Neuer Blick auf alte Philosophie

Yu Dan im Gespräch mit Herbert A. Gornik · 17.10.2009
In "Konfuzius im Herzen" beschäftigt sich Yu Dan mit den Weisheiten des bekannten chinesischen Wanderpredigers. Seine politische Philosophie hält sie jedoch teilweise für veraltet: "In meinem Buch konzentriere ich mich auf die Dinge, die für die Menschen heute am meisten Nutzen bringen."
Herbert A. Gornik: Das Gastland dieser Buchmesse ist China. Und eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen haben wir in unser Studio eingeladen. Ich habe ein Gespräch mit ihr vorher aufgezeichnet. Yu Dan ist Professorin, Pekinger Professorin, für Medien und Kunst. In China gilt sie als akademische Superfrau. Zehn Millionen Mal ist ihr Buch, über das wir geredet haben, in China verkauft worden, und die Fernsehserie war außerordentlich erfolgreich: "Konfuzius im Herzen. Alte Weisheit für die moderne Welt". Ich habe sie zunächst mal gefragt: Warum sollen wir uns denn bitte mit einem 2500 Jahre alten Philosophen beschäftigen, der zwar 2000 Jahre lang die chinesische Staatslehre beherrscht hat, aber doch knochenkonservativ war und zu Lebzeiten auch ziemlich erfolglos?

Yu Dan: Also vielen Dank, ich freue mich, überhaupt heute die Gelegenheit zu haben, hier nach Deutschland gekommen zu sein und über China und Konfuzius sprechen zu können. Heute ein solch altes Buch wie die Gespräche des Konfuzius zu lesen, kann uns dennoch sehr viel Ruhe im Inneren bringen und viele unserer heutigen alltäglichen Sorgen etwas leichter erträglich machen. Also Konfuzius hat eine gewisse Lebenshaltung propagiert. Man sollte sich nicht über die Welt beschweren, sondern lieber über sich selbst reflektieren und versuchen, an sich selbst zu arbeiten, um im allgemeinen menschlichen Miteinander positiv miteinander umzugehen und eben von diesem Gesichtspunkt aus mit Problemen umzugehen. Andere Menschen versuchen zu verstehen und auch die Probleme anderer zu verstehen. So kann man nach Konfuzius ein Edler werden, also jemand, der einen sehr hohen moralischen Standard hat, der ehrlich ist zu sich selbst und anderen gegenüber tolerant und freundlich auftritt.

Gornik: Er war ein erfolgloser Wanderphilosoph eigentlich, aber er war ein interessanter Denker, er hat nämlich die goldene Regel schon im Programm gehabt: Was du selbst nicht willst, dass man dir tue, das füge auch keinem anderem zu. Er hat die Menschlichkeit zur zentralen Tugend erhoben in einer Gesellschaft, in der die Menschen mit den Toten und den Geistern noch aktiv lebten, da hat er die Menschen gewissermaßen auf die eigenen Füße stellen wollen. Aber dieser Konfuzius war doch sehr konventionell. Ich zitiere ihn einmal: "Der Herrscher ist Herrscher, der Untertan Untertan. Kinder haben ihren Eltern zu dienen, Frauen ihren Männern, Jüngeren den Älteren." Wenn es nach Konfuzius ginge, dann gäbe es Sie als Professorin heute gar nicht, denn Frauen, akademische Frauen, so selbstbewusst auf eigenen Füßen stehend, die waren im Programm des Konfuzius doch gar nicht vorgesehen, oder?

Yu Dan: Ja, das ist richtig, aber Konfuzius ist nun mal schon 2500 Jahre verstorben. Das heißt, in seinem ganzen System, was er damals an Lehren hatte, gibt es natürlich einen Teil, der durchaus veraltet ist. Und auch in einer so langen Geschichte wie der chinesischen Geschichte, da gibt es natürlich auch Perioden, wo Teile dieser Lehre dann kritisiert werden und verworfen werden. Im Prinzip kann man Konfuzius’ Lehre in zwei Teile teilen: Einmal geht es dabei um die Staatslehre, wie man also das politische System regeln soll, und dann eben ums Persönliche, wie man selbst an sich arbeitet und seine Persönlichkeit entwickelt. Und was natürlich diesen ganzen feudalistischen Teil angeht, also diese ganzen Hierarchien, der Herrscher, der Vater, die Kinder und so weiter, das kann man wirklich sagen, das ist nicht mehr ganz zeitgemäß. Und in meinem Buch behandele ich diesen Teil auch nicht, denn die Menschen heute, die sind zu beschäftigt, die haben gar nicht die Zeit, solche veralteten Dinge noch zu lesen. In meinem Buch konzentriere ich mich auf die Dinge, die für die Menschen heute am meisten Nutzen bringen, also die Sachen, wie man an sich arbeitet, wie man mit anderen umgeht, wie man das Leben an sich respektiert, diese zentralen Gedanken.

Gornik: Diese persönlichen Lehren des Konfuzius, sagen Sie, sind für uns heute sehr, sehr wichtig, und in Ihrem Buch zeigen Sie Konfuzius von einer sehr leicht konsumierbaren Weise. Ihr Buch erweckt bei mir – und ich glaube auch bei vielen Lesern hierzulande – einen kleinen Nickeffekt. Man nickt immer mit dem Kopf und denkt, ja, das sind Lebensweisheiten, die man eigentlich gut beherrschen kann, das ist eigentlich kein Problem. Sie zitieren auch Leitsätze des großen Meisters in einer sehr verträglichen, verständlichen Form – der Edle steht allen Dingen der Welt ohne Voreingenommenheit gegenüber, allein das Rechte ist es, dem er folgt. Das sind, wie wir hier in Deutschland sagen, Sätze für das Poesiealbum. Ist das nicht ein "Konfuzius light", war er nicht etwas schwieriger?

