Neuer deutscher Punk

"Früher-war-alles-besser gilt nicht"

Die Punkband "Messer" aus Münster
Unangepasst, literarisch, befremdlich: Die Punkband "Messer" aus Münster. © Katja Ruge
Von Andreas Dewald · 16.08.2016
Bands mit Namen wie "Karies", "Die Nerven" oder "Messer" bilden derzeit eine neue Szene: Sie stehen für die Rückbesinnung auf den Post-Punk der 80er. Wut und drastische Kritik statt Wohlfühlpop. Die Band "Messer" aus Münster hat nun ihr drittes Album "Jalousie" veröffentlicht.
"Wir hatten von Anfang an den Anspruch, vielleicht auch über die Grenzen von Münster hinaus Musik zu machen. Das heißt, wir haben uns auf eine Art schon gegen den Dilettantismus entschieden, ohne dabei Mucker zu werden."

Die Band Messer um den Sänger Hendrik Otremba stammt aus Münster, dieser schönen, alten Universitätsstadt in Nordrhein-Westfalen, 300.000 Einwohner, beschauliche Kulisse für Fernsehkrimis wie Wilsberg und den Tatort. Hier kommen die H-Blockx und die Donots her, Götz Alsmann und Ute Lemper, Unterhaltungskünstler, aber keine, die in ihrer Musik so viel Wut und Unzufriedenheit mit der Welt zum Ausdruck bringen wie Messer.

Wut und Unzufriedenheit mit der Welt

Dabei knüpfte die junge Band auf ihren ersten beiden Alben an den Post-Punk der frühen 1980er-Jahre an:
"Für uns haben auch eher so Bands wie Sonic Youth oder The Fall eine Rolle gespielt. Ich persönlich bin ein sehr großer Fan von Throbbing Gristle und Psychic TV und Gruppen aus diesem Kontext. Da geht es mir aber auch mehr um einen Mut zu einer bestimmten Drastik und um sozusagen den Wunsch, Dinge zu zeigen, die man sonst in einem Gespräch vielleicht gar nicht darstellen würde. Also Kunst und Musik auch als Form von Kommunikation zu begreifen, die einem eben zu einer Sprache verhelfen.

"Jeder Moment hat seine Krisen"

Zwar kann man immer noch typische Elemente des Post-Punks hören, aber auch Verweise auf die Krautrock-Magie von Can, die schroffe Elektronik von DAF, die abenteuerliche Klang-Avantgarde der Einstürzenden Neubauten oder filmreife Noir-Atmosphären. Und auch in seinen aufwühlend poetischen Texten ist Hendrik Otremba noch vielsagender geworden:
"Ich glaube, jeder Moment hat seine Dramen, jeder Moment hat seine Krisen, jeder Moment hat seine schrecklichen politischen Bedingungen. Das heißt, dieses Früher-war-alles-besser oder so, das gilt nicht. Für mein Selbstverständnis als Künstler und Musiker der Gruppe Messer ist es auch auf jeden Fall so, dass ich mich getriebener und angestoßener denn je fühle, mich gerade deshalb auch einer Kunst zu verschreiben, die zumindest in einem ausgedrückten Gefühl da eine Opposition bietet."

Song über die Flüchtlingskrise

Der Umgang mit der Flüchtlingskrise hierzulande hat den politisch gemeinten Song "Schwarzer Qualm" auf dem neuen Messer-Album "Jalousie" hervorgebracht.
"Für den Text dieses Stückes habe ich mich wirklich hingesetzt und habe überlegt, wie kann ich mich in meiner Kunstsprache dazu verhalten, was gerade in Europa, um Europa herum geschieht? Das Stichwort sind Menschen, die ertrinken. Wie verhalte ich mich eigentlich als Künstler dazu?"

"Ich empfinde Glück, so schrecklich die Welt ist"

Und auch ein Fremdeln mit der deutschen, der nationalen Identität, gerade im Angesicht des katastrophalen Zustands der Welt. So ist der Sound von Messer auch als Gegenentwurf zum Wohlfühlpop von Musikern wie Cro, Teesy oder Gregor Meyle gemeint, die in diesen Zeiten eher auf good vibrations setzen. Aber da gibt es ja nicht nur die lauten, aggressiven Songs, sondern auch die unvermutet sanften Liebeslieder auf "Jalousie", in denen Hendrik Otremba und Messer nicht ganz so schwarz in die Zukunft sehen.

"Ich habe früher immer gedacht, dass doch die Herausforderung eigentlich ist, über das Dämonische und Abgründige und Kaputte zu texten. Und dass doch irgendwie über Glück und positive Gefühle, was soll man da viel sagen, außer dass das eben so ist. Das war immer so meine Perspektive und zur neuen Platte habe ich irgendwie bemerkt, dass die größere Herausforderung eigentlich ist, eine Form für Glück und positive Gefühle zu finden, aber eben nicht dabei in ein verkitschtes Liebeslied zu gehen, sondern zu sagen: Ich empfinde Glück in der Welt, so schrecklich, wie sie ist."
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