Neue Sounds im Nachkriegsdeutschland

Als der Pop den Drill austrieb

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Britische Frauen tanzen mit amerikanischen Soldaten auf der Straße.
Blues, Swing, Calypso, Jazz: Angloamerikanischer Pop galt in Nazi-Deutschland galt das als die Musik des Feindes. © Getty Images / Universal Images Group / Photo12
Von Klaus Walter · 08.05.2020
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Als am 8. Mai 1945 der Zweite Weltkrieg endete, war zwar der Kampf vorbei, doch der Nationalsozialismus noch nicht besiegt. Die Alliierten setzten bei der Überwindung der Ideologie unter anderem auf das Radio und die Popmusik.
Im deutschen Radio ist Wilhelm Keitel zu hören, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht. Die deutsche Führung verkündet die bedingungslose Kapitulation. Von Befreiung ist nicht die Rede.
Viele Deutsche erleben das Kriegsende "in einer Weltuntergangsstimmung", schreibt der Historiker Volker Ullrich in seinem aktuellen Buch "Acht Tage im Mai". Und viele Deutsche warten noch immer auf das Wunder, von dem Zarah Leander seit 1942 so unermüdlich singt.
Für die Nationalsozialisten ist das Radio ein bedeutendes Propaganda-Instrument. Gesendet werden Marschmusik, seichte Unterhaltung, Berichte von der Front und in den letzten Kriegsjahren vor allem Durchhalteparolen. Aber auch die Alliierten nutzen den Rundfunk für psychologische Kriegsführung.
Aus seinem kalifornischen Exil wendet sich Thomas Mann regelmäßig an seine Landsleute. Für die BBC nimmt der renommierte Schriftsteller während des Krieges insgesamt 55 Radioansprachen auf. Am Tag nach der Kapitulation wendet sich Thomas Mann wieder an seine deutschen Hörer.
Er spricht nicht von Befreiung, sondern darüber, wie bitter es ist, "wenn der Jubel der Welt der Niederlage, der tiefsten Demütigung des eigenen Landes gilt! Wie zeigt sich darin noch einmal schrecklich der Abgrund, der sich zwischen Deutschland, dem Land unserer Väter und Meister, und der gesitteten Welt aufgetan hatte".
Diese 'gesittete Welt' mobilisiert nicht nur mit Radioansprachen gegen Nazideutschland. Die Briten und die Amerikaner haben eben auch die bessere Musik. Bing Crosby und die Andrew Sisters singen den "Victory Polka", im Blues wird der Sturz des Führers herbeigesungen, hier von Leadbelly: "We’re gonna tear Hitler down".
Blues, Swing, Calypso, Jazz, angloamerikanischer Pop – in Nazi-Deutschland ist das die Musik des Feindes. Der Frankfurter Jazz-Pionier Emil Mangelsdorff erinnert daran, dass "unter den Nazis der Jazz nicht gelitten war. Es gab die wahrscheinlich von Goebbels inszenierte Bewegung gegen sogenannte entartete Kunst, und so wurde auch der Jazz diffamiert als N***musik, als Judenmusik".
Wer Jazz hört, gehört zu einer Geheimgesellschaft der Außenseiter, zur sogenannten Swingjugend. Einer dieser Außenseiter ist Horst Lippmann, nach dem Krieg erfolgreich mit der Konzertagentur Lippmann & Rau. Er gießt ein bisschen Wasser in den Wein:
"Ich hab mir natürlich vorgestellt, wenn jetzt die Amerikaner kommen, gut, Rassengleichheit, Freiheit, Schwarze, Weiße, Juden, alles gleich und alle vereint im Jazz, unglaublich toll. Und dann kamen die und dann hab ich auf einmal festgestellt, dass das mit der Gleichheit und Freiheit gar nicht so toll ist. Dass da auch Grenzen waren zwischen Schwarz und Weiß, und dass bei den Amerikanern ein paar ungeheuerliche Querköpfe waren. Die hätten auch nach Deutschland gepasst. Für die war das halt auch N***musik, und die wollten mit dem Kram nix zu tun haben."
Mit dem Sieg über Nazi-Deutschland ist die Mission der Alliierten noch nicht beendet. Nach dem Krieg ist es die angloamerikanische Popmusik, die maßgeblich zur Entnazifizierung der Deutschen beiträgt. Es ist die Musik der People of Color, die den deutschen Soldatenkörper aus dem Drill befreit. Übertragen wird diese ansteckende Musik vom britischen und amerikanischen Radio, von BFBS und AFN.
Danke dafür, liebe Besatzer!
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