Kindheitserinnerungen in Kammer-Pop-Manier
Mit ihrem neuen Album "Tranquility Base Hotel + Casino" sind die Arctic Monkeys nun auch musikalisch erwachsen geworden. Während Sänger Alex Turner früher Adoleszenzgeschichten aus der britischen Vorstadttristesse erzählte, findet er nun zu Poesie.
Martin Böttcher: Das letzte Album der Arctic Monkeys erschien 2013. Seitdem sind fünf Jahre vergangen, im Pop eine halbe Ewigkeit. Klingt die neue Platte "Tranquility Base Hotel + Casino" denn nun tatsächlich durchgehend so radikal anders, wie es der eben gehörte Song andeutet?
Thorsten Groß: Auf den ersten Blick schon. Das ist im Grunde wirklich Chamber Pop, mit Rockmusik hat es nichts mehr zu tun. Es gibt keine Up-tempo-Songs, keine rocktypisch verzerrten Gitarren, das Album folgt einer einheitlichen Stimmung, die Songs haben ähnliche Tempi und sind durchgehend wohltemperiert. Es ist also durchaus ein deutlicher Wandel, der sich allerdings bereits nach der Tour zum letzten Album abgezeichnet hatte, wie Alex Turner sagt.
Alex Turner: "Nach dem Ende der Tour zum letzten Album hat es sich angefühlt, als gehe eine Ära zu Ende. Es gab eine Reihe von Hochzeiten, Kinder, Schwangerschaften – für uns alle lagen Veränderungen in der Luft. Und so kam es dann auch: Wir haben uns in den vergangenen Jahren seltener gesehen als zuvor."
Der Übergang von der Jugend ins Erwachsenenalter wird nun also auch musikalisch vollzogen. Musikalisch ist der Wandel allerdings nicht so überraschend, wie man zunächst denken mag: Den Referenzrahmen der klassischen Rockmusik hat diese Band schon früher erweitert, vor allem Turner hat seine Leidenschaft für Crooning und klassisches Handwerk immer wieder angedeutet. In Arctic-Monkeys-Songs wie "Number 1 Party Anthem" oder "Cornerstone", vor allem aber mit dem Gesamtwerk seines Nebenprojekts The Last Shadow Puppets. Die Arctic Monkeys waren auf der Basis der Rockmusik schon immer eine neugierige und offene Band, integrierten über die Jahre Hip-Hop, Stoner Rock, Psychedelik und einiges mehr. Die Band ist gut damit gefahren, stets die Antithese des jeweiligen popkulturellen Zeitgeists abzubilden. Allerdings haben sie ihre, sagen wir Crooning-Seite nie so konsequent und durchgängig auf den Punkt gebracht wie hier.
Böttcher: Wie erklären die Arctic Monkeys überhaupt den neuen Sound, was sind die Hintergründe für diesen Wandel?
Groß: Turner war noch nie ein besonders großer Erklärer seiner Musik, aber wie es scheint, waren vor allem zwei Dinge wichtig: Vor zwei Jahren hat Turner "Belladonna Of Saviour" produziert und mit komponiert, ein Album der amerikanischen Sängerin Alexandra Saviour. Für diese Produktion hat er zum ersten Mal in seiner Karriere im Stile eines Bedroom-Producers zu Hause gearbeitet und Vorab-Demos produziert, so wollte er nun auch die neuen Songs der Arctic Monkeys angehen. Hinzu kam ein Steinway-Klavier, das er zum Geburtstag geschenkt bekam – und eine Kindheitserinnerung:
Alex Turner: "Mein Vater spielte Saxofon und Trompete und ein bisschen Klavier. Er selbst würde sich vielleicht als Pianist bezeichnen ... Tatsächlich habe ich viel über ihn und sein Spiel nachgedacht, als ich das Album geschrieben habe. Einige der Klavierparts erinnern mich an die Sachen, die ich als Kind aus dem Nebenzimmer gehört habe."
Turners Vater ist Hobby-Jazz-Musiker, Turner selbst hat unter dessen Anleitung schon als kleines Kind am Klavier Sinatra-Songs gespielt.
Alex Turner findet nun zur Poesie
Böttcher: Wenn Alex Turner das Album alleine geschrieben und vorproduziert hat, wäre es dann nicht naheliegend gewesen, "Tranquility Base Hotel + Casino" auch gleich als Soloalbum zu veröffentlichen?
