Neues Selbstbewusstsein jüdischer Kultur
Das diesjährige Kulturfestival in Krakau gab sich praxisbezogen: Kurse in jüdisch Kochen, Workshops für jiddischen Tanz, hassidischen Gesang oder Pessach-Initiation. Selbst Laien können neuerdings ihre Instrumente mitbringen und für einen Moment von den großen der Klezmer-Musik etwas lernen. Daneben Ausstellungen, Filme und - in Diskussionsforen - die ernsten, die vor-letzten Fragen: Wer ist Jude in Polen und in Krakau?
Klezmer-Musik im Tempel von Kaszimierz, dem jüdischen Viertel von Krakau. Hier vorgetragen von Khupe, einem Duo aus Berlin: Die 16. Edition des Kulturfestivals schlug erneut Brücken, wie auch die Musik, wenngleich Kritiker ein Übergewicht von Künstlern aus den USA ausmachten. Die Fokussierung dort auf Krakau als Folge von Steven Spielbergs "Schindlers Liste" - sie wirkt immer noch nach.
Amerikas Künstler brauchen Krakau und die Mitte Europas. Deutschland mit Berlin gilt als einer der größten Märkte weltweit für Klezmer-Musik. Krakau ist ein Treffpunkt.
In Polen, wenn man so will, hat alles angefangen. Rund 70 Prozent der Juden weltweit haben ihre Wurzeln hier. Krakau mittendrin, 700 Jahre lang blühender Mittelpunkt einer Kultur und Religion, die nie so assimiliert war wie in Deutschland unmittelbar vor dem 2. Weltkrieg. Wenige überlebten den Holocaust, aber Krakau und sein jüdisches Viertel blieben wie durch ein Wunder unzerstört. Die Kulisse atmet also.
Das diesjährige Festival gab sich praxisbezogen: Kurse in jüdisch Kochen, Workshops für jiddischen Tanz, hassidischen Gesang oder Pessach-Initiation. Selbst Laien können neuerdings ihre Instrumente mitbringen und für einen Moment von den großen der Klezmer-Musik etwas lernen. Daneben Ausstellungen, Filme und - in Diskussionsforen - die ernsten, die vor-letzten Fragen: Wer ist Jude in Polen und in Krakau?
Chris Schwarz, Leiter des Galicia Museums: "Offiziell leben in Krakau 157 Juden, von einst über 60.000, die zur orthodoxen Gemeinde gehören. Aber die Zahl ist ungenau. Es gibt mindestens noch mal 150, die Juden sind, das aber nicht öffentlich sagen oder nichts mit der offiziellen Gemeinde zu tun haben wollen. Andere haben einen jüdischen Vater, jüdische Grosseltern oder rechnen sich zu den Reformern. Und dann gibt es eine Dunkelziffer so genannter 'verborgener Juden'. Ich hatte unlängst beim Schabbat-Fest einen 60 Jahre alten Mann neben mir setzen, dessen Vater ihm unmittelbar vor seinem Tod mitgeteilt hatte: 'Mein Sohn, ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen: Du bist Jude.' ... Ich schätze, es gibt rund 1.200 Juden in Krakau. Aber man wird sie nie alle an einen Ort zusammenbekommen."
"Czulent", wie der gleichnamige jüdische Bohneneintopf mit Fleisch, heißt eine Vereinigung junger polnischer Studenten und Hochschulabsolventen, die in den letzten Jahren eine Gemeinsamkeit entdeckt haben: ihre Religion. Tadeusz Wolenski, 27, ist einer der Vorsitzenden:
"Zur Zeit sind wir 42 Mitglieder. Es gibt uns seit drei Jahren und wir haben alle jüdische Wurzeln, auf verschiedene Art. Der einen sind sehr religiös, andere gar nicht und wieder andere liegen irgendwo dazwischen. ... Wir wollen, dass das jüdische Leben in Krakau nicht mit den letzten Überlebenden des Holocaust ausstirbt. Wir wollen etwas erschaffen, wiederaufbauen in Krakau und wir wollen zeigen, dass es uns gibt."
