Neues Ministerium entfacht Debatte in Frankreich

Moderation: Liane von Billerbeck |
Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy hat ein neues Ministerium für Einwanderung und nationale Identität geschaffen. Gelehrte wie der Wissenschaftler Etienne François haben in einer Petition dagegen unterschrieben. Sein Argument: Die Einwanderer würden damit unter den Generalverdacht gestellt, ein Problem für die nationale Identität zu sein.
Von Billerbeck: Nicolas Sarkozy hat es schon im Wahlkampf angekündigt, ein spezielles Ministerium schaffen zu wollen. Nun wurde dessen Name um einen Begriff erweitert. Es heißt Ministerium für Einwanderung, Integration und nationale Identität. Und in Frankreich entbrennt ein Streit um die Leitkultur. Führende Gelehrte von Jacques Le Goff bis Roger Chartier protestieren. Eine Petition wurde unterschrieben und zu den Unterzeichnern gehören auch Deutsche wie die Historiker Jürgen Kocka und Hartmut Kaelble sowie der in Berlin lehrende Professor Etienne François vom Frankreich-Zentrum der Freien Universität. Guten Morgen!
Etienne François: Guten Morgen!
Von Billerbeck: Was fuchst Sie so an diesem Ministerium mit einem solchen Namen und dem Begriff 'nationale Identität' im Titel?
François: Was mir nicht gefällt, um das ganz offen zu sagen, bei diesem neuen Ministerium, das ist die Zusammenlegung von Einwanderung auf der einen Seite, nationale Identität auf der anderen Seite, denn de facto schafft das einen Verdacht auf die Einwanderer. Und der Verdacht in Frankreich bzw. die Abwehrhaltung gegenüber den Zuwanderern sind schon in unserem Lande stark genug. Und ich fürchte, dass sie dadurch stärker werden. Das ist der erste Grund. Ich hätte einen zweiten Grund: Die Frage der nationalen Identität, die ist ohne Zweifel eine zentrale Frage. Man hat das sehr gut gesehen während der Präsidentschaftswahlkampagne in den Diskussionen vorher. Das ist eine Debatte, die viele Franzosen bewegt. Aber eben weil es eine Debatte gibt, muss man, glaube ich, dafür sorgen, dass die Debatte sich fortsetzt in einem pluralistischen Sinne in Form eines Dialogs, in Form auch einer offenen Auseinandersetzung. Und ich weiß nicht, was ein Ministerium dazu beitragen kann.
Von Billerbeck: Monsieur François, der Name des Ministeriums verbindet ja Einwanderung und nationale Identität, und diese Verbindung, so konnte man das der "Neuen Züricher Zeitung" neulich entnehmen, die stammt aus zwei rechten Thinktanks, also Denkfabriken, die der Front National nahestehen. Das heißt, der Name suggeriert ja immer, Einwanderung ist ein Problem für uns Franzosen. Mit welchen Konsequenzen?
François: Und dieser Verdacht bzw. diese Unterstellung, Einwanderung wäre ein Problem, ist grundfalsch, jedenfalls was Frankreich betrifft. Es gibt kein anderes Land in Europa, was so viele Zuwanderer seit Jahrhunderten schon zählt. Ich würde fast sagen, fast jeder Franzose ist selber Sohn oder Enkel oder Verwandter von Zugewanderten. Bestes Beispiel darunter ist Nicolas Sarkozy. Seine Eltern kommen aus Ungarn, er wurde in Frankreich zwar geboren, aber sein Name ist ein ungarischer Name. Und er hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er selber ein Zugewanderter ist, der sich zwar zu Frankreich bekennt, aber diese ausländische Herkunft nicht verheimlichen wird. Insofern es gibt da eine für meine Begriffe ungesunde Umkehrung, etwas, was für Frankreich eine große Chance darstellt. Und was konstitutiv ist für die nationale Identität von Frankreich, wird unter Verdacht gestellt.
Von Billerbeck: Sarkozy, Sie haben es eben selber gesagt, ist Einwandererkind. Von ihm stammt ja aber der berühmte Spruch, dass er die Vorstädte mit dem Hochdruckreiniger von einem gewissen Gesindel reinigen wolle. Wo sieht denn das Einwandererkind Sarkozy nun den Platz der Einwanderer?
