Neuer deutscher Nationalstolz

Falsches Selbstbewusstsein führt zu Pegida

Pegida-Demonstration am 12. Januar in Dresden
Pegida-Demonstration am 12. Januar in Dresden © picture alliance / dpa / Foto: Arno Burgi
Von Klaus Hödl · 19.01.2015
Die Proteste unter dem Namen Pegida lösen Unbehagen aus und es scheint, als verschafften sich dadurch Frust und Trotz der Menschen ein Ventil. Das Problem sei nur, dass ein solches Ventil auf dem Weg über Vorurteile nach Sündenböcken sucht, sagt der Historiker Klaus Hödl.
Deutschland mag auf einen auswärtigen Beobachter verstörend, gleichfalls aber auch überraschend wirken. Verstörend deswegen, weil es mit Pegida die hässliche, xenophobe Fratze des Nationalismus zeigt. Überraschend wiederum, weil sich in diese Feindseligkeit wenig Antisemitismus mischt.
Lange Zeit konnte man sich als Nichtdeutscher über das mangelhafte bis fehlende Nationalbewusstsein der jüngeren, vornehmlich westdeutschen Bevölkerung wundern. Traf man diese Leute als Urlauber, schämten sie sich beinahe, sich als Deutsche auszuweisen. Das war eine nicht ganz unsympathische Haltung. Sie erschien gleichwohl nicht als normal.
Zu wenig Emotion, zu wenig Nationalgefühl macht ebenso skeptisch wie ein übertriebenes. Deshalb wurde es auch im Ausland begrüßt, als der nationale Stolz der Deutschen wieder erstarkte, sich so gesehen normalisierte – erst ausgelöst durch die friedliche Wiedervereinigung, später immer wieder bestätigt bei europäischen und internationalen Sportwettbewerben.
Das Schwenken der deutschen Flagge wurde selbstverständlich. So eine Begeisterung für die eigene Mannschaft, die eigene Sache ist schließlich auch in anderen Gesellschaften gang und gäbe. Und sie wird erst dann als negativ empfunden, wenn ihr der sportliche Geist und die Fairness abhandenkommt, wenn sie gar aggressiv und auftrumpfend wirkt.
Spätestens seit Ausbruch der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, die Deutschland mit Bravour gemeistert zu haben scheint, änderte sich jedoch die Einstellung zu den Artikulationen deutschen Selbstbewusstseins nachhaltig. Was man dem Land übel nahm, das war sein lehrmeisterliches Auftreten gegenüber Staaten mit ökonomischen Problemen. Und das, obwohl seine wirtschaftliche Performance nicht nur auf eigene Leistungen baut, sondern auch auf fragwürdig errungenen Wettbewerbsvorteilen beruht.
Kaum kritische Stimmen in der deutschen Presse
In der deutschen Presse werden diese kritischen Stimmen kaum gewürdigt, vielmehr als Irrmeinung abgetan – von Journalisten gemeinsam mit Unternehmern, Wissenschaftlern und Politiker in einem nationalen Schulterschluss. Gleichzeitig stimmen selbst linksliberale Zeitungen und Zeitschriften ein Hohelied auf die sogenannte deutsche Handwerkskunst an, auf deutsche Organisation oder auf deutsche Präzisionsarbeit, ohne zu erklären, was in diesem Kontext "deutsch" zu bedeuten hat.
Es erstaunt, mit welcher Leichtigkeit selbst die sogenannte Qualitätspresse in stereotypenhafte, essentialistische Zuschreibungen verfällt und mit nebulosen Begriffen irrlichtert. Es kann vor diesem Hintergrund wohl behauptet werden, dass sich ein gewisses nationalistisches Denken unter Intellektuellen und Meinungsträgern breit gemacht hat.
Sie haben ein Klima nationaler Selbstfindung geschaffen, in dem die Pegida-Bewegung der "Angstbürger" gedeiht. Andere Länder erleben – aus ähnlichen Gründen – einen dramatisch zunehmenden Antisemitismus. In Frankreich hat es Verbrechen an Juden gegeben, die auf blankem Hass basieren, in Deutschland demgegenüber eine Mordserie an Migranten, die aufzuklären und zu stoppen, Polizei und Verfassungsschutz nicht rechtzeitig gelang.
Vorurteilsbehaftetes Denken bezieht sich nie ausschließlich auf eine bestimmte Gruppe. Einmal vorhanden, sind die vermeintlichen Feinde, auf die der eigene Ärger projiziert wird, austauschbar. Extremisten müssen ihre kriminelle Energie, die sogenannte Mehrheitsgesellschaft jedoch das nationalistische Denken in den Griff bekommen.

Klaus Hödl
ist Historiker am Centrum für Jüdische Studien an der Karl-Franzens-Universität Graz, dessen Gründungsdirektor er von 2001 bis 2007 war, und Autor von sechs Monographien über osteuropäische Juden, Bilder des jüdischen Körpers und jüdische Geschichtsschreibung, zuletzt "Kultur und Gedächtnis", September 2012, Verlag Ferdinand Schöningh.
Klaus Hödl
Klaus Hödl, Historiker © privat
Mehr zum Thema