Neuentdeckungen in alter Musik

Von Bernhard Doppler |
Antonio Vivaldi ist fast ausschließlich als Komponist für Concerto grossi bekannt, weniger als Verfasser von Opern. Beim Barockfestival "Winter in Schwetzingen" kann man diese unbekannte Seite des Komponisten kennenlernen sowie weitere ungeahnte Schätze der Barockmusik entdecken.
Winter in Schwetzingen. Im Rokokotheater wird eine Barockoper gegeben: Antonio Vivaldis "Tito Manlio", ein Stoff aus der altrömischen Geschichte, ein Vater-Sohn Konflikt von altrömischer, ja preußischer Strenge. Der Vater Titus sperrt den Sohn Titus Manlius in den Kerker, weil dieser einem militärischen Befehl nicht gehorchte, auch wenn der väterliche Befehl widersinnig war. Komponiert für den Hof zu Mantua, für eine Hochzeit des Statthalters, des Markgrafen Philipp von Hessen-Darmstadt. Diese Hochzeit kam dann doch nicht zu Stande, aber die Aufführung war 1719 in Mantua ein sensationeller Erfolg.

Heute ist Antonio Vivaldi fast ausschließlich als Komponist von Concerto grossi, etwa der "Vier Jahreszeiten" bekannt, kaum als Opernkomponist. Nach "Montezuma" und "Olympiade" ist "Tito Manlio" jedoch schon die dritte Oper Vivaldis, die vom Heidelberger Theater im Rahmen von "Winter in Schwetzingen" ausgegraben wurde. Der Heidelberger Operndirektor Bernd Feuchtner zu diesem Festival:

"Wir haben uns gedacht, dieses wunderschöne Theater sollte im Winter nicht leer stehen, und die Idee war dann, wenn man schon hier in Schwetzingen ist, also sozusagen raus aus dem Theater, dass man dann noch was darum herum gruppiert, also den Zuschauern die Zeit lebendig macht. Die Barockmusik wird ja eigentlich immer populärer. Früher war das was für Eingeweihte, für Spezialisten, für Leute, die einen besonderen Spleen hatten, heute ist es so, dass die Leute zur Barockoper strömen, weil sie da immer noch was Neues entdecken können."

In der Barockoper geht es kaum um Einfühlen und Mitleiden mit den Figuren, sondern um ein Bewerten von Affekten und Gefühlen, zumal noch eine komische Dienerfigur hin und wieder das Geschehen reflektiert. Feind und Freund, Latiner und Römer, Vater und Sohn, Bruder und Schwester, Geliebter und Geliebte sind in wechselnden Loyalitäten verstrickt.

Regisseur Hendrik Müller bildet keine realistische Szene aus dem alten Rom nach, die Figuren erscheinen in stilisierten modernen Kostümen, hantieren mit Zigarette oder Maschinengewehr, die Bühne von Claudia Doderer ist eine hellblaue Wand, in der sich wie bei Adventskalendern immer wieder schmale Fenster und Türen für die Figuren öffnen.

Modernes Regietheater und das rhetorische Interesse des Barocktheater lassen sich gut vereinen. Aber überfordert das Ensemble eines Stadttheaters nicht die Barockoper, braucht es musikalisch nicht ein Team von Spezialisten für Alte Musik? Bernd Feuchtner sieht das anders:

"Wir sind natürlich ein Stadttheater. Wenn man ein junges Ensemble hat, dann sind das Sänger, die sich ja noch ausprobieren. Das sind Sänger, die für Mozart hauptsächlich engagiert werden. Wir haben gedacht, Vivaldi kann man jetzt machen, weil die jungen Sänger so gut ausgebildet sind. Vivaldi war Instrumentalist, er war Geiger, er hat die Stimmen sehr instrumental geführt. Deshalb gab es früher keine Sänger dafür. So jemand wie Marilyn Horn, die konnte das. Die hat ja schon vor 30 Jahren eine Aufnahme von 'Orlando furioso' gemacht. Die ist immer noch toll - obwohl von der Spielweise völlig 'veraltet' in Anführungszeichen. Aber sie ist authentisch. Weil es Marilyn Horn ist und die damalige Aufführung, die pulsiert und die voller Leben ist. Aber heute gibt es viel mehr Sänger, die so gut ausgebildet sind, dass sie diese halsbrecherischen Koloraturen singen können, die wirklich ganz verteufelt schwer sind und die ganz furchtbar klingen, wenn sie nicht gut gesungen werden."

Zwar zieht sich die Aufführung in Schwetzingen ein wenig, und auch bei "Tito Manlio" fällt einem das Bonmot von Igor Strawinsky ein, Vivaldi habe nur ein Konzert komponiert, aber das 600 Mal - so sehr scheint auch die Oper mit ihrer Jagdmusik und den vielen Bläsern von der Rhythmik der Concerti grossi bestimmt. Aber immer wieder lassen Sängerinnen und Sänger, wie zum Beispiel die Hosenrolle des latinischen Ritters Lucius, Jana Kurucova in ihrer Stimmakrobatik erstaunen. Doch auf Augenhöhe mit den Sängern bei Vivaldi die Instrumentalisten unter Michael Form.

"Sie können nicht in ein Theater wie das Rokoko-Theater von Schwetzingen gehen, und dann mit modernen Instrumenten auf modern hingeschluderte Weise Barock machen. Das heißt: Wir haben uns einen jungen Dirigenten gesucht, der ehrgeizig genug ist, das aufzubauen mit dem Orchester. Das Orchester hat jetzt jedes Jahr seit drei Jahren einen Workshop gekriegt mit einem Spezialisten, einem Barockspezialisten, der den Gebrauch der Bögen, die Phrasierung und so weiter ausprobiert hat und ihnen das alles erklärt hat, so dass eine Grundlage da war."

Bernd Feuchtner wird zwar von Heidelberg als Operndirektor nach Salzburg wechseln. Aber das Festival "Winter in Schwetzingen" wird er weiter realisieren. Mit Ausgrabungen, vielleicht nicht immer Vivaldi. Eine Überforderung des Stadttheaterbetriebs sieht er darin nicht. Barockoper - so Feuchtner - hat eigentlich sogar erst jetzt Realisierungschancen.

"Die Theater haben so einen Beharrungseffekt. Sie spielen, was jeder schon kennt. Sie spielen Händel. Nächstes Jahr ist Händel-Jahr. Also werden alle Händel ausgraben. Aber wir sagen uns: Nö. Wir spielen antizyklisch. Wir machen jetzt Vivaldi, wir machen nächstes Jahr vielleicht was ganz anderes, vielleicht Galuppi oder sonst irgendjemanden. Wir möchten was entdecken. Und wir haben heute die Möglichkeit, selbst mit den Mitteln eines Stadttheaters das zu realisieren, weil sowohl die Musiker, als auch die Sänger heute so gut ausgebildet sind, dass jemand wie Gustav Mahler, der zu seiner Zeit mit den Musikern noch die allergrößten Schwierigkeiten bei der Realisierung seiner Partituren hatte, sich die Finger danach abschlecken würde."

Service:
Das Festival "Winter in Schwetzingen" ist noch bis zum 12.02.2009 im Rokokotheater des Schwetzinger Schlosses zu sehen.