Groß: Das hat ihm der Gitarrist der Band, Jamie Cook, in der Tat vorgeschlagen, aber er wollte es nicht. Die anderen Musiker sind dazu gekommen und langsam hat sich eine Gruppendynamik entwickelt.
Böttcher: Alex Turner wurde insbesondere zu Beginn ja als Chronist des Alltagslebens britischer Jugendlicher gelobt. Seine Texte waren dialogisch, reportagehaft, humorvoll, moderne Adoleszenzgeschichten. Geht mit dem musikalischen nun auch ein inhaltlicher Wandel einher? Worum geht es auf dem neuen Album?
Groß: Es geht um Religion, Baseball, Politik, Science Fiction und Vergänglichkeit. Wo Turner früher beinahe journalistisch Adoleszenzgeschichten aus der britischen Vorstadttristesse erzählte, findet er nun zu Poesie. Von seiner Vorliebe für Albernheiten sind nur noch einige obskur anmutende Titel geblieben: Ein Song heißt "The Wold’s First Ever Monster Truck Front Flip", ein anderer wie das Album selbst: "Tranquility Base Hotel + Casino". Das Album, so sagt er selbst, sei eine Reflexion in Unkenntnis der Zukunft. So erklären sich die assoziativen, dialogisch luziden Texte voller popkultureller Querverweise. Im wehmütigen "Golden Trunks" findet Turner für Donald Trump das Bild eines Wrestlers, womit dessen Politikstil hinreichend beschrieben wäre: "The leader of the free world reminds you of a wrestler wearing tight golden trunks/He's got him sen a theme tune/They play it for him as he makes his way to the ring."
Tranquility Base bezeichnet übrigens den Landepunkt der ersten bemannten Mondfähre, die südwestliche Ebene eine Mondmeeres: das Meer der Ruhe. "Houston, Tranquility Base here. The Eagle has landed", funkte Neil Armstrong damals nach erfolgreicher Landung. Für Alex Turner ist Tranquility Base eine Chiffre für einen inneren Komfortraum, den er für die Arbeit an diesen Songs mühsam errichtet hatte. Lange Zeit hatte er kein Gefühl zu dieser Musik, spielte sie niemandem vor, war unsicher, ob er auf dem richtigen Weg war, es war ein bisschen wie in Stanley Kubricks "2001: Odysse im Weltraum", Turners Lieblingsfilm.
Verzicht auf Schmalz und Pomp
Böttcher: Geht das musikalische und inhaltliche Konzept der Platte auf?
Groß: Ich finde, ja, sogar sehr. Die Arctic Monkeys verzichten auf einen pompösen orchestralen Rahmen, auf Schmalz und Pomp. "Tranquility Base Hotel + Casino" ist eine intime Studie, ein zunächst unaufdringliches Album, das sich langsam anschleicht, immer neue Details offenbart, ins Unendliche wächst. Für den Songschreiber Alex Turner ist es ein Quantensprung, kommerziell ist es allerdings durchaus ein Wagnis.
Böttcher: Die AM wurden Mitte der Nullerjahre bekannt, zusammen mit einer ganzen Reihe von Gitarrenrockbands. Auch wenn man immer sagt, der Rock ist tot – ein paar dieser Bands sind jetzt ja wieder da und spielen im Sommer auf großen Festivals (Mando Diao, The Kooks). Wäre es nicht klüger gewesen, die alte Fanbase weiter zu bedienen?
Groß: Man muss dankbar sein, dass sie genau das nicht tun. Der Song, den wir am Anfang gehört haben, "The Star Treatment", beginnt mit der Zeile "I just wanted to be one oft the Stroke". Das ist sozusagen der Ausgangspunkt, natürlich waren die betont coolen Strokes damals das große Vorbild für Alex Turner und die Arctic Monkeys, die damals aber ja picklige Teenager und eben nicht besonders cool waren. Ein paar Jahre später sind sie nun erfolgreicher als die Strokes es jemals waren, weil sie eben nicht stehen geblieben sind. Die von Ihnen genannten Bands funktionieren im Übrigen auch nur noch als Nostalgie-Veranstaltung auf Festivals, für deren aktuelle Musik sich niemand interessiert. Die Leute, die mit den Indie-Rock der frühen Nullerjahre sozialisiert wurden, sind inzwischen ja auch schon über 30, haben Familien, normale Jobs und wollen dann also beim Festival von den Kooks an ihre Jugend erinnert werden. Im Grunde ist das nicht anders als bei den Rolling Stones und anderen Dinosauriern.