Neue Zeit, fremde Welt

05.08.2009
Der Lyriker Hans Sahl fühlte sich in Deutschland auch nach seiner Rückkehr aus dem Exil fremd. Die Erfahrungen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit umkreisen vor allem seine späten Gedichte. Der Luchterhand Verlag legt sie nun in einer Edition vor.
Hans Sahl, ein großer Zeitzeuge des 20. Jahrhunderts, hat erst gegen Ende seines Lebens die Aufmerksamkeit gefunden, die ihm gemäß war - durch seine autobiografischen Erinnerungen. Er lebte von 1902 bis 1993 und hatte das typische deutsche Emigrantenschicksal: Zürich, Paris, New York hießen die Stationen des Berliners, der in den Zwanzigerjahren zu den Jüngsten im umtriebigen Kulturbetrieb der Hauptstadt gehörte.

In den Fünfzigerjahren versuchte er, in der Bundesrepublik wieder Fuß zu fassen. Doch ein Exilant galt in der Adenauerzeit als verdächtig und als Außenseiter, auch die Gruppe 47 blieb ihm fremd.

Vor allem in seinen späten Gedichten umkreist Hans Sahl immer wieder diese Erfahrung. Dabei ist er keineswegs verbittert. Er bleibt seiner undogmatischen, aufklärerischen Gesprächskultur treu, etwa im Gedicht "An eine Schulklasse", das "den Schülern von Butzbach" gewidmet ist: "Unser Dasein ist für Euch bereits Legende geworden, unser Leid ein Gerücht von gestern."

Der Luchterhand Verlag legt nun in einer Edition von Hans Sahls Werken die "Gedichte" vor. Über weite Strecken spiegelt das lyrische Werk die biografischen Stationen wider, es konzentriert die Erfahrungen im Lager, im Exil, des Lebens in New York nach dem Scheitern der Rückkehr nach Deutschland. Erst 1989 siedelt er wieder, für die letzten Jahre bis zu seinem Tod, nach Deutschland über.

Sahls Gedichte erinnern in ihrer realistischen, sachlichen Diktion an seine auch stilistisch prägenden Erfahrungen in der Weimarer Republik, sie haben einiges mit Erich Kästner gemeinsam. Im Vordergrund stehen nicht die lyrische Formanstrengung, sondern die zugespitzte Aussage sowie die präzise Erinnerung und Beobachtung.

Dass Hans Sahl schon früh beim Berliner Börsen-Courier Literatur- und vor allem Filmkritiken schrieb, merkt man auch seinen Gedichten an: Hier gibt es keinen falschen Ton, hier wird notiert, festgehalten und reflektiert.

Besprochen von Helmut Böttiger

Hans Sahl: Die Gedichte.
Luchterhand Verlag, München 2009
318 Seiten, 19,95 Euro