinen Grabstein” hielt sich Brecht zugute, "Vorschläge” gemacht zu haben.

Jan Knopf: "Er bemühte sich, gesellschaftliche Verhältnisse zu propagieren, wo die Freundlichkeit im Mittelpunkt steht. Und so zeigte er mit seinen Werken gesellschaftliche Defekte auf und verband diese Darstellung mit Vergnügen - einfach, um Einsichten zu vermitteln, so dass wir im Zusammenleben zu friedlicheren Lösungen kommen. Und hier bleibt Brecht immer aktuell - gerade wenn wir uns die heutige Situation ansehen. Da kriegt man ja das kalte Grausen, wie es da zugeht."
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