Neue Torarolle in Erfurt

Zeichen für die Zukunft

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Rabbiner Reuven Yaacobov rollt vor der feierlichen Übergabe an die thüringische jüdische Landesgemeinde die neu geschriebene Tora zusammen.
Der Rabbiner Reuven Yaacobov hat die Torarolle für die jüdische Landesgemeinde Thüringen geschrieben – "Tora ist leben" heißt das Projekt. © picture alliance / dpa / dpa-Zentralbild / Martin Schutt
Von Carsten Dippel |
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Besonderer Moment in Erfurt: Die letzten Buchstaben einer neuen Torarolle werden auf Pergament gesetzt. Damit geht das Projekt "Tora ist Leben" zu Ende, das gemeinsam mit den christlichen Kirchen jüdische Kultur erlebbar gemacht hat.
Bevor Reuven Yaacobov mit dem ersten Wort der Tora, dem "Bereschit" – "Im Anfang" – beginnt, spitzt er ein paar Gänsefederkiele. Neben die noch leere lederne Pergamentseite, die an ihren vier Enden mit kleinen Blöcken beschwert ist, stellt er ein Fläschchen mit schwarzer Tinktur. Auf zuvor fein geritzte Linien setzt er sodann mit erstaunlich ruhiger Hand die hebräischen Lettern. Es ist ein heiliger und gleichsam äußerst kunstvoller, beinahe meditativer Akt: das Schreiben einer Torarolle.
"Man soll sich ausrichten vor der ganzen Welt und einfach schreiben. Man weiß, das ist nicht irgendein Brief, sondern ein heiliges Buch und jeder Buchstabe ist entscheidend und deswegen, bevor man lernt zu schreiben, lernt man sich zu konzentrieren, die ganze Welt auszuschließen, sich hinzusetzen und zu schreiben."
Reuven Yaacobov ist Rabbiner und Sofer, also Toraschreiber. Das uralte Handwerk des Schreibers hat er in Israel erlernt. Vor dem Schreiben eines heiligen Textes geht er in sich und spricht ein Gebet. Die Arbeit des Sofers erfordert viel Ruhe und Konzentration. Eine Torarolle zu schreiben, braucht viele Monate. Buchstabe für Buchstabe wird so sorgfältig auf das Pergament gesetzt, dass es nicht nur schön aussieht und leserlich ist. Es darf sich auch kein Fehler einschleichen. Im Talmud heißt es: Wenn auch nur ein Buchstabe hinzugefügt oder weggelassen würde, könnte das die ganze Welt zerstören.
"Ein Buchstabe nach dem zweiten Buchstaben, und aus den Buchstaben werden Wörter, und aus den Wörtern werden die Sätze – das ist einfach schön."

Eine Tora schreiben ist teuer

An dieser besonderen Torarolle hat Reuven Yaacobov gut zwei Jahre geschrieben. Unter dem Motto "Tora ist Leben" pendelte der Rabbiner der kleinen sephardischen Gemeinde in Berlin zwischen der Hauptstadt und Thüringen. Im Gepäck das kostbare Pergament. Er schrieb in verschiedenen thüringischen Städten, vor Schulklassen und auch öffentlich, in Eisenach etwa am "Tag der Tora" an der Gedenkstätte der 1938 zerstörten Synagoge. Gestern wurde sie in einem feierlichen Akt in der Neuen Synagoge in Erfurt eingebracht.
Es ist für die kleine thüringische Gemeinde in der Landeshauptstadt ein ganz besonderer Moment, sagt Rabbiner Alexander Nachama, der die Gemeinde seit drei Jahren führt.
"Das erlebt man ja nicht so häufig. Insofern ist die Freude einmal groß aufgrund der neuen Torarolle, aber die Freude ist auch deshalb groß, weil das ja Schenkende sind, die man sonst auch nicht oft erlebt. Dass Kirchen sagen, wir schenken eine Torarolle, auch das steigert die Freude."
Die Evangelische Kirche Mitteldeutschlands (EKM) und das katholische Erzbistum Erfurt haben diese Torarolle im Rahmen des von vielen Veranstaltungen begleiteten Themenjahres "900 Jahre jüdisches Leben in Thüringen" gemeinsam der jüdischen Gemeinde Thüringens geschenkt. Eine Torarolle kostet gut 30.000 bis 40.000 Euro. Der aufwendige Akt des Schreibens, noch dazu mit kostbaren Materialien, ist teuer. Im Rahmen des Jubiläums haben beide Kirchen nach einer Geste gesucht, die etwas beiträgt zum jüdischen Leben.
Die Evangelische Kirche Mitteldeutschlands gab sich vor einigen Jahren eine neue Verfassung, in der klar Stellung gegen die lange theologische Tradition der Judenfeindschaft in der Kirche bezogen und ein Bekenntnis zu den jüdischen Schwestern und Brüdern, wie es heißt, abgelegt wurde. Das Projekt "Tora ist Leben" habe einigen Widerhall in den Gemeinden gefunden, sagt Christhard Wagner, Pfarrer im Ruhestand, der das Projekt von Anfang an begleitet hat.
"Endlich mal ein deutliches, auch handfestes Zeichen unserer Verbundenheit. Ein Zeichen unserer Wurzel, ein Zeichen, dass wir miteinander in der Gesellschaft eine wichtige Rolle übernehmen wollen."