Yu Dan: Also ich denke, was Konfuzius gesagt hat, die Ideale, wie man an sich selbst arbeitet, und diesen Zustand, den man erreichen kann, da geht es um einen Wachstumsprozess, um einen Entwicklungsprozess. Natürlich ist es nicht unbedingt einfach, das wirklich auch komplett zu verwirklichen, aber es geht ja halt darum, immer wieder zu lernen, schon als Jugendlicher zu lernen, mit 30 dann selbstständig zu werden – das ist dieser Prozess, um den es ihm geht. Mit 60 dann ruhig einem Menschen zuhören zu können, ohne selbst dann große, heftige Reaktionen darauf zu haben, weil man einfach versteht die Situationen jedes Menschen und die Probleme, die sie jeweils haben. Mit 70 dann, das ist wohl das höchste Ideal, was er genannt hat, also wirklich gemäß seinen eigenen Herzenswünschen leben kann, diese ausleben kann, und auf der anderen Seite aber nicht andere Menschen verletzen, sich dennoch also im Gefüge der Gesellschaft und in den Regeln der Gesellschaft bewegt.

Gornik: Zu den eigenen Lebenswünschen gehört für viele Menschen auf der Welt, auch in China, die Meinungsfreiheit. Man möchte seine Meinung frei sagen. Das wird hier auf der Buchmesse, gerade weil China das Gastland ist, sehr diskutiert, denn die Meinungsfreiheit sehen viele in China verletzt. Viele Schriftsteller, die gerne kommen würden, aber eine kritische Haltung ihrer Gesellschaft gegenüber haben, werden nicht eingeladen beziehungsweise dürfen nicht kommen, zumindest nicht offiziell. Kann man mit Konfuzius ein Plädoyer für die Meinungsfreiheit halten?

Yu Dan: Ja, natürlich. Konfuzius hat einmal gesagt: Harmonie, jedoch mit Bewahrung der Unterschiede. Das heißt, es gibt Unterschiede immer zwischen den Menschen, zwischen ihren Hintergründen, zwischen ihren Standpunkten und zwischen ihren Meinungen, aber man sollte und man es kann erreichen, dass man harmonisch miteinander umgeht. Das heißt, die beste oder ideellste Situation in einer Kultur ist nicht, dass alle derselben Meinung sind, sondern dass jeder seine Meinung sagen kann, gleichzeitig aber auf die gesellschaftliche Ordnung achtet und gemeinsam sich für eine positive Atmosphäre einsetzt. Die chinesische Regierung hat ja jetzt die Richtung einer harmonischen Gesellschaft propagiert, und das hat im Prinzip mit dieser Tradition aus dem Konfuzianismus zu tun.

Gornik: Wir sprechen mit Yu Dan, der chinesischen Professorin für Kultur und Medien, über ihr Buch "Konfuzius im Herzen". Yu Dan, den harmonischen Umgang kann ich bei der Staatsführung allerdings nicht feststellen, wenn es zum Beispiel um die Studenten auf dem Platz des himmlischen Friedens gegangen ist oder wenn es um den Umgang mit Andersdenkenden geht. Müssten Sie Ihr Buch nicht ganz vielen Politikern noch schenken, damit sie es wirklich lesen und diese Grundsätze beherzigen?

Yu Dan: Ich glaube, also China ist ein Land mit einer wirklich langen und alten Geschichte. Ich meine, dass die Politik in China sich eben schrittweise auch öffnet und eben international den Anschluss findet. Wir wissen alle, während der Kulturrevolution, da wurde Konfuzius komplett abgelehnt und kritisiert. Aber nach 40 Jahren, heute, da beschäftigen sich die Leute wieder mit diesen alten Traditionen, das ist ganz verbreitet dort, dass die Menschen wieder auf diese Sachen zurückgreifen. Und ich denke, dass mein Buch in einer so großen Menge gelesen wird, das zeigt auch, dass die Regierung durchaus hinter dem steht.

Gornik: Darf ich meine Frage noch einmal wiederholen und präzisieren, vielleicht habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt: War die Niederschlagung von Studentenprotesten ganz im Sinne des Konfuzius, weil er ja den Gewaltherrscher durchaus beschrieben hat und gelobt hat, oder war sie nicht im Sinne des Konfuzius? Denn Sie vertreten ja eine Haltung der Harmonie, und dem widerspricht ja die gewaltsame Niederschlagung von Protesten.

Yu Dan: Zum einen versteht der Westen nicht immer ganz, wie die Regierung in China sich historisch verhält und wie sie zu manchen Dingen steht. Auch heute noch, vor allen Dingen heute noch. Ich denke, die Geschichte, die geht immer weiter. Und jede Regierung arbeitet daran und passt sich an. Das ist dasselbe wie mit Deutschland. Deutschland wird weltweit respektiert, obwohl es das nationalsozialistische Regime gab. Also den politischen Teil von Konfuzius, mit dem beschäftige ich mich nicht, der ist veraltet. Ich beschäftige mich mit dem Teil, wo es um das Individuum und um die persönliche Entwicklung geht.

Gornik: Und genau deswegen ist dieses Buch außerordentlich lesenswert. Yu Dan, "Konfuzius im Herzen. Alte Weisheit für die moderne Welt", übersetzt von Johannes Fiederling. Ein Buch von Yu Dan mit 240 Seiten, 16,95 Euro, im Verlag Droemer-Knaur erschienen. Yu Dan war zu Gast, herzlichen Dank!