Neues aus der Frontstadt
Nach dem Zweiten Weltkrieg hält der Alltag Einzug in das Leben der Deutschen – und Fritz Eschen hält in Fotos das Leben und Überleben des zerstörten Berlins seit 1945 fest. Sie sind nun in der Berliner C/O Galerie zu sehen.
Der Blick auf die zerbombte Stadt, auf ein Lessing-Standbild oder das Brandenburger Tor inmitten einer öden Trümmerwüste bildet den Auftakt für die Fotoschau "Berlin unterm Notdach" - und das hat seinen Grund. Dem Fotohistoriker Mathias Bertram geht es bei dieser ersten Ausstellung zum jahrzehntelang vergessenen Nachkriegsfotografen Fritz Eschen darum:
"Erst einmal zu zeigen: Wie sah die Stadt überhaupt aus, was war der Raum, in dem die Menschen agierten. Eschen ist aber eben auch ganz viel durch die Stadt gegangen als Flaneur, und hat sich angeguckt, wie die Leute leben, was passiert."
Zuerst einmal bleiben spektakuläre Ereignisse aus. Das frisch zerborstene Flakgeschütz am Straßenrand setzt Eschen wie eine Skulptur in Szene. Daneben dokumentiert er lapidar, wie auf zertrümmerten Häuserwänden über Nacht die Endsieg-Parolen übermalt werden mit Sätzen wie "Dazu brauchte Hitler zwölf Jahre".
"Die Berliner waren da nicht anders als die übrigen Deutschen und hatten überhaupt kein Verständnis für ihre eigene historische Situation geschweige denn irgendein Schuldbewusstsein."
Eschen, der als Jude 1933 mit Berufsverbot belegt worden war, hegte dennoch keine Ressentiments. In den Zwanzigern hatte er als Fotoamateur Zutritt zu Kreisen der Prominenz, bewies mit Porträtstudien vom Maler Max Liebermann, von Tänzerinnen und Schauspielern sein Talent, bekam Aufträge. Anfang Mai 1945, noch am Vorabend der Kapitulation, nahm er die Kamera wieder zur Hand, zeigte sich in der ungekünstelten Dokumentation des wieder beginnenden Alltags als Journalist durch und durch. Der gelernte Kaufmann spielte aber auch seine Stärke als Porträtfotograf aus, nun jedoch mit durchaus politischem Hintergrund. Das demonstriert Mathias Bertram treffend und eindrucksvoll mit einem Fotoquartett:
"Martin Heidegger, der freudig den Nationalsozialismus begrüßt hatte und Karl Jaspers, der völlig untadelig die NS-Zeit überstanden hat. Johannes R. Becher und Gottfried Benn, die expressionistischen Dichter. Der eine der kommunistischen Bewegung verfallen, der andere zunächst Propagandist für den Nationalsozialismus. Man hat hier praktisch das ganze Spektrum in vier Bildern - was kein Problem ist aus diesem wirklich enzyklopädischen Werk von Eschen zusammenzustellen."
Eins zu eins kann kein Fotograf seine Zeit wiedergeben, und sei er noch so genau, umsichtig oder auch nur fleißig. Und einiges - etwa die Deutschen als scheinbar unschuldige Opfer - wollte oder konnte Eschen wohl auch nicht allzu direkt zeigen:
"Vor Hunger, vor Kälte, durch Krankheiten gestorben. Erschlagen wegen einer Scheibe Brot oder einer Jacke - noch 1946/47. Das muss man eben bedenken, wenn man sich diese Bilder anguckt, auf denen vieles zu sehen ist - aber nicht alles."
Dennoch lässt sich anhand der Auswahl von 120 Bildern aus einem Archiv mit insgesamt 90.000 Aufnahmen der Geist jener Zeit erahnen, die Mentalität der Nachkriegsgesellschaft rekonstruieren. Die Kuratoren haben mit dramaturgischem Geschick kontrastierende Motive nebeneinander gehängt, etwa das Hinweisschild auf den amerikanischen Sektor und ein Verkehrsschild in kyrillischer Schrift.
Oder Fotos des britischen Militärkommandanten und eines russischen Chauffeurs. Dass Berlin zur Frontstadt geworden ist, wird en passant deutlich, etwa mit der Aufnahme von Jugendlichen, die in der Sonne liegen - hinter sich die Siegessäule mit dem Schriftzug "Frieden in Freiheit". Auf welcher Seite mag der Fotograf gestanden haben?
"Fritz Eschen war Gewerkschaftsfunktionär der Bildreporter in Berlin. Als SED und sowjetische Besatzungsmacht anfingen die Pressefreiheit noch weiter einzuengen und zu erdrosseln, gehörte Eschen mit zu den Aktivisten der Teilung, indem er in West-Berlin einen Gegenverband gegründet hat. Und danach auch nicht im sowjetischen Sektor fotografiert hat - es sei denn, er war in Begleitung von britischen oder amerikanischen Soldaten."
Auf die eigene Handschrift, gar einen künstlerischen Stil verzichtete Eschen. Er reagiert journalistisch, der jeweiligen Situation angemessen. Wenn Ernst Reuter spricht, geht er ganz nah ran an den Regierenden Bürgermeister, die Massen bleiben unscharf im Hintergrund.
