Neuer Europäischer Forschungsrat setzt auf Nachwuchsförderung
Der künftige Generalsekretär des kürzlich gegründeten Europäischen Forschungsrats, Ernst-Ludwig Winnacker, will junge Wissenschaftler aus aller Welt nach Europa locken. Im Deutschlandradio Kultur sagte er, 250 ausgewählte Doktoranden könnten von Brüssel auf unbürokratischem Weg eine Stelle erhalten. Dazu kämen zeitlich begrenzt jährlich bis zu 400.000 Euro für Projektgruppen. Winnacker, der bisher Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft war, betonte, die Föderung stehe Wissenschaftlern aller Fachbereiche offen.
Von Billerbeck: Mit Beginn des neuen Jahres soll für die europäische Forschung eine neue Epoche anbrechen. Erstmals wird mit dem Europäischen Forschungsrat eine gesamteuropäische Institution Gelder für die Grundlagenforschung vergeben. Damit der Sprung in die neue Dimension auch gelingt, hat die EU für diesen Forschungsrat einen Generalsekretär gefunden, der sich im deutschen Wissenschaftsmanagement bewährt hat. Ernst-Ludwig Winnacker war bisher Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG und er wird das neue Amt am 1. Januar in Brüssel übernehmen. Guten Tag, Herr Winnacker.
Winnacker: Grüß Sie Gott.
Von Billerbeck: Herr Winnacker, in einem gerade veröffentlichten Buch da sagen Sie, hundert Gehirne und mehr in den Griff zu bekommen, und sei es nur für ein paar Minuten, das sei doch etwas. Wie viele Gehirne müssen Sie denn in Brüssel in den Griff bekommen?
Winnacker: Das ist eine gute Frage. Ja, das ist das große Thema, die EU und der Ministerrat und auch die Scientific Community sind wirklich wild entschlossen, aus dieser Institution eine Erfolgsgeschichte zu machen. Und zu dieser Erfolgsgeschichte gehört auch die Autonomie, die Selbständigkeit, die Unabhängigkeit von der Kommission und von der Politik in Europa. Es ist ja ein kleineres Instrument. 15 Prozent der Mittel, der europäischen Forschungsmittel immerhin, gehen da hinein. Ja, das wird meine Hauptaufgabe sein, dazu Mittel und Wege zu finden, diese Autonomie zu bewahren.
Von Billerbeck: Nun handelt sich das ja um eine Neugründung und Sie werden der erste Generalsekretär sein, können da also ihre Spuren hinterlassen. Was soll der europäische Forschungsrat dann konkret leisten?
Winnacker: Der wird ganz konkret verschiedene Förderinstrumente sich überlegen. Wichtig ist ja der so genannte europäische Mehrwert. Wir müssen darüber nachdenken, was können wir machen, was die anderen nicht tun können, also die nationalen Organisationen, zum Beispiel die DFG, oder der Schweizer Nationalfonds, oder die englischen Councils. Und da ist als erstes Instrument die Nachwuchsförderung in den Blick geraten, also die Förderung von schon promovierten und auch schon als Postdoktoranten in der Welt gewesenen Wissenschaftlern, die dann handverlesen gefördert werden sollen: frühe Selbständigkeit, die kriegen ihre Stelle bezahlt, die kriegen eine kleine Arbeitsgruppe bezahlt, für fünf Jahre, und bis 400.000 Euro pro Jahr. Und da sollen etwa 250 gefunden werden.
Es sind wenig Rahmenbedingungen, einmal bis acht Jahre nach der Doktorarbeit, zwei Jahre nach der Promotion, also ein Sechs-Jahresfenster. Es kann jeder sich bewerben, der in Europa arbeiten will. Also es geht nicht nur von europäischen Nationen nach anderen europäischen Nationen, sondern es geht weltweit. Jeder der hier arbeiten will, ein Amerikaner, der hierher kommen will, natürlich auch Europäer, die in Amerika zum Beispiel sind, was ja eine ganze Menge sind, um sozusagen dem Brain-Drain entgegenzuwirken. Aber das ist nicht die einzige Aufgabe. Wie gesagt, es könnte auch ein Chinese oder ein Kanadier, der in Europa arbeiten will, sich bewerben. Wenn er dann gut genug ist, würde er auch gefördert.
