Neuer Anfang aus dem Nichts

Von Ute May |
Die Künstlergruppe ZERO war in den 50er und 60er Jahren eine der bedeutendsten Avantgardebewegungen. Sie experimentierte mit Lichtbildern, seriellen Bildordnungen und diversen vorgefundenen Industrieteilen. Ihren Anfang nahm ZERO in Düsseldorf, wo jetzt eine Ausstellung 250 Arbeiten von 49 ZERO-Künstlern zeigt.
Der Wind zerrte schon Stunden vor der Eröffnung bedrohlich an den Plastik-Würsten, die Otto Piene zwischen die Museumsbauten aufgehängt hat. Und Petrus schickte kräftigen Regen: vorbei mit dem geplanten Feuerwerk, noch ehe es begonnen hatte.

Regen auch in einer Ausstellungshallen: Lichtregen nennt Günther Uecker seine Installation aus mannshohen Aluminium-Rohren , die von der Decke hängen und weiches Licht verströmen. Gleich nebenan bewegt ein Motor unermüdlich eine Schrottskulptur von Jean Tinguely.

Spiegel und Maschinenteile, Glas und Licht, Stoff, gestapelte Bierkisten und lackierte Autoreifen wurden bei ZERO gefragte Grundlage für Kunst-Objekte. Tausende von Nägeln sind in rhythmischen Strukturen auf Holzplatten gehämmert und so zu Bildern geworden. Weiß ist die vorherrschende Farbe. Jedes Material, jede Idee war nützlich, um den Aufbruch zu neuen künstlerischen Ufern zu wagen, erinnert sich Heinz Mack an den Beginn von ZERO:

"Das war wirklich ein Gang in die Wüste. Dort gibt es dann keine Wegweiser ... Das Abenteuer, aus dem Nichts heraus einen neuen Anfang zu machen und alles andere, was man vorher gemacht hat, zu vergessen oder, wie ich, zum Teil zu zerstören, um mich davon zu befreien."

Seit Heinz Mack Mitte der 1950er Jahre in Düsseldorf mit Otto Piene und Günther Uecker ZERO gegründet hat, gab es eine Vielzahl von Ausstellungen über diese Nachkriegs-Avantgarde, die alles in Frage stellte, was bis dahin in der Kunstwelt Bedeutung hatte. Die Ausstellung, die nun am ZERO-Geburtsort gezeigt wird, fällt völlig aus dem Rahmen ihrer Vorgänger, befindet Kuratorin Heike van den Valentin:

"Wir haben uns nicht nur in Sammlungsbeständen, Museen und von Privatleihgebern die Werke zusammengesucht, sondern aus ZERO-Zeiten, Ende der 50er Jahre, historische environments wieder vereint. Natürlich sind nicht mehr alle vorhanden. Die verschwanden dann nach der Ausstellung, im schlechtesten Fall wurden sie entsorgt."

Ein solches environment ist der so genannte Lichtraum, den Mack, Piene und Uecker 1964 als gemeinsame Arbeit bauten. Seit langem gehört die Arbeit dem Museum KunstPalast und ist das Herzstück der ZERO-Schau. Dieser Vorläufer der heutigen Installations-Kunst
"... war der erste Auftritt von Macke, Piene und Uecker auf der Documenta 3. Sie hatten einen Raum im Dachgeschoss und haben da Lichtmühlen und kinetische Objekte installiert, die den Zusammenklang eines Lichtraumes entwickelt haben. Das hatte damals sehr viel Aufmerksamkeit."

Das ist bis heute so geblieben, denn ZERO gilt nach wie vor als selbstbewusste und konsequente Ausweitung schöpferischer Prozesse. Lichteffekte werden nicht wie bei den alten Meistern gemalt; ZERO-Künstler produzieren sie tatsächlich. Auch Landschaften werden nicht gemalt oder gezeichnet, erklärte Jean Hubert Martin, Direktor des Düsseldorfer Museums KunstPalast, bei der Eröffnung:

"Sondern aus den Falten der Leinwand geformt. ZERO stellt nicht dar, ZERO ist. Erde und Sand, Luft und Licht, Wasser und Tropfen, Feuer und Rauch - das Schöne ist das Wesentliche, das Einfache."

Nicht alles, was in den 50ern aus Experimentierlust und Technik-Begeisterung entstand und damals hauptsächlich in Kunstgalerien und privaten Ausstellungen statt in öffentlichen Museen gezeigt wurde, war so ohne weiteres für die Ausstellungsmacher zugänglich: Da mussten alte Kataloge und Werkverzeichnisse gewälzt, Archive durchforstet und manches auch rekonstruiert werden, berichtet Heike van den Valentin:

"Das ist das spannende an dieser Ausstellung, dass man nicht ausschließlich das bekannte und in anderen Ausstellungen Gesehene wieder findet, sondern Werke vereint, die über die Jahrzehnte nicht mehr zu sehen waren."

ZERO zeigt in Düsseldorf 250 Arbeiten von 49 Künstlerinnen und Künstlern, unter ihnen Leitfiguren wie Yves Klein, Lucio Fontana, Daniel Spoerri oder Herman de Vries. Es blinkt und kracht, manches steht ruhig, anderes dreht sich mit lautem Geräusch - nichts für zarte Gemüter

Es sind nicht nur europäische Künstlerinnen und Künstler, die den Aufbruch nach dem II. Weltkrieg in ihrer Kunst umsetzten; auch Arbeiten von zehn japanischen Künstlern sind zu sehen, denn ZERO verstand sich als offenes Netzwerk. Die japanische GUTAI-Gruppe schloss sich eng an ZERO und die holländische NUL-Bewegung um Henk Peeters an.

"… Das ist uns ganz wichtig für die Ausstellung, um zu zeigen, dass die Erfahrungen des II. Weltkriegs und die darauf folgenden Jahre zu Parallelen in den Avantgarde-Bewegungen geführt haben."