Anders als die ältere Generation, so Tadeuz, tragen sie das Trauma des Holocaust nicht wie ein Kreuz. Überhaupt scheinen die Gemeinsamkeiten mit den Überlebenden begrenzt. Tadeusz ist homosexuell, ein Jahr lang hat er in Israel gelebt, und manches Mal hat er sogar schon daran gedacht, dorthin zurückzugehen.
Über den latentem Anti-Semitismus redet er nicht viel, aber es gibt ihn. Gleichwohl findet das Festival in einer erstaunlich gelassenen Atmosphäre statt. Vor den Synagogen patrouilliert keine Polizei, anders als in Deutschland.
Das Festival befindet sich an einem Wendepunkt. Bis 2008 will man wachsen, ein Treffpunkt des askenasischen, sephardischen wie israelischen Judaismus werden. Netzwerke in die USA gibt es schon, was fehlt, sind Künstler-Netzwerke nach Europa, sagt Festival-Leiter Janusz Makuch.
Die offiziellen Veranstaltungen des Festivals sind unverhältnismäßig teuer. Viele Polen können sie sich nicht leisten. Joachim Russek, vom Zentrum für jüdische Kultur, sieht im noch eine andere Gefahr:
"Die jüdischen Bewohner in unserer Stadt leben ja nicht im Kaszimierz. Das führt zu einer nächsten Gefahr, mit dem großen Aufschwung, mit der Entwicklung und mit der sehr oft unkontrollierbaren Kommerzialisierung, das kann unter schlimmsten Umständen ein jüdisches Disneyland sein. Das heißt, das alles ist zu kaufen und alles ist zu verkaufen. Ich meine, K. braucht eine gewisse Sensibilität. Also realistisch genommen haben wir keine Chance, in einer vorhersehbaren Zeit über 70.000 Juden in Kaszimierz zu haben. Was können wir heute machen, als Juden und als Europäer im gemeinsamen europäischen Haus?"
Disneylandisierung - das sind, abseits des Festivals - Elektro-Autos die aussehen wie auf amerikanischen Golfplätzen und Touristen mit Kopfhörern zu den Drehorten von "Schindlers Liste" fahren. Das ganze im Stundentakt. Wer einmal in Krakau ist, will häufig auch nach Auschwitz, das 60 Kilometer entfernt liegt. Eine junge Japanerin steht dort vor dem Tor mit der Aufschrift "Arbeit macht Frei". Sie schleppt ihren Reisekoffer hinter sich her, halb angekommen, und fragt ihren Reiseleiter, warum es so viele Menschen an diesen Ort zieht.
Amerikas Künstler brauchen Krakau und die Mitte Europas. Deutschland mit Berlin gilt als einer der größten Märkte weltweit für Klezmer-Musik. Krakau ist ein Treffpunkt.
In Polen, wenn man so will, hat alles angefangen. Rund 70 Prozent der Juden weltweit haben ihre Wurzeln hier. Krakau mittendrin, 700 Jahre lang blühender Mittelpunkt einer Kultur und Religion, die nie so assimiliert war wie in Deutschland unmittelbar vor dem 2. Weltkrieg. Wenige überlebten den Holocaust, aber Krakau und sein jüdisches Viertel blieben wie durch ein Wunder unzerstört. Die Kulisse atmet also.
Das diesjährige Festival gab sich praxisbezogen: Kurse in jüdisch Kochen, Workshops für jiddischen Tanz, hassidischen Gesang oder Pessach-Initiation. Selbst Laien können neuerdings ihre Instrumente mitbringen und für einen Moment von den großen der Klezmer-Musik etwas lernen. Daneben Ausstellungen, Filme und - in Diskussionsforen - die ernsten, die vor-letzten Fragen: Wer ist Jude in Polen und in Krakau?