Von Billerbeck: Wer entscheidet, wer gut genug ist?
Winnacker: Ja, dies wird nach Mechanismen entschieden, die die nationalen Organisationen schon lange entwickelt haben. Peer-Review, also eine Bewertung durch die Peers, durch die Kollegen und Kolleginnen in seinem Fach. Dazu werden so genannte Panels, Gutachtergruppen, entwickelt, 20 von denen in allen Fächern, also Lebenswissenschaften, Geisteswissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften. Und die entscheiden über diese Anträge.
Von Billerbeck: Sie haben ja nun bisher sehr für den Forschungsstandort Deutschland gekämpft. Gibt es denn überhaupt so etwas wie einen Forschungsstandort Europa?
Winnacker: Na ja, der ist immer noch sehr fragmentiert. Es gibt schon seit Anfang des Jahrhunderts das Stichwort vom europäischen Forschungsraum, das für viele vielleicht ganz unverständlich klingt, aber das schon klarmacht, dass man sich als Europäer auch zu fühlen hat in der Forschung. Dass man also Mobilität entwickeln muss, dass man gemeinsam forschen muss oder sollte, wenn es notwendig ist, wenn die kritische Masse notwendig ist. In Amerika forschen Sie als Amerikaner und es gibt keinen Unterschied zwischen Massachusetts und zwischen Harvard und Stanford in Kalifornien. Diese Selbstverständlichkeiten gibt es in Europa überhaupt nicht, das wissen wir alle und das müssen wir überwinden helfen. Wir müssen uns also auch als Europäer fühlen.
Von Billerbeck: Nehmen wir einmal ihr eigenes Forschungsgebiet, Herr Winnacker, die Genforschung. Da wird ja in der letzten Zeit immer wieder von deutschen Forschern beklagt, das deutsche Embryonenschutzgesetz bringe die deutsche Forschung ins Hintertreffen. Könnte denn eine europäische Institution da für eine Harmonisierung der Gesetzeslage sorgen?
Winnacker: Diese Institution kann beratend tätig sein, aber im Ergebnis muss dann natürlich das Europäische Parlament tätig werden, da muss der Ministerrat tätig werden. Und ich meine, ganz praktisch gesehen, junge Wissenschaftler, die in diesem Bewerbungsverfahren ausgezeichnet werden, gefördert werden, die dann die Wahl haben, wo sie in Europa arbeiten, werden natürlich, wenn sie mit embryonalen Stammzellen arbeiten müssen, in England arbeiten, da werden sie sicher nicht nach Deutschland kommen.
Das ist überhaupt das Problem, woran ich sicher viel zu arbeiten habe, dass die Antragssteller - es ist egal, wo sie herkommen, die wichtige Frage ist, wo sie hingehen. Wenn nachher in bestimmte Länder oder bestimmte Institutionen niemand geht, das wird auffallen und da wird man fragen, warum ist das so. Und dann muss man natürlich die Schuld eigentlich an sich selbst suchen.
Von Billerbeck: Aber ist das nicht ein natürlicher Prozess, dass da, wo es am besten ist, da gehen eben die Wissenschaftler hin und dann entsteht eine ziemlich starke Konkurrenz und bestimmte Regionen fallen dann eben auch hinten herunter?
Winnacker: Ja, das ist wunderbar, das sehe ich so wie Sie, das ist genau der Witz, aber das werden diese Regionen die hinten herunterfallen, nicht so furchtbar locker hinnehmen und nicht so toll finden. Und deswegen können solche - das ist wie bei uns mit der Exzellenzinitiative, die natürlich auch nicht überall gleichmäßig hingefallen ist, wie Sie wissen.
Von Billerbeck: Nein, die ist sehr süddeutsch gewesen.
Winnacker: Ja, süddeutsch und auch nur an ganz wenige Universitäten insgesamt. Da ist es dann wichtig, dass andere Förderinstrumente diesen Ausgleich schaffen. Also in Europa gibt es ja schon zum Beispiel diese Strukturfonds. Es gibt Strukturfondsgelder, die von einzelnen Ländern sehr klug in die Wissenschaftsinfrastruktur gelenkt werden.
