Neues Buch "Dinosaurierfragmente"

Wie aus einem Stück Stein spannende Naturgeschichte wird

Der Brachiosaurus in der Halle des Berliner Naturkundemuseums.
"Dinosaurierfragmente" von © imago/Jürgen RitterWallstein Verlag
Von Volkart Wildermuth · 06.02.2019
Das Skelett eines Brachiosaurus zählt zu den buchstäblich größten Attraktionen des Berliner Naturkundemuseums. Ein neues Buch erzählt so detailliert wie informativ die Wissenschafts- und Kolonialgeschichte dieses Ausstellungsstücks.
Der Lichthof des Berliner Naturkundemuseums: Eine Gruppe von Dinosaurierskeletten schreitet auf den Besucher zu, überragt von Brachiosaurus brancai. Einen größeren Dino gibt es nirgends zu sehen. Ein echtes Original? Eher nicht, wie das jetzt erschiene Buch "Dinosaurierfragmente. Zur Geschichte der Tendaguru-Expedition und ihrer Objekte" zeigt.
Denn die Besucher sehen hier nicht ein wiederauferstandenes Tier, sondern einen Zusammenbau. Kunstvoll wurden Knochen verschiedener Dinosaurier kombiniert, fehlende Teile nachempfunden und das Ganze jeweils nach den aktuellen Vorstellungen der Wissenschaft arrangiert.

Wer hat den größten Dinosaurierknochen?

In jedem Kapitel fokussieren die Autoren, alle Mitglieder eines umfassenden Forschungsprojekts, auf ein spezielles Detail der Geschichte. Genau das eröffnet neue, überraschende Blickwinkel und macht dieses reich bebilderte Buch zu einer wahren Fundgrube. Immer geht es um die komplexen kulturellen Prozesse, die aus ein paar Gesteinsbrocken erst ein Stück Naturgeschichte machen.
Skelette in der Saurierhalle des Berliner Naturkundemuseums
Auf dem Boden geblieben: Auch kleinere Dinosaurer sind im Berliner Naturkundemuseum anzutreffen.© imago stock&people
So wurden Dinosaurierskelette in Zeiten der DDR etwa an das kapitalistische Japan ausgeliehen. Ein geschickter Schachzug, der Devisen einbrachte und den Zugang zu dringend für die Konservierung benötigten Chemikalien sicherte. Überhaupt ging es damals bei den Dino-Knochen ständig ums Geld: für eine Expedition, für die Präparation, für die Aufstellung und die Erhaltung. Motto: "Wer hat den größten Dinosaurierknochen?"

Kolonialgeschichte und Wissenschaft

Ein anderes Kapitel erlaubt Einblicke in die Kolonialverwaltung Anfang des 20. Jahrhunderts. In Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania, sind die Machtverhältnisse nach dem blutigen Maji-Maji-Krieg geklärt. Trotzdem wird das Fundgebiet mit einer aufwändigen Inszenierung für die Krone in Besitz genommen.
Steppe mit einem aufgebahrten fossilen Knochen von beeindruckender Größe.
Frisch dem Boden entnommen: Schulterblatt eines Dinosauriers, gehoben von der Tendaguru-Expedition im Jahr 1925.© imago/United Archives International
1909 startete dann die Tendaguru-Expedition und spülte eine wahre "Sintflut" an Gestein nach Berlin. Mehr als 220 Tonnen. Bis heute sind nicht alle Kisten geöffnet. Immerhin wissen die Forscher dank Computer-Tomographie-Scans, was sie ungefähr enthalten. Geleitet wurde die vierjährige Grabung am Tendaguru von den deutschen Paläontologen Werner Jaensch und Edwin Hennig. Für die eigentliche Arbeit wurden Einheimische angestellt. In den offiziellen Bildern sind sie vor allem als anonyme, endlose Trägerkolonnen zu sehen.
Dabei gibt es durchaus Fotos von konkreten Personen, etwa von dem Aufseher Seliman Nyororo mit seiner Frau. Der Mann aus der Gruppe der Wangoni leitete die Ausgrabung von Skelett M, das in den Expeditionsunterlagen nach ihm als Nyororosaurus bezeichnet wurde. In der wissenschaftlichen Veröffentlichung heißt der Dino aber später Dicraeosaurus satttleri, nach Bernhard Sattler, dem angeblichen Entdecker der Riesenknochen.

Ein ausgesprochen informatives Buch

"Dinosaurierfragmente" ist ein besonders schön aufgemachtes Buch. Manchmal liest es sich etwas spröde, aber es ist ausgesprochen unterhaltsam und informativ, und lässt einen Brachiosaurus brancai oder besser Giraffatitan, so heißt er heute korrekt, nicht nur als ein Objekt der Natur- sondern auch der Kulturgeschichte wahrnehmen.

Ina Heumann/Holger Stoecker/Marco Tamborini/Mareike Vennen: "Dinosaurierfragmente. Zur Geschichte der Tendaguru-Expedition und ihrer Objekte, 1906 – 2018"
Wallstein Verlag, Göttingen 2018
311 Seiten, 26,90 EUR

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