Chris Schwarz, Leiter des Galicia Museums: "Offiziell leben in Krakau 157 Juden, von einst über 60.000, die zur orthodoxen Gemeinde gehören. Aber die Zahl ist ungenau. Es gibt mindestens noch mal 150, die Juden sind, das aber nicht öffentlich sagen oder nichts mit der offiziellen Gemeinde zu tun haben wollen. Andere haben einen jüdischen Vater, jüdische Grosseltern oder rechnen sich zu den Reformern. Und dann gibt es eine Dunkelziffer so genannter 'verborgener Juden'. Ich hatte unlängst beim Schabbat-Fest einen 60 Jahre alten Mann neben mir setzen, dessen Vater ihm unmittelbar vor seinem Tod mitgeteilt hatte: 'Mein Sohn, ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen: Du bist Jude.' ... Ich schätze, es gibt rund 1.200 Juden in Krakau. Aber man wird sie nie alle an einen Ort zusammenbekommen."
"Czulent", wie der gleichnamige jüdische Bohneneintopf mit Fleisch, heißt eine Vereinigung junger polnischer Studenten und Hochschulabsolventen, die in den letzten Jahren eine Gemeinsamkeit entdeckt haben: ihre Religion. Tadeusz Wolenski, 27, ist einer der Vorsitzenden:
"Zur Zeit sind wir 42 Mitglieder. Es gibt uns seit drei Jahren und wir haben alle jüdische Wurzeln, auf verschiedene Art. Der einen sind sehr religiös, andere gar nicht und wieder andere liegen irgendwo dazwischen. ... Wir wollen, dass das jüdische Leben in Krakau nicht mit den letzten Überlebenden des Holocaust ausstirbt. Wir wollen etwas erschaffen, wiederaufbauen in Krakau und wir wollen zeigen, dass es uns gibt."
Anders als die ältere Generation, so Tadeuz, tragen sie das Trauma des Holocaust nicht wie ein Kreuz. Überhaupt scheinen die Gemeinsamkeiten mit den Überlebenden begrenzt. Tadeusz ist homosexuell, ein Jahr lang hat er in Israel gelebt, und manches Mal hat er sogar schon daran gedacht, dorthin zurückzugehen.
Über den latentem Anti-Semitismus redet er nicht viel, aber es gibt ihn. Gleichwohl findet das Festival in einer erstaunlich gelassenen Atmosphäre statt. Vor den Synagogen patrouilliert keine Polizei, anders als in Deutschland.
Das Festival befindet sich an einem Wendepunkt. Bis 2008 will man wachsen, ein Treffpunkt des askenasischen, sephardischen wie israelischen Judaismus werden. Netzwerke in die USA gibt es schon, was fehlt, sind Künstler-Netzwerke nach Europa, sagt Festival-Leiter Janusz Makuch.
Die offiziellen Veranstaltungen des Festivals sind unverhältnismäßig teuer. Viele Polen können sie sich nicht leisten. Joachim Russek, vom Zentrum für jüdische Kultur, sieht im noch eine andere Gefahr:
"Die jüdischen Bewohner in unserer Stadt leben ja nicht im Kaszimierz. Das führt zu einer nächsten Gefahr, mit dem großen Aufschwung, mit der Entwicklung und mit der sehr oft unkontrollierbaren Kommerzialisierung, das kann unter schlimmsten Umständen ein jüdisches Disneyland sein. Das heißt, das alles ist zu kaufen und alles ist zu verkaufen. Ich meine, K. braucht eine gewisse Sensibilität. Also realistisch genommen haben wir keine Chance, in einer vorhersehbaren Zeit über 70.000 Juden in Kaszimierz zu haben. Was können wir heute machen, als Juden und als Europäer im gemeinsamen europäischen Haus?"
Disneylandisierung - das sind, abseits des Festivals - Elektro-Autos die aussehen wie auf amerikanischen Golfplätzen und Touristen mit Kopfhörern zu den Drehorten von "Schindlers Liste" fahren. Das ganze im Stundentakt. Wer einmal in Krakau ist, will häufig auch nach Auschwitz, das 60 Kilometer entfernt liegt. Eine junge Japanerin steht dort vor dem Tor mit der Aufschrift "Arbeit macht Frei". Sie schleppt ihren Reisekoffer hinter sich her, halb angekommen, und fragt ihren Reiseleiter, warum es so viele Menschen an diesen Ort zieht.