Zum Beispiel Irland hat das toll gemacht. In Irland sind wirklich diese Fördermitteln, wie Irland in die EU gestoßen ist, Mitglied wurde, in die Forschungsinfrastruktur, in Hörsäle, in Laboratorien, in die Ausstattung von Universitäten gegangen. Andere Länder haben Brücken gebaut, die irgendwo auf der grünen Wiese stehen, die keiner braucht. Aber ich hörte zum Beispiel gerade, in Polen werden auch jetzt 100 Millionen Euro in die Nachwuchsförderung, Doktoranden und so etwas, gesteckt. Das finde ich sehr positiv.
Es gibt sicher schon Länder die ahnen, dass sie nicht so gut abschneiden werden und die sich daher jetzt schon bemühen, sich und ihre Forscherinnen und Forscher fit zu machen, auch für diesen Wettbewerb.
Es bleibt ja auch nicht nur bei diesem Wettbewerb. Es fängt an mit dieser Nachwuchsförderung, mit diesen so genannten Starting Grants, also Nachwuchswissenschaftlern, aber in einem zweiten Vorgang der vielleicht erst im Jahre 2008 beginnt, werden dann auch die schon etwas etablierten Wissenschaftler gefördert. Allerdings auch immer nur die besten. Und da werden wir ein kluges Programm entwickeln, so dass es wirklich Mehrwert erzeugt.
In Deutschland ist das ja alles ziemlich gut, muss man sagen, aber zum Beispiel in der Nachwuchsförderung, oder auch bei der Förderung von wirklich etablierten Wissenschaftlern, sind viele Länder, kleine Länder, Dänemark, Belgien, Holland, Schweden, schon sehr eingeschränkt in der Forschungsförderung. Weil sie ja nicht alle ihre Karten auf einen einzigen, oder auf zwei oder drei, oder zehn Wissenschaftler setzen können, sondern sie müssen alle ein bisschen fördern und dadurch ist Europa schon sehr gehemmt.
Von Billerbeck: Wird sich dann Europa gegenüber den USA im Westen und gegenüber China in Fernost als Hochburg der Forschung behaupten können?
Winnacker: Es ist jedenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. Der Europäische Research Council oder Forschungsrat wird auch nicht alle Probleme Europas lösen können, aber ich denke, wenn er es gut macht, und das werden wir ja versuchen, dann werden sowohl die nationalen Organisationen als auch die anderen Beine der EU-Förderung, wenn Sie so wollen, die werden auch sich fragen, können wir auch so gut werden und können wir das auch richtig machen und können wir besser werden. Und das wird schon ziemlich Bewegung erzeugen.
Von Billerbeck: Auf welche Forschungsrichtungen wird es denn dabei besonders ankommen?
Winnacker: Forschungsgebiete werden nicht vorgeschrieben. Alles ist offen für alles, Geisteswissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Erdwissenschaften, was immer man sich vorstellt, kann beantragt werden. Und wir haben für alle diese Themen auch Gutachtergruppen eingesetzt.
Von Billerbeck: 2007 soll ja das Jahr der Geisteswissenschaften werden in Deutschland. Welche Rolle sehen Sie denn für die Geisteswissenschaften in Europa? Eben ist ja das Wort zum ersten Mal gefallen.
Winnacker: Ja. Ich hoffe, dass da auch viele Geisteswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler dabei sind. Man kann das nicht befehlen, aber wir versuchen, das bekannt zu machen und auch Geisteswissenschaftler können mit solch einem kleinen Instrument letztlich - eigene Stelle, ein paar Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und so weiter - ja doch ein sehr schönes Programm erarbeiten und sich damit qualifizieren für eine Professur. Ich lade die also herzlich ein, sich auch zu bewerben. Ich hoffe, dass sie das tun.
Von Billerbeck: Brüssel ist ja auch immer so ein Synonym für einen Wust von Bürokratie und Antragsbergen. Besteht denn durch so einen Dachverband wie den Europäischen Forschungsrat nun die Gefahr, dass die Wissenschaft unter noch mehr Antragsformularen und Regularien erstickt?