François: Den sieht er – das hat der Journalist aus Paris sehr gut dargestellt – in einer besser koordinierten Zuwanderungspolitik, in dem Traum allerdings, eine reine Utopie, dass man eine gezielte Einwanderungspolitik betreiben könnte, nach Quoten, die sich nur nach den Bedürfnissen des Landes Frankreich richten. Aber bei der Frage der Zuwanderung gibt es nicht nur die Bedürfnisse des Landes Frankreich, wie sie die Regierung bestimmen kann, sondern auch der Druck von außen, der Wunsch von außen von sehr vielen Ausländern, in Frankreich Fuß zu fassen, von der Frage der Familienzusammenführung nicht zu sprechen. Und in den Banlieue, die Politik von Sarkozy in der Zeit, wo er Innenminister war, war bis jetzt nicht besonders glücklich, denn das Problem ist nicht nur ein Problem der Zuwanderung, sondern ein Problem der Massenarbeitslosigkeit, vor allem bei den wenig qualifizierten Jugendlichen.
Von Billerbeck: Sarkozy hat ja mit seiner Entscheidung auch für eine Spaltung unter den französischen Gelehrten gesorgt, denn in ihrem Protest sind die sich ja nicht einig. Also Intellektuelle wie Alain Finkielkraut oder Max Gallo haben das Ministerium sogar ausdrücklich begrüßt, zwar mit der Begründung, dessen Schaffung sei ein Ausdruck der Sorge um die Identität. Es ist ja auch in Frankreich so wie bei vielen Bürgern Europas, die sich also zwischen der Europa-Bürokratie und ihren Regionen eingezwängt fühlen. Spricht da diese Gefühlslage nicht auch dafür, dass gemeinsame Französische zu stärken?
François: Ohne Zweifel, aber wie gesagt, von meiner Wahrnehmung her habe ich nie den Eindruck gehabt, dass es besonders gefährdet ist. Aber abgesehen davon, es stimmt, dass viele Franzosen sich Sorgen darüber machen, es stimmt, dass viele sich Fragen stellen. Insofern, wenn dieses Ministerium in der Entwicklung zu einer Intensivierung der innerfranzösischen Debatte führen kann, dann stehe ich dafür. Aber wenn dieses Ministerium, wie der Eindruck bei seiner Gründung entstanden ist, eher eine restriktive Politik führt oder eine paternalistische Politik, die schon von vornherein vorschreibt, was Franzosesein bedeutet, dann gefällt das einem demokratisch-pluralistischen Verständnis der Nation nicht.
Von Billerbeck: Der Vorwurf der Gelehrten an Sarkozy richtet sich ja nicht nur gegen dieses Ministerium, sondern auch, dass er die Geschichte nur selektiv wahrnimmt und für seine Zwecke benutzt. So hat er in seinem ersten Entscheid angeordnet, dass der Brief eines 17-jährigen Résistance-Kämpfers vor seiner Erschießung 1941 zu Beginn jedes Schuljahres vorgelesen werden soll. Und darin ist aber nichts vom Widerstand gegen die deutschen Besatzer oder das Vichy-Regime zu erfahren und auch nichts von den politischen Idealen eines jungen Kommunisten. Man hört nur von Mut und Fleiß, um später ein guter Mann zu werden. Also ein Brief, der unverständlich ist ohne den Kontext. Und der Vorwurf an Sarkozy lautet ja, er sei ein Rechter ohne Gedächtnis. Wird diese Methode funktionieren, um die französische Identität zu stärken?
François: Glaube ich nicht, nein. Dass Sarkozy ein Rechter ohne Gedächtnis wäre, würde ich auch nicht unter meine Kappe nehmen, nein, nein. Der Brief, aber er hat das ganz deutlich gesagt, allerdings aus vollen innenpolitischen Gründen und wahltaktischen Gründen, er setzt sich für ein stärkeres französisches Selbstvertrauen, es soll Schluss sein mit dem Zeitalter der Bußerklärungen und der Reue. Frankreich hätte keinen Völkermord geführt und, und, und. Ich glaube, das ist vor allem innenpolitisch, ich hoffe, das ist vor allem innenpolitisch und wahltaktisch. Das hat immerhin teilweise dazu beigetragen, dass die Front National, die seit mehr als 20 Jahren in Frankreich existiert, zum ersten Mal viele Wähler verloren hat und jetzt wirklich tief gefährdet ist. Und wenn wahltaktische Ausrutscher ein Mittel waren, um diese Gefahr der Front National erfolgreich zu bekämpfen, dann kann man das teilweise auch akzeptieren. Ich bin nicht ganz sicher, dass es so funktionieren wird, aber wenn es so wäre, da könnte ich ein Auge zudrücken.
Von Billerbeck: In Frankreich entbrennt ein Streit um die Leitkultur, seit Sarkozy ein Ministerium für Einwanderung und nationale Identität geschaffen hat. Wir sprachen mit Professor Etienne François vom Frankreich-Zentrum der Freien Universität Berlin. Ich danke Ihnen!
François: Danke auch!