Die Rosinenbomber fotografiert der Reporter aus der Untersicht, mit erwartungsvollen Kindern ganz groß im Vordergrund. Und bürstet so die Chronik der politischen Ereignisse ein wenig gegen den Strich, macht den Blick frei für neue, nach über 60 Jahren noch überraschende Erkenntnisse:
"Man stellt ja fest, dass Kinder eher angenehme Erinnerungen an diese Zeit haben. Man sieht das auch den Kindern an. Die tanzen auf den Schienen der Trümmerbahn, gehen dahin, wo sie natürlich nicht hingehen dürfen. Für Kinder scheint das eine sehr wilde und freie Zeit gewesen zu sein."
"Erst einmal zu zeigen: Wie sah die Stadt überhaupt aus, was war der Raum, in dem die Menschen agierten. Eschen ist aber eben auch ganz viel durch die Stadt gegangen als Flaneur, und hat sich angeguckt, wie die Leute leben, was passiert."
Zuerst einmal bleiben spektakuläre Ereignisse aus. Das frisch zerborstene Flakgeschütz am Straßenrand setzt Eschen wie eine Skulptur in Szene. Daneben dokumentiert er lapidar, wie auf zertrümmerten Häuserwänden über Nacht die Endsieg-Parolen übermalt werden mit Sätzen wie "Dazu brauchte Hitler zwölf Jahre".
"Die Berliner waren da nicht anders als die übrigen Deutschen und hatten überhaupt kein Verständnis für ihre eigene historische Situation geschweige denn irgendein Schuldbewusstsein."
Eschen, der als Jude 1933 mit Berufsverbot belegt worden war, hegte dennoch keine Ressentiments. In den Zwanzigern hatte er als Fotoamateur Zutritt zu Kreisen der Prominenz, bewies mit Porträtstudien vom Maler Max Liebermann, von Tänzerinnen und Schauspielern sein Talent, bekam Aufträge. Anfang Mai 1945, noch am Vorabend der Kapitulation, nahm er die Kamera wieder zur Hand, zeigte sich in der ungekünstelten Dokumentation des wieder beginnenden Alltags als Journalist durch und durch. Der gelernte Kaufmann spielte aber auch seine Stärke als Porträtfotograf aus, nun jedoch mit durchaus politischem Hintergrund. Das demonstriert Mathias Bertram treffend und eindrucksvoll mit einem Fotoquartett:
"Martin Heidegger, der freudig den Nationalsozialismus begrüßt hatte und Karl Jaspers, der völlig untadelig die NS-Zeit überstanden hat. Johannes R. Becher und Gottfried Benn, die expressionistischen Dichter. Der eine der kommunistischen Bewegung verfallen, der andere zunächst Propagandist für den Nationalsozialismus. Man hat hier praktisch das ganze Spektrum in vier Bildern - was kein Problem ist aus diesem wirklich enzyklopädischen Werk von Eschen zusammenzustellen."
Eins zu eins kann kein Fotograf seine Zeit wiedergeben, und sei er noch so genau, umsichtig oder auch nur fleißig. Und einiges - etwa die Deutschen als scheinbar unschuldige Opfer - wollte oder konnte Eschen wohl auch nicht allzu direkt zeigen:
"Vor Hunger, vor Kälte, durch Krankheiten gestorben. Erschlagen wegen einer Scheibe Brot oder einer Jacke - noch 1946/47. Das muss man eben bedenken, wenn man sich diese Bilder anguckt, auf denen vieles zu sehen ist - aber nicht alles."
Dennoch lässt sich anhand der Auswahl von 120 Bildern aus einem Archiv mit insgesamt 90.000 Aufnahmen der Geist jener Zeit erahnen, die Mentalität der Nachkriegsgesellschaft rekonstruieren. Die Kuratoren haben mit dramaturgischem Geschick kontrastierende Motive nebeneinander gehängt, etwa das Hinweisschild auf den amerikanischen Sektor und ein Verkehrsschild in kyrillischer Schrift.
Oder Fotos des britischen Militärkommandanten und eines russischen Chauffeurs. Dass Berlin zur Frontstadt geworden ist, wird en passant deutlich, etwa mit der Aufnahme von Jugendlichen, die in der Sonne liegen - hinter sich die Siegessäule mit dem Schriftzug "Frieden in Freiheit". Auf welcher Seite mag der Fotograf gestanden haben?
"Fritz Eschen war Gewerkschaftsfunktionär der Bildreporter in Berlin. Als SED und sowjetische Besatzungsmacht anfingen die Pressefreiheit noch weiter einzuengen und zu erdrosseln, gehörte Eschen mit zu den Aktivisten der Teilung, indem er in West-Berlin einen Gegenverband gegründet hat. Und danach auch nicht im sowjetischen Sektor fotografiert hat - es sei denn, er war in Begleitung von britischen oder amerikanischen Soldaten."
Auf die eigene Handschrift, gar einen künstlerischen Stil verzichtete Eschen. Er reagiert journalistisch, der jeweiligen Situation angemessen. Wenn Ernst Reuter spricht, geht er ganz nah ran an den Regierenden Bürgermeister, die Massen bleiben unscharf im Hintergrund.
Die Rosinenbomber fotografiert der Reporter aus der Untersicht, mit erwartungsvollen Kindern ganz groß im Vordergrund. Und bürstet so die Chronik der politischen Ereignisse ein wenig gegen den Strich, macht den Blick frei für neue, nach über 60 Jahren noch überraschende Erkenntnisse:
"Man stellt ja fest, dass Kinder eher angenehme Erinnerungen an diese Zeit haben. Man sieht das auch den Kindern an. Die tanzen auf den Schienen der Trümmerbahn, gehen dahin, wo sie natürlich nicht hingehen dürfen. Für Kinder scheint das eine sehr wilde und freie Zeit gewesen zu sein."