Winnacker: Nein, überhaupt nicht. Wir versuchen ja genau das Gegenteil zu tun. Von der Bürokratie wird man nicht viel merken. Also wir versuchen wirklich, das so stromlinienförmig zu machen, wie es überhaupt irgendwie geht. Und unser Wunsch - und in den Vorbereitungsgesprächen war das auch ganz offensichtlich - ist, das wirklich lean, wie man so schön sagt, zu machen, also einfach zu machen und attraktiv für die Wissenschaft.
Von Billerbeck: Im Radiofeuilleton sprachen wir mit Ernst-Ludwig Winnacker, dem scheidenden Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der ab Januar als Generalsekretär des Europäischen Forschungsrats nach Brüssel wechselt. Ich danke Ihnen, Herr Winnacker.
Winnacker: Ja, herzlichen Dank.
Winnacker: Grüß Sie Gott.
Von Billerbeck: Herr Winnacker, in einem gerade veröffentlichten Buch da sagen Sie, hundert Gehirne und mehr in den Griff zu bekommen, und sei es nur für ein paar Minuten, das sei doch etwas. Wie viele Gehirne müssen Sie denn in Brüssel in den Griff bekommen?
Winnacker: Das ist eine gute Frage. Ja, das ist das große Thema, die EU und der Ministerrat und auch die Scientific Community sind wirklich wild entschlossen, aus dieser Institution eine Erfolgsgeschichte zu machen. Und zu dieser Erfolgsgeschichte gehört auch die Autonomie, die Selbständigkeit, die Unabhängigkeit von der Kommission und von der Politik in Europa. Es ist ja ein kleineres Instrument. 15 Prozent der Mittel, der europäischen Forschungsmittel immerhin, gehen da hinein. Ja, das wird meine Hauptaufgabe sein, dazu Mittel und Wege zu finden, diese Autonomie zu bewahren.
Von Billerbeck: Nun handelt sich das ja um eine Neugründung und Sie werden der erste Generalsekretär sein, können da also ihre Spuren hinterlassen. Was soll der europäische Forschungsrat dann konkret leisten?
Winnacker: Der wird ganz konkret verschiedene Förderinstrumente sich überlegen. Wichtig ist ja der so genannte europäische Mehrwert. Wir müssen darüber nachdenken, was können wir machen, was die anderen nicht tun können, also die nationalen Organisationen, zum Beispiel die DFG, oder der Schweizer Nationalfonds, oder die englischen Councils. Und da ist als erstes Instrument die Nachwuchsförderung in den Blick geraten, also die Förderung von schon promovierten und auch schon als Postdoktoranten in der Welt gewesenen Wissenschaftlern, die dann handverlesen gefördert werden sollen: frühe Selbständigkeit, die kriegen ihre Stelle bezahlt, die kriegen eine kleine Arbeitsgruppe bezahlt, für fünf Jahre, und bis 400.000 Euro pro Jahr. Und da sollen etwa 250 gefunden werden.
Es sind wenig Rahmenbedingungen, einmal bis acht Jahre nach der Doktorarbeit, zwei Jahre nach der Promotion, also ein Sechs-Jahresfenster. Es kann jeder sich bewerben, der in Europa arbeiten will. Also es geht nicht nur von europäischen Nationen nach anderen europäischen Nationen, sondern es geht weltweit. Jeder der hier arbeiten will, ein Amerikaner, der hierher kommen will, natürlich auch Europäer, die in Amerika zum Beispiel sind, was ja eine ganze Menge sind, um sozusagen dem Brain-Drain entgegenzuwirken. Aber das ist nicht die einzige Aufgabe. Wie gesagt, es könnte auch ein Chinese oder ein Kanadier, der in Europa arbeiten will, sich bewerben. Wenn er dann gut genug ist, würde er auch gefördert.
Von Billerbeck: Wer entscheidet, wer gut genug ist?
Winnacker: Ja, dies wird nach Mechanismen entschieden, die die nationalen Organisationen schon lange entwickelt haben. Peer-Review, also eine Bewertung durch die Peers, durch die Kollegen und Kolleginnen in seinem Fach. Dazu werden so genannte Panels, Gutachtergruppen, entwickelt, 20 von denen in allen Fächern, also Lebenswissenschaften, Geisteswissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften. Und die entscheiden über diese Anträge.
