Neue Zeitschrift "Jalta"

Jüdisch, anders, ungewöhnlich

Die Blattmacher von dem neuen Magazin "Jalta".
Die Blattmacher von dem neuen Magazin "Jalta". © Deutschlandradio / Igal Avidan
Von Igal Avidan · 14.04.2017
Juden kommen in den deutschen Medien meist beim Thema Antisemitismus oder Shoah vor. Sechs jüdische Blattmacher wollen das ändern – und haben die Zeitschrift "Jalta" gegründet. In der ersten Ausgabe geht es um rebellische Frauen, Schäferhunde und die Verbindungen von Schwarzen und Juden.
In ihrem Video "Jaltas Lehrhaus" würdigte die Israelin Ruchama Weiss eine rebellische jüdische Frau aus dem vierten Jahrhundert. Jalta stellte damals die männliche Auslegung der Thora in Frage und wurde deshalb, und weil sie die Tochter des Anführer der jüdischen Gemeinde in Babylon war, sieben Mal im Talmud erwähnen – mehr als jede andere Frau.
In einer Lichtung im Wald errichtete Ruchama Weiss, Professorin für Talmud an der Hebräischen Universität in Jerusalem, einen Steinaltar, gegen den sie zahlreiche Weinflaschen zerschlug. Micha Brumlik, Mitherausgeber der neuen jüdischen Zeitschrift "Jalta" über die Namensgeberin:
"Eine rebellische Frau, die sich in der späten Antike in rabbinischer Zeit sich darüber geärgert hat, dass ihr Vater es nicht erlaubt hat, dass sie den Segen über den Wein spricht und daraufhin, so berichtet es der Talmud, ist sie in den Weinkeller ihres Vaters gegangen und hat vor Wut sämtliche Weinkrüger zerschlagen."
Juden kommen in den deutschen Medien überwiegend in Bezug auf Antisemitismus und die Shoah vor. Um das zu ändern, schlossen sich die sechs jüdischen Blattmacher von "Jalta" zusammen. Sie wollen diese Berichterstattung selbst bestimmen und tun das sie in ihrer Zeitschrift "Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart". Hannah Peaceman vom Herausgeber-Kollektiv erklärt:
"Wir positionieren uns jetzt. Wir nehmen keine Rollen an, die uns von außen zugetragen werden. Wir wollen diese Diskussion, die wir hinter verschlossenen Türen führen, nach außen bringen. Und das ist für mich zum Beispiel ein wichtiger Akt von Selbstermächtigung."

Finanzierung des Magazins ungewiss

Das erste Heft von "Jalta" ist mit 180 Seiten umfangreicher als das Magazin "Der Spiegel". Um sich zu etablieren, bekommt der Neofelis-Verlag, der sich auf jüdische Themen konzentriert, im ersten Jahr öffentliche Mittel. Verleger Frank Schlöffel:
"Wir haben uns schon bemüht, eine Förderung für das erste Heft und für das zweite Heft jetzt zu erhalten. Das ist halt aber langfristig nicht mehr gesichert, das Geld der Kulturstiftung des Bundes ist für die ersten beiden Ausgaben. Das heißt, wir müssen schon darauf gehen, dass es genügend Leser für die Zeitschrift gibt."
Der Name "Jalta" steht auch für die vielen Juden, die nach Deutschland aus der ehemaligen Sowjetunion als "Kontingentflüchtling" kamen. Die Künstlerin Evgenia Gostrer reflektiert über ihren Prozess der Selbstermächtigung, drei weitere zugewanderte Autoren berichten von ihrem Besuch im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Leider beschränkt sich ihre Visite auf die Abteilung für jüdische Einwanderung. Immerhin fühlt sich die Autorin Greta Zelener unwohl in dieser "jüdischen Blase" und zeigt sich interessiert für die Geschichten der heutigen Flüchtlinge. Schade, dass eine solche interessante Begegnung nicht stattgefunden hat.

Kein Fokus auf Israel

Israel spielt in "Jalta" eine marginale, aber interessante Rolle. Denn man kann hier zum Beispiel über die rebellischen israelischen Frauen lesen, die ihren Platz an der Klagemauer in Jerusalem erkämpfen. Oder über deutsche Schäferhunde in Israel.
Im Judentum gelten Hunde als minderwertige Tiere und nach der Shoah waren sie bei Juden besonders verpönt, sagt Micha Brumlik.
"Wo Juden sich an die deutschen oder nichtjüdischen Sitten gewöhnt haben, haben sie auch die Hundehaltung als kulturelles Kapital mit übernommen. Ich würde aber vermuten, dass das bei den 'Ostjuden' kaum vorgekommen ist."
Der deutsche Schäferhund gilt für die Generation der 80- und 90-Jährigen natürlich immer noch als der Wachhund in den Konzentrations- und Vernichtungslagern und ich kann nur sagen, dass ich in meiner jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main in den 50er- und 60er-Jahren nie und zu keiner Zeit einen einzigen jüdischen Hundebesitzer gesehen habe."

Ein Magazin nicht nur für Wissenschaftler

In ihrem Text "Jews and Dogs” schreibt die Israelin Rakefet Zalashik über die Beziehungen zwischen Juden und Hunde. Ausgerechnet der israelische Generalstabschef Mordechai "Motta" Gur verewigte die deutsche Schäferhundin "Azit", hebräisch "Die Tapfere", in einer Kinderbuchserie, die in Israel auch verfilmt wurde. Zu Rakefet Zalashiks Text, Hannah Peacemann vom Herausgeber-Kollektiv:
Das Cover des Magazins "Jalta"
Das Cover des Magazins "Jalta"© Neofelis-Verlag
"Die Umdeutung des Hundes von dem, der die Juden jagte, während des Nationalsozialismus, zu dem, der die Juden beschützt und der der Freund der Juden wird, das ist der Kern von ihrem Text."
Rakefet Zalashiks Ausführung sowie ein weiterer Text aus England erscheinen im englischen Original. Die Juden in Deutschland sind halt mehrsprachig und die Herausgeber experimentierfreudig. Dennoch kommen auch sie nicht ohne die Themen Shoah und Antisemitismus aus. Man kann in "Jalta" zum Beispiel über den jüdischen KZ-Überlebenden Fritz Benscher lesen, über Martin Heidegger Judenhass oder eine Stolpersteinverlegung in der ostdeutschen Provinz.
Das Magazin "Jalta" bemüht sich im Gegensatz zum 2010 eingestellten Blatt "Babylon - Beiträge zur jüdischen Gegenwart" auch um Leser ohne wissenschaftliche Vorkenntnisse. Genauso wichtig ist es für die Redaktion, auch nichtjüdische Autoren mit einzubeziehen. Die Afro-Österreicherin und Erziehungswissenschaftlerin Pasquale Rotter schreibt zum Beispiel über Verbindungen zwischen Schwarzen und Juden. Gerade ein solcher Dialog könnte dazu helfen, dass "Jalta" sich in der deutschen Medienlandschaft einen festen Platz einnehmen könnte.
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