Tora verbindet über die Religionen hinweg

Ordinariatsrat Claudio Kullmann, Vertreter der katholischen Kirche beim Thüringer Landtag und der Landesregierung, hat während dieses langen Entstehungsprozess der neuen Erfurter Torarolle viel gelernt.
"Man weiß natürlich, das sind die fünf Bücher Mose, weiß aber natürlich nicht so genau, wie wird sie im Gottesdienst verwendet, was bedeutet auch diese Schriftrolle für jüdische Gemeinden und wie verbindet sie uns eigentlich in so vielen Bereichen. Das habe ich gelernt. Und dafür bin ich sehr dankbar."
Begleitet wurde das Projekt "Tora ist Leben" von Workshops in der jüdischen Gemeinde und in Schulen. Unter dem Motto "Hebräisch in der Tüte" sollen diese Workshops auch weitergeführt werden, sagt Projektkoordinatorin Alexandra Husemeyer.
Vor Kurzem war sie in der thüringischen Rhön unterwegs und hat vor Mitgliedern eines Kirchenchores und der Freiwilligen Feuerwehr über das Judentum erzählt. Oft sind es kirchlich geprägte Kreise, die sich für diese Workshops interessieren, aber es kämen auch Anfragen aus dem Bereich der Bildungsarbeit, auch Stadtführungen zu jüdischen Spuren werden angeboten.
"Das ist für Kinder und Erwachsene ein sehr schöner niedrigschwelliger Zugang, um zu lernen, wie jüdische Kultur lebt. Das kann Schwellenangst nehmen und die Leute sensibilisieren und öffnen, um zu sagen: ‚Ich habe da gar keine Angst davor, denn es ist nichts mehr so Fremdes.‘ Es kann wieder das Verständnis wecken: Das ist unsere Kultur."
"Tora ist Leben" ist ein gemeinsames Projekt des Bistums Erfurt, der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands und der jüdischen Landesgemeinde. Alexandra Husemeyer hat dieses Projekt im Auftrag der EKM koordiniert und begleitet. Anfangs war sie zurückhaltend, als Christin über das Judentum zu erzählen. Sie fragte bei der jüdischen Gemeinde, ob es nicht besser sei, jemand von ihnen würde diese Workshops durchführen.
"Natürlich wäre es besser. Aber voller Schmerzen müssen alle sagen: ‚Es ist jetzt niemand da.‘ Die jüdische Gemeinde hat 600 Mitglieder und da ist jetzt kein Kulturvermittler und kein Pädagoge darunter."

Große Bedeutung des Geschenks

In einer Synagoge werden nach Möglichkeit meist mehrere Torarollen benutzt. Vor allem bei besonderen Feiertagsgottesdiensten. Das schont die kostbaren Rollen, denn schließlich sollen sie möglichst viele Jahrzehnte halten. Rabbiner Nachama bedeutet dieses Geschenk der beiden Kirchen sehr viel.
"Weil es eben nicht selbstverständlich ist, so etwas von den Kirchen zu bekommen – auch in Anbetracht der Geschichte, wo es eben häufig leider umgekehrt war, dass versucht wurde, jüdisches Leben zu beseitigen, was auch auf die Kirchen zurückgeht. Also ist dieses Geschenk ja vor allen Dingen ein Zeichen für die Zukunft, dass es auch in Zukunft jüdisches Leben hier in Erfurt geben soll."
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