Von Billerbeck: Sie haben ja nun bisher sehr für den Forschungsstandort Deutschland gekämpft. Gibt es denn überhaupt so etwas wie einen Forschungsstandort Europa?
Winnacker: Na ja, der ist immer noch sehr fragmentiert. Es gibt schon seit Anfang des Jahrhunderts das Stichwort vom europäischen Forschungsraum, das für viele vielleicht ganz unverständlich klingt, aber das schon klarmacht, dass man sich als Europäer auch zu fühlen hat in der Forschung. Dass man also Mobilität entwickeln muss, dass man gemeinsam forschen muss oder sollte, wenn es notwendig ist, wenn die kritische Masse notwendig ist. In Amerika forschen Sie als Amerikaner und es gibt keinen Unterschied zwischen Massachusetts und zwischen Harvard und Stanford in Kalifornien. Diese Selbstverständlichkeiten gibt es in Europa überhaupt nicht, das wissen wir alle und das müssen wir überwinden helfen. Wir müssen uns also auch als Europäer fühlen.
Von Billerbeck: Nehmen wir einmal ihr eigenes Forschungsgebiet, Herr Winnacker, die Genforschung. Da wird ja in der letzten Zeit immer wieder von deutschen Forschern beklagt, das deutsche Embryonenschutzgesetz bringe die deutsche Forschung ins Hintertreffen. Könnte denn eine europäische Institution da für eine Harmonisierung der Gesetzeslage sorgen?
Winnacker: Diese Institution kann beratend tätig sein, aber im Ergebnis muss dann natürlich das Europäische Parlament tätig werden, da muss der Ministerrat tätig werden. Und ich meine, ganz praktisch gesehen, junge Wissenschaftler, die in diesem Bewerbungsverfahren ausgezeichnet werden, gefördert werden, die dann die Wahl haben, wo sie in Europa arbeiten, werden natürlich, wenn sie mit embryonalen Stammzellen arbeiten müssen, in England arbeiten, da werden sie sicher nicht nach Deutschland kommen.
Das ist überhaupt das Problem, woran ich sicher viel zu arbeiten habe, dass die Antragssteller - es ist egal, wo sie herkommen, die wichtige Frage ist, wo sie hingehen. Wenn nachher in bestimmte Länder oder bestimmte Institutionen niemand geht, das wird auffallen und da wird man fragen, warum ist das so. Und dann muss man natürlich die Schuld eigentlich an sich selbst suchen.
Von Billerbeck: Aber ist das nicht ein natürlicher Prozess, dass da, wo es am besten ist, da gehen eben die Wissenschaftler hin und dann entsteht eine ziemlich starke Konkurrenz und bestimmte Regionen fallen dann eben auch hinten herunter?
Winnacker: Ja, das ist wunderbar, das sehe ich so wie Sie, das ist genau der Witz, aber das werden diese Regionen die hinten herunterfallen, nicht so furchtbar locker hinnehmen und nicht so toll finden. Und deswegen können solche - das ist wie bei uns mit der Exzellenzinitiative, die natürlich auch nicht überall gleichmäßig hingefallen ist, wie Sie wissen.
Von Billerbeck: Nein, die ist sehr süddeutsch gewesen.
Winnacker: Ja, süddeutsch und auch nur an ganz wenige Universitäten insgesamt. Da ist es dann wichtig, dass andere Förderinstrumente diesen Ausgleich schaffen. Also in Europa gibt es ja schon zum Beispiel diese Strukturfonds. Es gibt Strukturfondsgelder, die von einzelnen Ländern sehr klug in die Wissenschaftsinfrastruktur gelenkt werden.
Zum Beispiel Irland hat das toll gemacht. In Irland sind wirklich diese Fördermitteln, wie Irland in die EU gestoßen ist, Mitglied wurde, in die Forschungsinfrastruktur, in Hörsäle, in Laboratorien, in die Ausstattung von Universitäten gegangen. Andere Länder haben Brücken gebaut, die irgendwo auf der grünen Wiese stehen, die keiner braucht. Aber ich hörte zum Beispiel gerade, in Polen werden auch jetzt 100 Millionen Euro in die Nachwuchsförderung, Doktoranden und so etwas, gesteckt. Das finde ich sehr positiv.
Es gibt sicher schon Länder die ahnen, dass sie nicht so gut abschneiden werden und die sich daher jetzt schon bemühen, sich und ihre Forscherinnen und Forscher fit zu machen, auch für diesen Wettbewerb.
Es bleibt ja auch nicht nur bei diesem Wettbewerb. Es fängt an mit dieser Nachwuchsförderung, mit diesen so genannten Starting Grants, also Nachwuchswissenschaftlern, aber in einem zweiten Vorgang der vielleicht erst im Jahre 2008 beginnt, werden dann auch die schon etwas etablierten Wissenschaftler gefördert. Allerdings auch immer nur die besten. Und da werden wir ein kluges Programm entwickeln, so dass es wirklich Mehrwert erzeugt.
In Deutschland ist das ja alles ziemlich gut, muss man sagen, aber zum Beispiel in der Nachwuchsförderung, oder auch bei der Förderung von wirklich etablierten Wissenschaftlern, sind viele Länder, kleine Länder, Dänemark, Belgien, Holland, Schweden, schon sehr eingeschränkt in der Forschungsförderung. Weil sie ja nicht alle ihre Karten auf einen einzigen, oder auf zwei oder drei, oder zehn Wissenschaftler setzen können, sondern sie müssen alle ein bisschen fördern und dadurch ist Europa schon sehr gehemmt.
Von Billerbeck: Wird sich dann Europa gegenüber den USA im Westen und gegenüber China in Fernost als Hochburg der Forschung behaupten können?
Winnacker: Es ist jedenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. Der Europäische Research Council oder Forschungsrat wird auch nicht alle Probleme Europas lösen können, aber ich denke, wenn er es gut macht, und das werden wir ja versuchen, dann werden sowohl die nationalen Organisationen als auch die anderen Beine der EU-Förderung, wenn Sie so wollen, die werden auch sich fragen, können wir auch so gut werden und können wir das auch richtig machen und können wir besser werden. Und das wird schon ziemlich Bewegung erzeugen.
Von Billerbeck: Auf welche Forschungsrichtungen wird es denn dabei besonders ankommen?
Winnacker: Forschungsgebiete werden nicht vorgeschrieben. Alles ist offen für alles, Geisteswissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Erdwissenschaften, was immer man sich vorstellt, kann beantragt werden. Und wir haben für alle diese Themen auch Gutachtergruppen eingesetzt.
Von Billerbeck: 2007 soll ja das Jahr der Geisteswissenschaften werden in Deutschland. Welche Rolle sehen Sie denn für die Geisteswissenschaften in Europa? Eben ist ja das Wort zum ersten Mal gefallen.
Winnacker: Ja. Ich hoffe, dass da auch viele Geisteswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler dabei sind. Man kann das nicht befehlen, aber wir versuchen, das bekannt zu machen und auch Geisteswissenschaftler können mit solch einem kleinen Instrument letztlich - eigene Stelle, ein paar Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und so weiter - ja doch ein sehr schönes Programm erarbeiten und sich damit qualifizieren für eine Professur. Ich lade die also herzlich ein, sich auch zu bewerben. Ich hoffe, dass sie das tun.
Von Billerbeck: Brüssel ist ja auch immer so ein Synonym für einen Wust von Bürokratie und Antragsbergen. Besteht denn durch so einen Dachverband wie den Europäischen Forschungsrat nun die Gefahr, dass die Wissenschaft unter noch mehr Antragsformularen und Regularien erstickt?
Winnacker: Nein, überhaupt nicht. Wir versuchen ja genau das Gegenteil zu tun. Von der Bürokratie wird man nicht viel merken. Also wir versuchen wirklich, das so stromlinienförmig zu machen, wie es überhaupt irgendwie geht. Und unser Wunsch - und in den Vorbereitungsgesprächen war das auch ganz offensichtlich - ist, das wirklich lean, wie man so schön sagt, zu machen, also einfach zu machen und attraktiv für die Wissenschaft.
Von Billerbeck: Im Radiofeuilleton sprachen wir mit Ernst-Ludwig Winnacker, dem scheidenden Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der ab Januar als Generalsekretär des Europäischen Forschungsrats nach Brüssel wechselt. Ich danke Ihnen, Herr Winnacker.
Winnacker: Ja, herzlichen Dank.